Wo Geflüchtete zu Lebensrettern werden: In einem Pilotprojekt bildet das Deutsche Rote Kreuz in Frankfurt Migranten zu Rettungssanitätern aus - einem Job, in dem besonders viele Fachkräfte fehlen. Doch es gibt Hürden.

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DRK bildet Migranten zu Sanitätern aus

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Abdessamad Hamiani hat es geschafft. Nach sechs Monaten Ausbildung darf sich der 35-Jährige Rettungssanitäter nennen. Trotz anfänglicher Sprachbarrieren und obwohl er früher kein Blut sehen konnte, fährt er nun in Frankfurt Einsätze für das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Der Weg dorthin sei für ihn harte Arbeit gewesen, sagt er, mindestens genauso anstrengend wie die täglichen Einsätze im Rettungswagen. Und er erforderte viel Geduld.

Hamiani wurde in Marokko geboren. 2011 floh er aus seinem Heimatland, seit ein paar Jahren lebt er in Frankfurt. Seit 2017 habe er dort vergeblich einen Job gesucht, erzählt er. Denn sein marokkanisches Abitur wurde vom Regierungspräsidium Darmstadt nicht anerkannt.

Erst 2020 erhielt er den Bescheid, der ihm immerhin einen Hauptschulabschluss zugestand. Damit bewarb er sich für das Pilotprojekt "Lebensretter integriert", in dem das Deutsche Rote Kreuz in Frankfurt seit gut zwei Jahren Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund zu Sanitätern ausbildet. 17 von ihnen haben die Rettungssanitäter-Prüfung bisher abgelegt. Abdessamad Hamiani ist einer von ihnen.

Rettungssanitäter Hamiani sitzt am Steuer des Rettungswagens.

Gegen den Fachkräftemangel

Das Programm beim DRK ist in verschiedenen Modulen aufgebaut. Erst absolvieren die Teilnehmer einen Sanitätshelfer-Kurs, dann die Ausbildung zum Rettungssanitäter. Anschließend ist noch eine Notfallsanitäter-Ausbildung möglich. Alle drei Module bestehen aus Fachkursen und zusätzlichen Sprachkursen. Außerdem werden die Teilnehmer bei der Kommunikation mit Behörden unterstützt. Praxis-Erfahrung sammeln sie in Praktika.

"Das Projekt ist aus dem entstanden, was wir beim Roten Kreuz ohnehin schon hatten: eine Ausbildungsstelle für Sanitäter, Erste-Hilfe-Kurse, Sprachkurse und eben den Rettungsdienst sowie Unterkünfte für Geflüchtete", sagt Projektleiter Kajetan Tadrowski. "Wir wollten ausprobieren, ob so ein Projekt, das alles zusammenbringt, eine Lösung für den Fachkräftemangel sein kann, den wir bei unserem Rettungsdienst haben."

477 Stellen unbesetzt

Bereits im Oktober berichtete das Deutsche Rote Kreuz in Frankfurt von Personalengpässen. Die Lage sei ernst, man befürchte, dass lebensbedrohliche Fälle bald nicht mehr schnell versorgt werden könnten, warnte das DRK in einer Pressemitteilung. Auch bei den anderen Rettungsdiensten in Frankfurt sowie dem ganzen Rhein-Main-Gebiet sei die Situation angespannt, teilte Holger Chobotsky aus der Abteilung Rettungsdienstträger bei der Frankfurter Feuerwehr mit. Corona-Erkrankungen hätten zusätzlich zu kurzfristigen Ausfällen geführt.

Das hessische Sozialministerium bestätigt das. Hessenweit bestehe ein Personalmangel - "wenn nicht durch Fachkräftemangel, dann durch gesundheitliche Personalausfälle". Derzeit seien umgerechnet 5.565 Vollzeitstellen im Rettungswesen besetzt. Weitere 137 Rettungs- und 340 Notfallsanitäter würden dringend gebraucht.

Verdi-Befragung: Mehrarbeit ist die Regel

Ein Grund für den Personalmangel könnten die Arbeitsbedingungen sein. In einer Befragung der Gewerkschaft Verdi unter bundesweit 7.000 Beschäftigten bei Rettungsdiensten kam im Februar dieses Jahres heraus, dass 84 Prozent nicht davon ausgehen, dass sie ihre Arbeit bis zum Rentenalter schaffen werden. Überstunden, verkürzte Pausen und gestrichene freie Tage zählen laut der Befragung ebenso zum Arbeitsalltag von Rettungskräften wie gewalttätige Übergriffe durch Patienten oder Angehörige.

Hinzu kommen steigende Einsatzzahlen. Bis einschließlich Oktober rückten die Rettungsdienste in Frankfurt laut Holger Chobotsky von der Feuerwehr mehr als 142.000 Mal aus. Im Vorjahr waren es insgesamt rund 145.000 Einsätze, 2020 rund 139.000. Immer häufiger wählten Menschen die 112, obwohl sie sich nicht in einer lebensbedrohlichen Situation befänden, sondern auch einfach zum Arzt gehen könnten, monierte Dierk Dallwitz, Geschäftsführer des DRK Bezirksverbands Frankfurt. Der Rettungsdienst sei vor allem durch solche Bagatelleinsätze "an der Überlastungsgrenze".

Hessenweit sieht das laut Sozialministerium so aus: Gab es 2012 noch rund 918.000 Rettungsdiensteinsätze, waren es 2017 mehr als 1.155.000. Bis Ende Oktober wurden in diesem Jahr bereits knapp 1.087.000 Einsätze gezählt.

Für Weiterbildung reicht der Abschluss nicht

Neue Mitarbeiter wie Abdessamad Hamiani werden angesichts dessen dringend gebraucht. Als Rettungssanitäter ist er bei Notfällen allerdings nur Begleitperson, um die Patienten darf er sich nicht alleine kümmern. Dazu müsste er noch die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter machen, die das DRK ebenfalls für Geflüchtete anbietet. Doch eine Voraussetzung dafür erfüllt er nicht: Weil ihm nur der Hauptschulabschluss anerkannt wurde, müsste er erst noch einen Realschulabschluss nachholen.

Rettungssanitäter Hamiani schiebt eine Patientin auf einer Bahre zum Rettungswagen.

Das neben der Vollzeit-Arbeit zu leisten, sei eine unglaubliche Belastung, sagt Projektleiter Kajetan Tadrowski, und nicht für jeden geeignet. Er verstehe, wenn Hamiani nun erst einmal abwarten wolle. "Aber ich frage mich schon, wieso jemand wie er nicht einfach weitermachen darf."

Hamiani selbst ist trotzdem froh über seine Qualifizierung: Nun habe er wieder ein Leben, sagt er. "Wenn man nur zuhause sitzt und chillt, ist das kein Leben für mich." Er sei stolz auf sich, dass er die schwierige Prüfung mit den vielen lateinischen, medizinischen Fachbegriffen geschafft habe. Ohne das DRK-Projekt hätte das wohl nicht geklappt, glaubt er.

Auch finanziell gehe es ihm nun gut, sagt Hamiani. Beim DRK verdienen Berufseinsteiger als Rettungssanitäter inklusive Bereitschaftsdiensten und Nacht- und Sonntagszuschlägen im Schnitt rund 2.900 Euro brutto im Monat. Als Notfallsanitäter wären es gut 500 Euro mehr.

Arabisch hilft bei Einsätzen

Dass er neben Deutsch auch Hocharabisch, marokkanisches Arabisch und Französisch spricht, helfe ihm nun bei seinen Einsätzen, sagt Hamiani. Zuletzt seien sie bei arabischen Patienten gewesen, die Angst bekommen hätten, als sie die Rettungskräfte sahen. "Ich habe ihnen gesagt, was passiert und wohin wir gehen. Dann waren sie froh."

Projektleiter Tadrowski würde sich wünschen, dass mehr Betriebe integrative Ausbildungsprojekte anbieten. "Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind." Dazu brauche es kleine Schritte, ist er überzeugt. Berufsqualifikationen, die aufeinander aufbauen, in Verbindung mit Sprachkursen. "Eine Sprache in der Schule perfekt zu lernen, ist nicht möglich", sagt er. "Es ist wichtig, diesen Weg gemeinsam mit den Betrieben, in der Praxis, zu gehen."

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