Eine Frau steht mit Kittel und Mundschutz neben einem Mann in einem Marburger Krankenhaus

Ob medizinische Versorgung verwundeter Soldaten, Unterstützung bei Behördengängen oder zahllose Lkw-Transporte: Die humanitäre Hilfe aus Hessen ist seit Beginn des Ukraine-Krieges riesengroß. Neben dem vielen Leid sind auch echte Freundschaften entstanden.

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Deutsch-ukrainische Freundschaft in Gudensberg

Ein älterer Mann greift nach zwei gestapelten Umzugskartons
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Sergii Dubinin hat keine linke Schulter mehr. Dort wo sie war, sitzt jetzt eine Prothese. Sein Arm hängt schlaff an seinem Oberkörper. Ein Granatsplitter hatte das Schultergelenk des 32 Jahre alten Soldaten bei einem russischen Angriff in Bachmut im Jahr 2023 durchbohrt.

"Das ist Krieg. In den ersten Sekunden dachte ich: 'Ich sterbe, das war's'. Dann kam Hilfe von den Kameraden und ich wurde evakuiert", sagt er mit starrem Blick. Dubinin kam mit seiner Verletzung ins Universitätsklinikum nach Marburg.

Ohne militärische Ausbildung sei der gelernte Landwirt und Schrotthändler aus der Nordwestukraine im Jahr 2022 ins Militär eingezogen worden - ausgerechnet ins berüchtigte Aidar-Battalion. Heute, kriegsunfähig und in Behandlung, vermisst er seine Kameraden wie seine Familie.

Ein Arzt steht mit Maske und Kittel neben einem Patienten, der auf dem Bett sitzt

Seit etwa einem Jahr lebt Dubinin nun schon in Hessen. Kommende Woche wird er aus der Klinik entlassen. Dann muss er in die Ukraine zurückkehren, um sich offiziell ausmustern zu lassen. Seit Kriegsbeginn ist er bereits der siebte verwundete ukrainische Patient, der in Marburg behandelt wird.

Wie seine Vorgänger musste er hier in den ersten Monaten isoliert werden, erklärt sein behandelnder Klinikarzt Steffen Ruchholtz. In Dubinins Wunde hatten sich multiresistente und nur schwer behandelbare Bakterien eingenistet. Das verkomplizierte nicht nur das Einsetzen seiner Prothese, sondern auch das Ankommen in der neuen Umgebung.

Das Ziel: Verletzten Soldaten und Geflüchteten in Deutschland helfen

Svitlana Dyachenko half ihm trotzdem in Marburg Fuß zu fassen. Sie ist selbst Ukrainerin und erste Vorsitzende des Deutsch-Ukrainischen Vereins Marburg Oboz Plus. Seit 2015 setzt sich der Verein für Menschen ein, die vom Krieg betroffen sind. Dubinin verhalf sie zu einer Wohnung. "Wir sind sehr, sehr dankbar für die Unterstützung, die Deutschland uns Ukrainern leistet", sagt Dyachenko zu hessenschau.de.

Doch gäbe es immer auch Dinge zu tun, die deutsche Behörden nicht leisten könnten. Hier greife das Ehrenamt des Vereins: nicht nur die Soldaten in den Krankenhäusern würden besucht, es werde auch bei Behördengängen geholfen und kulturelle Austauschprogramme mit Menschen aus den Krisengebieten organisiert. Das Motto: zwei Wochen ohne Krieg.

Eine Frau steht in einem Krankenhausflur und blickt in die Kamera

Trotz ihres dauerhaften Einsatzes merken Vereinsmitglieder wie Dyachenko inzwischen aber auch: Der Schmerz sitzt tief. Jugendliche, die nach der Vereinsgründung vor knapp zehn Jahren noch an Initiativen zur Völkerverständigung teilnahmen, seien nun selbst oft als Soldaten eingezogen worden. Einige schwörten sogar "ihr Leben der Rache zu widmen", erzählt Dyachenko.

Umso wichtiger sei es, den Kontakt und den Austausch mit den Menschen im Kriegsgebiet weiterhin aufrecht zu erhalten. Der Verein habe allein seit Beginn des Krieges 2022 rund 60 Lastwagen mit medizinischem Material in die Ukraine geschickt. Und damit ist er nicht allein.

Nur notwendige Hilfsgüter sammeln

Vollgepackt mit Tischen und Stühlen verlässt vergangene Woche ein Tieflader die alte Feuerwehrhalle in Gudensberg (Schwalm-Eder). Das Ziel: eine Schule in der Stadt Schtschyrez im Westen der Ukraine. Auch hier ist es bereits der 55. Lastwagen mit Hilfsgütern, den der Gudensberger Partnerschaftsverein zusammengestellt hat.

Das geschieht nicht nach Zufallsprinzip: "Es findet keine Lieferung statt, ohne die Notwendigkeit der Hilfsgüter abgeklärt zu haben", sagt der Logistikleiter Wolfgang Mand. Dafür habe sein Verein seit Kriegsausbruch immer wieder sogenannte Bedarfslisten erstellt.

Brennöfen, warme Kleidung, Powerbanks, Röntgen- und Ultraschallgeräte - alles mögliche stehe darauf. Das Schulmobiliar werde gerade besonders benötigt, denn für die ukrainischen Kommunen gelte derzeit eine Haushaltssperre, sagt Mand. Sie dürften nur kriegsrelevante Investitionen tätigen.

Das vorhandene Mobiliar müsse aber erneuert werden, weil es noch aus Sowjetzeiten käme. Da habe es gut gepasst, dass Schulen in Kassel gerade Stühle und Tische austauschten. Die ausrangierten Möbel spendeten sie an den Verein.

Zwei Helfer aus Gudensberg laden Tische und Stühle in einen LKW

Spenden auch nach zwei Jahren nach wie vor benötigt

Auf solche Spenden sei der Verein angewiesen, sagt Mand. So habe das Hospital zum Heiligen Geist in Gudensberg über den Partnerschaftsverein zum Beispiel eine komplett ausrangierte Abteilung für innere Medizin gespendet.

Die Spendenbereitschaft nehme aber immer weiter ab, je länger der Krieg dauere, so Mand: "Wir wünschen uns einfach, dass die uns umgebende Bevölkerung weiterhin erkennt, dass es wichtiger denn je ist, die Hilfeleistungen fortzuführen." Es gehe schließlich ausnahmslos um humanitäre Hilfe und nicht um eine Verlängerung des Krieges.

Zwei Menschen stehen mit Spendendosen in Ukrainefarben an einem Tisch in einer Feuerwehrhalle

Zwei Jahre nach dem Beginn des Angriffskrieges versucht der Verein nun aber auch positive Schlüsse zu ziehen. Bereits im Jahr 2016, also lange vor dem Krieg, hatten Gudensberg und Schtschyrez ihre Städtepartnerschaft abgeschlossen. Die Beziehung zwischen den Städten habe sich durch die Zusammenarbeit bei den Hilfslieferungen aber noch mal verbessert.

Inzwischen kommunizieren die Kommunen viel über Whatsapp und Telefon. Einmal im Monat gäbe es eine gemeinsame Videokonferenz. "Wir werden inzwischen als Schwester und Bruder bezeichnet", sagt Mand. Das sei eine Art Ehrentitel. Sein Verein könne stolz sein.

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