Audio

Immer mehr Hessen sind auf Hilfe vom Staat angewiesen

Ein-Euro-Stücke liegen in einer Geldbörse, die von zwei Händen offen gehalten werden.

Immer mehr Menschen sind in Hessen von Armut gefährdet und auf Hilfe vom Staat angewiesen. Die Krisen der letzten Jahre verschärfen dieses Problem. Zugleich schämen sich viele Betroffene für ihre Bedürftigkeit.

Menschen, die von Armut betroffen sind, wollen selten darüber reden. Franziska Lenz (Name von der Redaktion geändert) ist da eine Ausnahme. Die frühere Inhaberin eines Modegeschäfts trägt eine moderne rote Brille, dazu einen dezenten Kapuzenpulli. Im Gespräch wirkt sie selbstbewusst und aufgeschlossen.

Dass die 79-jährige Rentnerin aus Bad Vilbel schon seit Jahren auf staatliche Hilfe angewiesen ist, ist ihr auf den ersten Blick kaum anzumerken. Früher sei sie wohlhabend gewesen, erzählt die Rentnerin: "Aber dann musste ich Insolvenz anmelden."

Mittlerweile bezeichnet sich Franziska Lenz selbst als arm. Lebensmittel kauft sie nur noch im Discounter. Zum Glück könne sie die alte Kleidung aus ihrem Laden tragen, denn neue könne sie sich nicht leisten.

Vor allem Frauen brauchen staatliche Hilfe

Ein Problem, das sich zuspitzt: Denn in Hessen beziehen immer mehr Menschen Grundsicherung. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes waren es letztes Jahr rund 103.500, so viele wie noch nie seit Einführung der Grundsicherung vor zwanzig Jahren. Diese beziehen aktuell überwiegend Rentnerinnen und Rentner, Frauen sind dabei besonders betroffen. Gerade durch den Zuzug geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer sind die Zahlen zuletzt stark angestiegen.

Anspruch auf Grundsicherung haben bedürftige Menschen, die ansonsten finanziell nicht über die Runden kommen würden. Der Regelsatz beträgt monatlich 502 Euro. Dazu übernimmt das Sozialamt die Kosten für die Miete, Heiz- und Nebenkosten. Davon werden allerdings Einkommen oder auch die gesetzliche Rente abgezogen.

Miete vom Amt oft nicht gewünscht

Für Franziska Lenz bedeutet das, ihr stehen im Monat rund 1.000 Euro zur Verfügung. Bei den Mieten im Rhein-Main-Gebiet sei das wenig und viele Vermieter würden Grundsicherungsempfänger gar nicht als Mieter akzeptieren, meint die 79-Jährige. Sie selbst wohne in einer sanierungsbedürftigen Wohnung, erzählt die Seniorin. In ihrem Alter habe sie vor dem Einzug eigens die Wände gestrichen.

"Schlimm wird es, wenn etwas Außergewöhnliches passiert, etwa die Waschmaschine kaputt geht", sagt Lenz. Die hohen Nebenkostenabrechnungen der letzten Jahre hätten ihr ebenfalls jedes Mal schlaflose Nächte bereitet. Denn das Sozialamt habe sie nicht komplett übernommen, sondern nur Pauschalen gezahlt. Auf Rückfrage beim zuständigen Sozialamt heißt es, die Rentnerin habe nicht alle notwendigen Dokumente vorlegt. Das habe sie doch, ist die 79-Jährige überzeugt.

Härtefallfonds steht nicht für alle offen

Für viele Hilfsbedürftige kann die Energiekrise zum Problem werden. Das hessische Sozialministerium teilte mit, die Heizkosten würden grundsätzlich in voller Höhe übernommen, aber nur, soweit diese angemessen seien. Dabei orientiere man sich an Durchschnittswerten, die von Ort zu Ort unterschiedlich ausfallen würden. Im Falle einer Notlage könnten zum Beispiel sogar Darlehen gewährt werden, aber auch das liege im Ermessen der Sozialämter.

Das Ganze ist brisant, denn wenn Menschen hohe Nachzahlungen bei den Energiekosten nicht begleichen können, könnte ihnen schlimmstenfalls der Anschluss gesperrt werden. Um so etwas abzuwenden, hat das Land Hessen einen Härtefallfonds ins Leben gerufen. Nur: Empfänger von Grundsicherung dürfen keine Gelder aus diesem Fonds beantragen, weil diese mit der Sozialleistung verrechnet werden müssten, heißt es beim hessischen Sozialministerium.

Regelsatz in Zeiten hoher Inflation zu niedrig

Daran stört sich der paritätische Wohlfahrtsverband Hessen. Auch die über Monate steigenden Verbraucherpreise würden bei der Grundsicherung kaum berücksichtigt, kritisiert Landesgeschäftsführerin Yasmin Alinaghi: "Der monatliche Regelsatz von 502 Euro ist angesichts der hohen Inflation zu wenig." Es müssten 725 Euro sein.

In Folge sind viele ältere Menschen regelmäßig bei den 58 hessischen Tafeln zu Gast. Katja Bernhard, die dort für die Pressearbeit zuständig ist, berichtet, dass etliche von ihnen um Diskretion bitten würden. "Sie wollen nicht, dass ihre Familie oder Freunde davon erfahren", so Bernhard. Da ist die Scheu also offenbar groß.

Das kann so weit gehen, dass ein Besuch bei einer Tafel für manchen gar nicht in Frage kommt. Auch die 79 Jahre alte Rentnerin aus Bad Vilbel schreckt davor zurück. "Da könnte ich gesehen werden und würde mich schämen", meint Franziska Lenz. Dabei ist ihr bewusst, dass sie sich das Leben dadurch noch schwerer macht.