Männer in orangenen Baustellenanzügen richten eine Baustelle ein.

Nach einem Gerichtsurteil steht in Gießen der umstrittene Verkehrsversuch am Anlagenring auf der Kippe. Die Umbauarbeiten werden aber trotzdem fortgesetzt - zumindest fürs Erste.

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Trotz Gerichtsurteil – Bauarbeiten am Gießener Anlagenring

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Es war ein Paukenschlag: Der groß angelegte und seit Jahren diskutierte Verkehrsversuch am Gießener Anlagenring ist nach Einschätzung des dortigen Verwaltungsgerichts rechtswidrig.

Die Stadt will auf dem Anlagenring, der Hauptverkehrsader der Innenstadt, eine zweispurige Fahrradstraße einrichten. Der Autoverkehr soll nur noch in eine Richtung fließen. Die Umbauarbeiten dafür laufen seit Mitte Juni.

Das Gießener Verwaltungsgericht urteilte nun, dass die Stadt Gießen eine so genannte "einfache Gefährdungslage" für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs am Anlagenring nicht ausreichend dargelegt habe.

Stadt legt Beschwerde ein

Die Stadt lieferte nach Ansicht des Gerichts also nicht genug Daten dazu, dass der Anlagenring für Fahrradfahrer so gefährlich ist, dass er umgebaut werden und in der Innenstadt die Verkehrsführung geändert werden muss.

Zwei Anwohner hatten dagegen geklagt, dass sich im Zuge der Bauarbeiten für den Anlagenring auch in drei Nebenstraßen die Verkehrsführung ändern soll. Den Klimaschutz und die Reduzierung der Emissionen allein sah das Gericht nicht als ausreichende Begründung für einen so massiven Eingriff.

Die Stadt Gießen will nun gegen das Urteil im Rahmen eines Eilverfahrens Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen und Daten nachliefern.

Umbau wird weitergeführt

Die Umbauarbeiten werden derweil weitergeführt, sagte Bürgermeister und Verkehrsdezernent Alexander Wright (Grüne) am Dienstagnachmittag auf einer Pressekonferenz im Rathaus. Das sei weniger kostspielig, als den Versuch nun zu stoppen, das Urteil aus Kassel abzuwarten und dann eventuell wieder aufzunehmen. Ein Rückbau werde aber parallel vorbereitet.

Es sei unstrittig, dass am Anlagenring etwas passieren müsse, weil es dort für Radfahrende zu gefährlich sei, sagte Wright. "Wir sehen es an den Unfällen, wie viel Prozent davon Schwerverletzte sind. Jeder dritte Schwerverletzte am Anlagenring ist ein Radfahrer. Da ist eine echte Gefahr und der müssen wir entsprechend begegnen."

CDU: "Verkehrsversuch ist der falsche Weg"

Für Frederik Bouffier, den stellvertretenden Vorsitzenden des Gießener CDU-Kreisverbandes ist es nicht nur eine juristische Niederlage, sondern auch politisch ein herber Rückschlag für Wright. "Das Urteil bestätigt uns in der Annahme, dass der Verkehrsversuch rechtlich, aber auch aus anderen Gründen der falsche Weg ist", sagte Bouffier dem hr.

Die CDU habe seit langem moniert, dass es an einer ausreichenden Datengrundlage und an Kriterien für Erfolg oder Misserfolg des Versuchs fehle. Zudem sehe die CDU die Belange des Einzelhandels nicht ausreichend berücksichtigt. Er werde dem Magistrat empfehlen, die Baumaßnahmen zu stoppen, bis das Urteil aus Kassel da ist.

Einzelhandel: "Menschen sind verunsichert"

"Die Verunsicherung bei den Menschen in Gießen, im innerstädtischen Einzelhandel und bei unseren Kundinnen und Kunden ist natürlich brachial", berichtete Heinz-Jörg Ebert, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft BID-Seltersweg dem hr. Der Seltersweg ist die wichtigste Gießener Einkaufsstraße.

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Verkehrsversuch in Gießen auf der Kippe

Männer in orangenen Baustellenanzügen richten eine Baustelle ein.
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Dazu trage bei, dass es während der derzeitigen Baustelleneinrichtung eines so komplexen Projektes "ohnehin überall staubt und kracht". Noch herrsche Chaos, was aber nicht überraschend sei. "So ist das, wenn man etwas völlig entwickelt, etwas völlig neu gebaut wird." Für Ebert könnte der Versuch am Ende aber funktionieren, wenn offen kommuniziert werde.

Wichtig sei, dass nun schnell Klarheit geschaffen werde: "Hängepartien oder ewige Baustellen darf und kann sich unsere Stadt sicherlich nicht leisten", sagte Ebert.

Plan B: Radstreifen auf beiden Seiten des Rings

Klarheit kann auch bedeuten, dass der Verwaltungsgerichtshof das Urteil aus Gießen bestätigt und der Versuch gestoppt wird.

Für Alexander Wright bedeutet das nicht, dass der Verkehr in Gießen dann wieder zum Ursprungszustand zurückkehrt, auch das machte er am Dienstag deutlich. Dann würden möglicherweise einfache durchgängige Radstreifen auf beiden Seiten des Anlagenrings eingerichtet, sagte Wright, auch wenn das eigentlich der weniger sichere Weg für die Fahrradfahrenden sei.

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