Das neue Ausbildungsjahr beginnt, und in Hessen bleibt fast die Hälfte der Lehrstellen unbesetzt. Der Konkurrenzkampf um Nachwuchs ist im Handwerk besonders hart. Mit einem Tablet für neue Azubis ist es da nicht getan.

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Viele Azubi-Stellen unbesetzt

Metzger-Azubi Paul Mildenberger  sein Chef Dirk Ludwigbei der Arbeit in Schlüchtern.
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Vier neue Auszubildende bräuchte Dirk Ludwig eigentlich jedes Jahr. Auch diesmal hat der Metzgermeister aus Schlüchtern (Main-Kinzig) nur einen einzigen gefunden. Doch das ist ein Grund für Glücksgefühle. "Wir sind schon froh, dass wir das schaffen", sagt er.

Fleischer will kaum noch einer werden, und in anderen Handwerksbranchen sieht es meist nicht besser aus. Wenn am Montag das neue Ausbildungsjahr beginnt, ist nach Auskunft der Agentur für Arbeit mit 44 Prozent fast jede zweite Azubi-Stelle in Hessen nicht besetzt. 14.700 freie Lehrstellen sind es insgesamt.

Die Entwicklung hat zu einem bislang beispiellos harten Wettbewerb um die wenigen willigen und geeigneten Nachwuchskräfte in Hessen geführt. Und auch Metzgermeister Ludwig muss einiges bieten, um Berufsanfänger anzuwerben und bei der Stange zu halten.

Bis zu 10.000 Euro Mehrkosten pro Lehrling

Zum Start erhalten die Einsteiger ein iPad, das sie nach bestandener Prüfung behalten dürfen. Mittagessen gibt es für alle Mitarbeiter günstig oder gratis, Getränke und Obst sind immer kostenlos. Wer sich besonders reinhängt, bekommt für die sprichwörtliche Extrameile im harten Job einen Gutschein für nagelneue Turnschuhe.

Dienstfahrrad oder Firmenwagen auch zum privaten Gebrauch, Geld für den Führerschein, Fitnessstudio-Gutschein und nicht zuletzt ein höheres Lehrgeld - immer mehr Unternehmen setzen solche Anreize. "Im Vergleich zu früher zahlt man pro Jahr sicherlich 8.000 bis 10.000 Euro pro Lehrling mehr", schätzt Stefan Füll, Präsident des Handwerkstags Hessen.

Zehn Minuten online und ein Telefonat

Lieber zahlen als in die Röhre gucken - dieser Devise folgt auch Metzgermeister Ludwig. Das rechnet sich für den Betrieb, den er gemeinsam mit seiner Frau in der vierten Generation führt. Längst gehen Umsätze verloren, weil nicht nicht genug Man- und Womanpower da ist. "Das Personal ist unser größtes Problem", sagt Dirk Ludwig.

Es sind nicht allein die Tablets und die Gratis-Äpfel, mit denen es Ludwig gelingt, doch noch Lehrlinge unter Vertrag zu nehmen. Fleisch inszeniert er als cooles Lifestyle-Produkt - besonders in Sozialen Medien wie Instagram, wo die Jugend unterwegs ist.

Wenn die sich dann interessiert, braucht es auch keine umständliche Bewerbung. Ein paar Klicks, Handynummer hinterlassen, und der Meister ruft an. "Ich halte das bewusst sehr niederschwellig", sagt Ludwig. Denn für viele sei die klassische Bewerbung schon eine hohe Hürde. "Ich spreche lieber direkt mit den Interessenten. Dann weiß ich am schnellsten, ob es passen könnte", berichtet der Metzgermeister.

Wertschätzung - auch beim Lehrgeld

Bei Ludwigs Azubi Paul Mildenberger hat es gepasst. Er kommt ins zweite Lehrjahr. Zum Tablet und den anderen Zugaben sagt er: "Solche Dinge waren nicht der Grund dafür, dass ich mich für diesen Ausbildungsbetrieb entschieden habe. Aber sie sind ein feines Extra, man fühlt sich wertgeschätzt." Was vor allem nicht geschadet haben dürfte: Paul bekommt, wie er erzählt, rund 20 Prozent mehr Geld als viele seiner Mitschüler in der Berufsschule.

Fehlende Wertschätzung und Anerkennung sind neben den Anforderungen in vielen Berufen mit Nachwuchsmangel ein Kernproblem. Frank Martin, Chef der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit, sagt: "Eltern, Freunde und Bekannte raten heute jungen Menschen sehr stark, doch noch länger auf der Schule bleiben und, wenn es irgendwie geht, zu studieren."

Das sei nicht immer die beste Idee. Denn es gebe eine steigende Zahl junger Menschen, die ihr Studium abbrechen und dann ohne Ausbildung anfangen zu arbeiten, warnt Martin. Die Berufsausbildung müsse besonders im Handwerk so attraktiv werden, "dass junge Menschen sie nicht als Notnagel verstehen, sondern als erste Wahl".

Goldener Boden und Demographie

Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) pflichtet dem Fachmann bei: "Eigentlich ist eine Ausbildung die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit." Außerdem gebe es Aufstiegsmöglichkeiten. Wer als Meister einen Betrieb führe, könne schließlich gutes Geld verdienen.

Solche "Handwerk hat goldenen Boden"-Botschaften sind nicht neu - allein, sie scheinen nicht anzukommen. Zur fehlenden Begeisterung kommt, dass es immer weniger junge Menschen gibt. Stichwort: demographischer Wandel. "Das verschärft die Situation dramatisch", sagt Arbeitsmarktexperte Martin.

Es ist dramatisch

Es ist so dramatisch, dass Metzgermeister Ludwig erklärt: "Wir sehen die Existenz unseres Traditionsbetriebs in seiner jetzigen Form gefährdet." Wegen des Azubi- und Fachkräftemangels können Schichten schon nicht mehr besetzt werden. Das hat auch für die Kunden Folgen: Die Ludwigs müssen ihre Metzgerei deshalb zum ersten Mal seit Bestehen mitten in der Woche für einen halben Tag schließen.

Ähnlich ist es in anderen Branchen. Wer einen Installateur oder Elektriker braucht, muss oft Monate auf einen Termin warten - wenn überhaupt jemand zurückruft.

Das sei kein böser Wille, sagt Arbeitsmarktexperte Martin. Die Gesellschaft werde nun eben zwangsläufig merken, was zunehmender Fachkräftemangel heiße: "Nämlich, dass einzelne Dienstleistungen nur noch schwer verfügbar sind und dadurch auch teurer werden."

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