Viele Menschen warten stehend in einem Treppenhaus, von welchem eine Tür in Verwaltungsräume führt. Das Treppenhaus ist künstlich belichtet, an der Wand oben ein farbiger Fries aus kleinen Rechtecken.

Trotz des mit vielen Versprechungen verbundenen Umzugs in neue Büroräume haben sich die chaotischen Zustände bei der viel kritisierten Darmstädter Ausländerbehörde nicht verbessert. Ganz im Gegenteil.

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Keine Verbesserungen in Darmstadts Ausländerbehörde

Schriftzug am Darmstädter Bürger- und Ordnungsamt
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Spätestens mit dem Umzug in die neuen Büros sollte alles besser werden in der zuletzt viel gescholtenen Darmstädter Ausländerbehörde. Vor wenigen Wochen hat die Behörde nun ihr neues Zuhause im Luisencenter bezogen und zumindest die Räumlichkeiten wirken tatsächlich moderner und einladender als zuvor im doch etwas in die Jahre gekommenen Stadthaus. Das war es aber wohl schon mit den Verbesserungen: Betroffene berichten weiterhin von chaotischen Zuständen in der so wichtigen Einrichtung für in Darmstadt lebende Ausländer.

Vor mehr als einem Jahr hatte hessenschau.de über die untragbaren Zustände in der Ausländerbehörde berichtet, die zentralen Kritikpunkte waren die permanente Unerreichbarkeit, veraltete Arbeitsabläufe und die damit verbundene Verzweiflung der Betroffenen. Die Stadt gelobte Besserung, Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) machte die Aufgabe zur Chefsache.

Eine "Task Force" sei installiert worden und verschiedene Umstrukturierungsprozesse angestoßen, teilte Partsch erst jüngst in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage eines SPD-Abgeordneten im Stadtparlament mit. Etwa durch eine Hotline habe man die Erreichbarkeit der Behörde verbessern können. Zudem seien die Sacharbeiterinnen und Sacharbeiter angehalten, den Bürgerinnen und Bürgern klare Fristen für die Bearbeitung ihrer Anliegen mitzuteilen.

Viele Versprechungen, keine Verbesserung

In der Realität ist davon wenig zu spüren. Mehr noch: "Eigentlich ist alles noch schlimmer geworden", sagt Anwältin Sonja Plückebaum, die in Darmstadt eine Kanzlei für Asyl- und Ausländerrecht betreibt, im Gespräch mit dem hr. Sie muss es wissen, denn zusammen mit ihrer Kollegin Venous Sander betreut sie derzeit mehr als 300 Geflüchtete, die allesamt auf Leistungen der Ausländerbehörde angewiesen sind.

Erreichbar sei die Behörde aber weiterhin so gut wie gar nicht, auch Fristen, wie von Partsch versprochen, würden nicht mitgeteilt. Es finde mittlerweile schlicht gar keine Kommunikation mehr statt. "Wir treffen hier auf eine permanente Ignoranz, selbst auf wiederholte Anfragen bekommen Betroffene keine Reaktion", klagt Plückebaum. "Wir haben das Gefühl, dass hier erst die Corona-Pandemie und jetzt der Ukraine-Krieg als Ausrede für mangelhafte Arbeit herangezogen werden." Dabei brauche man gerade jetzt, da zusätzlich viele Geflüchtete aus der Ukraine nach Darmstadt kommen, eine funktionierende Ausländerbehörde.

Eine Reaktion erfolge meist erst bei Androhung gerichtlicher Schritte. "In vielen Fällen wenden wir uns aus purer Verzweiflung mit Eilverfahren ans Verwaltungsgericht, aber auch das Gericht ist bereits total überlastet“, schildert die Anwältin.

Schwerwiegende Folgen für Betroffene

Für die Betroffenen hat die Ignoranz der Ausländerbehörde oft schwerwiegende Folgen. "Wir haben Mandanten, die ihren Ausbildungsplatz oder Job verloren haben, weil sie ihren Aufenthaltstitel nicht rechtzeitig verlängert bekommen haben", so Plückebaum. Auch bei der Wohnungssuche oder einfach nur beim Abschluss eines Handyvertrags entstünden oft große Probleme. Die Bearbeitung von Anträgen auf Einbürgerung dauere aktuell rund zwei Jahre, berichten die beiden Anwältinnen aus Erfahrung.

Plückebaum betont, sie wolle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde in keinster Weise schlechte Absichten unterstellen. "Ich gehe davon aus, dass dort alle jederzeit versuchen, das Bestmögliche zu erreichen. Aber offenbar ist das bei dem derzeitigen Zustand der Behörde nicht möglich."

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Ausländerbehörde in den letzten zwei Jahren meist in Richtung Landkreis verlassen, wie auch Partsch in seiner Antwort auf die Anfrage aus dem Parlament zugibt. "Dort sind die Stellen offenbar höher dotiert", schreibt er. Deswegen habe die Stadt im Frühjahr 2021 sechs Zeitarbeits-Kräfte zur Unterstützung bei einfachen Verwaltungsaufgaben eingestellt. Deren Verträge laufen aber am 30. Juni aus, es ist also zu befürchten, dass sich die Situation dann nochmals verschlimmert.

Für die Anwältinnen Plückebaum und Sander steht fest: So kann es nicht weitergehen. Deswegen hat sich die Kanzlei schon Anfang April mit einem offenen Brief direkt an Oberbürgermeister Partsch gewandt, in dem sie die Probleme noch einmal konkret benannt und um Stellungnahme gebeten hat.

Behörde bringt Menschen in "existentielle Notlage"

Die Antwort ließ lange auf sich warten, traf aber parallel zu den Recherchen des hr in der Kanzlei ein. Darin gibt Partsch offen zu, dass Ausländerinnen und Ausländer durch Verschulden der Behörde in "existentielle Notlage" geraten seien. Bisherige Versuche, die Situation etwa durch Anpassung einzelner Arbeitsabläufe und die Schaffung einzelner zusätzlicher Stellen zu verbessern, sieht er als gescheitert an. "Es bedarf bei der Ausländerbehörde einer grundlegenden Veränderung", schreibt der Oberbürgermeister.

Dafür habe er besagtes externes Team mit der Untersuchung der Behörde beauftragt, die ersten Ergebnisse seien vielversprechend. Partsch kündigte an, ein Serviceteam zu installieren, das für die Terminvergabe zuständig ist und erste Anlaufstelle für Ausländerinnen und Ausländer sein soll.

Zudem laufe aktuell die Umstellung auf elektronische Akten, die sogenannten "E-Akten". Dieser Prozess soll im Sommer abgeschlossen sein. Plückebaum glaubt allerdings nicht an die Wende zum Besseren. Die Antworten und Ankündigungen kenne sie bereits: "Es wird immer nur wiederholt, was bereits bekannt ist."

Stadt sendet verheerende Botschaft

Für die Anwältin ist die bisherige Untätigkeit der Stadt unerträglich. Schließlich gehe es hier um menschliche Schicksale. Die Botschaft, die Darmstadt indirekt aussende, sei verheerend: Durch die permanente Ignoranz der Behörde entstünde bei vielen ihrer Mandantinnen und Mandanten der Eindruck, sie würden nicht ernst genommen. "Die Menschen haben oft viel auf sich genommen, um hierher zu kommen und wollen sich hier integrieren. Aber dann bekommen sie das Gefühl vermittelt, ihre Anliegen seien nicht wichtig. Sie selbst seien nicht wichtig."

Im Sommer nächsten Jahres tritt Partsch nicht mehr zur Wahl an. Er hat also noch ein Jahr Zeit, seine Versprechen umzusetzen und die seinen Worten nach "sehr ernste Situation" zu überwinden.

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