Der Krieg in Nahost erschüttert auch die Menschen in Hessen mit palästinensischen Wurzeln. Die Offenbacher Studentin Rojan Hasan fühlt sich nicht mehr willkommen, der Marburger Mediziner Hamdi Elfarra leidet mit seiner Familie in Gaza und sieht sich missverstanden.

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Hinweis: Wenn Sie sich auch für die jüdisch-israelische Perspektive auf den 7.Oktober interessieren, klicken Sie hier.

Viele Palästina-Fahnen wehen auf der Demonstration auf dem Luisenplatz in Darmstadt Ende November. Menschen rufen in Sprechchören "Free Palestine". Manche pro-palästinensische Demos waren in den Wochen davor in Hessen verboten worden. Die Studentin Rojan Hasan ist froh, hier friedlich demonstrieren zu können. Ein Teil ihrer Familie lebt in Gaza.

Hasan ist 21 Jahre alt und studiert an der Uni Gießen Medizin. Sie selbst distanziert sich von Organisatoren problematischer Demos und dort auftretendem Antisemitismus. "Wir zählen uns nicht als Mitglieder oder Sympathisanten speziell dieser Organisationen, die die Demos planen", sagt sie. Es gehe ihr um die Sache der Palästinenser.

Dass sie oft nur aufgrund ihrer deutsch-palästinensischen Herkunft mit Antisemiten in einen Topf geworfen werde, mache sie wütend. Demonstrieren gehe sie trotzdem regelmäßig. Es sei das Einzige, was sie für ihre Familie tun könne.

Deutsch-Palästinenserin Rojan Hasan steht auf einer Pro-Palästina-Demo in Darmstadt

"Als Palästinenser nicht mehr willkommen in Deutschland"

Immer wieder sei sie vor den Kundgebungen auf der Straße wegen ihres Palästinatuchs angegangen worden. Sie sei eine Terroristin, sie sei Antisemitin. Es sei gut, dass ihre Familie bombardiert werde. "Das verletzt einen unglaublich", sagt sie. "Man fühlt sich dann als Palästinenser momentan auch einfach nicht willkommen in Deutschland".

Durch das hin und her beim Verbot mehrerer Demonstrationen in Hessen habe Rojan Hasan oft das Gefühl bekommen, dass ihre Meinung als Deutsch-Palästinenserin nicht zähle. Zu intransparent würden ihr die Gründe für Auflagen und Verbote kommuniziert. Oft habe sie Angst, unter Generalverdacht zu stehen. Eine Erfahrung, die auch Hamdi Elfarra gemacht hat.

Lebenszeichen per Whatsapp-Nachricht

Der Herzchirurg aus Marburg hat vor 30 Jahren, noch zur Zeit des Friedensprozesses von Oslo, mehrere Jahre im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza gearbeitet. Damals habe er sich noch frei bewegen können und es genossen von Gaza aus über Israel und Ägypten in die ganze Welt reisen zu können. "Es gab keine schönere Zeit, als die, in der Palästinenser und Israelis in Frieden gelebt haben", sagt Elfarra. "In solchen Zeiten haben Extremisten keine Chance mehr".

Seit rund zwei Jahrzehnten wohnt er nun schon in Marburg. Bereits kurz nach seiner Ankunft dort habe er sich in der Klinik bei einem Austausch mit israelischen Studierenden getroffen und mit ihnen über den Frieden ausgetauscht. Das sei eine wunderbare Zeit gewesen, erzählt er. Vergangenes Jahr hat er in Marburg dann eine Auszeichnung der Stadt für sein ehrenamtliches Engagement erhalten.

Hamdi Elfarra sitzt in seinem Wohnzimmer, hinter ihm an der Wand hängt ein arabischer Bildteppich

Die Situation seiner Familie, die in Khan Younis im Süden des Gazastreifens lebt, sei derzeit sehr prekär, so Elfarra. Deshalb habe er versucht, seine Freunde und Bekannte mit Bildern in den Sozialen Medien auf die missliche humanitäre Situation im Gazastreifen aufmerksam zu machen.

Ein Instagram-Kanal habe ihm danach vorgeworfen, Hamas-Unterstützer zu sein. "Das hat mich sehr betroffen und sehr traurig gemacht, weil die Marburger Gesellschaft mich eigentlich kennt", sagt er. Von seiner Familie höre er indes nur etwa einmal am Tag per Textnachricht: "Wir leben noch".

Solidarität statt Rassismus und Antisemitismus

Karim Fereidooni ist Rassismusforscher und berät seit Jahren die Bundesregierung. Um rassistische oder auch antisemitische Angriffe zu vermeiden, sei vor allem Solidarität gefragt, sagt er. Echte Solidarität beginnt für ihn bei einem Einsatz für Menschen, die einem selbst eher ein bisschen fremd erscheinen.

Karim Fereidooni sitzt in seinem Arbeitszimmer und schaut in die Kamera

"Darunter verstehe ich zum Beispiel eine Solidarität von muslimischen Menschen für jüdische Menschen, die am 7.Oktober umgebracht worden sind – oder eine Solidaritätsbewegung von jüdischen Menschen, die sich dafür einsetzen, dass die Palästinenser endlich einen eigenen Staat bekommen", so Fereidooni. Auch der Antisemitismusexperte Meron Mendel spricht sich für mehr Dialog aus.

Wunsch nach Frieden ist vorhanden

Rojan Hasan möchte diesen Dialog: "Ich will Frieden haben, ich will einen Waffenstillstand. Ich will, dass wir dauerhaft alle, Israelis und Palästinenser, in Sicherheit und Frieden leben können", sagt sie. Sie werde aber viel öfter danach gefragt, was sie von der Terrorgruppe Hamas halte. Die repräsentiere nicht die gesamte palästinensische Gesellschaft. "Die Hamas ist nur ein ganz kleiner Teil Palästinas. Die verurteile ich natürlich", sagt sie. 

Zu einem Austausch über den gegenseitigen Schmerz mit jüdischen Betroffenen komme Rojan Hasan aber kaum. Sie beschäftige sich jeden Tag aufs Neue mit der Situation der eigenen Familie im Gazastreifen. Die Häuser ihres Großvaters und ihrer Tante seien mittlerweile durch Bomben zerstört worden. Ihre Cousinen hätten Regenwasser vom Boden aufgesammelt, weil es das einzige trinkbare Wasser gewesen sei.

Ein Treffen mit einer jüdischen Familie in ihrer Heimatstadt Offenbach sei aber immerhin schon in Planung, vermittelt durch einen Offenbacher Verein. Sie sei angesprochen worden und sofort begeistert gewesen. Gemeinsam essen, Erfahrungen im Umgang mit dem Nahostkonflikt austauschen, das sei das Ziel.

Wut über Äußerungen zu "importiertem Antisemitismus"

"Die Bevölkerung in Israel als auch in Palästina, egal ob im Westjordanland oder im Gaza, aber auch die Betroffenen hier in Deutschland, wir wollen miteinander reden", sagt Hasan. Es seien deutsche Politikerinnen und Politiker, die die Spaltung vorantrieben. Mit pauschalen Äußerungen zu einem vermeintlich importierten Antisemitismus oder Überlegungen, Palästinenserinnen und Palästinensern die Staatsbürgerschaft zu entziehen, würden sie bei ihr nur Wut und Frustration erzeugen.

Auch Rassimusexperte Fereidooni sagt: "Ich würde mir wünschen, dass markante Sprüche von beispielsweise Politikern nicht mehr geäußert werden, sondern auch sie dazu beitragen, den gesellschaftlichen Frieden in unserer Gesellschaft beizubehalten".

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