Gedenkfeier in Hanau mit Bundespräsident

Vor drei Jahren erschoss ein Mann in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Bei einer Gedenkstunde rief Oberbürgermeister Kaminsky zum Kampf gegen Rassismus auf. Angehörige forderten weitere Aufklärung zu dem, was in der Tatnacht geschah.

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Drei Jahre nach dem Anschlag von Hanau

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Im Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau hat der Hanauer Oberbürgermeister, Claus Kaminsky (SPD), zum Kampf gegen Hass, Rassismus und Hetze aufgerufen.

"All das richtet sich gegen Menschen, die unter uns leben, die zu uns gehören, zu unserer Stadt und unserer Nachbarschaft", sagte Kaminsky am Sonntag auf dem Hanauer Marktplatz vor rund 500 Menschen.

Bei einer Gedenkstunde wurde dort an die neun Menschen erinnert, die ein 43-jähriger Mann am 19. Februar 2020 aus rassistischen Motiven ermordet hatte, bevor er seine Mutter und sich selbst tötete.

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Ermordet am 19. Februar 2020 in Hanau

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Kaminsky sagte, die Demokratie müsse "endlich ihr wehrhaftes Antlitz zeigen" - und zwar konkret und erfahrbar. "Nehmen wir die Verantwortung an, die uns alle trifft, und halten wir dagegen an, wenn Einzelnen oder Minderheiten in unserem Land die Würde genommen wird", forderte er.

Die Grundrechte seien wertvoll, teils aber auch fragil und müssten geschützt werden. "Deshalb sagen wir allen Rassisten, allen Antidemokraten, ja allen, die mit ihren Parolen unser Land vergiften wollen: Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass!"

Angehöriger: "Zentrale Fragen zur Tatnacht ungeklärt"

Als einer der Angehörigen sprach Çetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan Gültekin bei dem Anschlag getötet wurde. "Ich denke, wir haben unsere Versprechen gehalten", sagte Gültekin an die Verstorbenen gerichtet. "Eure Namen sind nicht vergessen. Im Gegenteil: Eure Namen stehen für den Widerstand gegen den Rassismus."

An den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) gewandt, forderte Gültekin weitere Aufklärung: "Wir müssen leider immer noch aufrütteln und sensibilisieren". Bis heute seien zentrale Fragen zur Tatnacht ungeklärt.

"Sie schulden neun Familien jeweils ein Leben"

Emiş Gürbüz, Mutter des getöteten Sedat Gürbüz, bezeichnete den 19. Februar als einen "Schandfleck Deutschlands". Gürbüz forderte ebenfalls mehr Aufklärung. "Sie schulden uns neun Familien jeweils ein Leben", betonte sie. "Seit 1.096 Tagen führen wir ein Leben ohne Sedat. Ich vermisse ihn so sehr."

Überall in Hanau hätten nach der Tat zunächst Plakate gehangen mit der Aufschrift, die Opfer seien keine Fremden gewesen. "Doch das waren sie", sagte Gürbüz. "Denn wären unsere Kinder keine Fremden gewesen, so wären sie heute noch am Leben."

"Was geblieben ist, ist eine nicht heilende Wunde", sagte Ajla Kurtovic, deren Bruder zu den Opfern gehört. Man habe sie und die anderen Betroffenen mit ihren Fragen zurückgelassen - "und tut es bis heute". Die Angehörigen brauchten klare Antworten, keine Relativierungen. Sie werde weiter für Aufklärung und Konsequenzen kämpfen.

Faeser und Rhein legen Blumenkränze nieder

Claus Kaminsky (SPD, links), Oberbürgermeister von Hanau, Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin, und Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen, stehen auf dem Hanauer Hauptfriedhof zwischen Gräbern der Opfer.

Unter den Gästen der Gedenkveranstaltung waren auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), die zuvor auf dem Hanauer Hauptfriedhof Blumengestecke für die Ermordeten niedergelegt hatten.

Auf die Vorwürfe der Angehörigen wegen mangelnder Aufklärung entgegnete Faeser, es gebe "nicht immer Antworten, die man sich erwartet". Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags sei der Ort für die Aufklärung. Sie betonte zudem, dass vom Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die demokratische Grundordnung ausgehe.

Rhein und sein Stellvertreter, der Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) teilten in einer gemeinsamen Stellungnahme mit: "Was heute vor drei Jahren in Hanau passiert ist, ist bis heute unfassbar. Es ist - und bleibt für immer - grausam. Und deshalb wird und kann es niemals ein Vergessen geben: nicht bei den Angehörigen und nicht bei uns".

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erinnerte an die Toten. "Wir können den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nur stärken, indem wir die Erinnerung an die Opfer sichtbar machen", schrieb Scholz auf Twitter.

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Diskussion über geplantes Mahnmal

Bei der Gedenkveranstaltung flammte auch die Diskussion über das geplante Mahnmal für die Opfer in Hanau erneut auf. Hinterbliebene warfen der Stadt vor, sich gegen einen Standort am Marktplatz in der Hanauer Stadtmitte zu stellen. Für das Mahnmal war ein Entwurf ausgewählt, der Ort jedoch noch nicht festgelegt worden.

Kaminsky machte deutlich, dass der Marktplatz dafür nicht ausgewählt werde. Hier habe die Stadtgesellschaft mit übergroßer Mehrheit ein "Störgefühl". Für besser geeignet hält er einen Platz an dem geplanten Zentrum für Demokratie und Vielfalt, für das Faeser am Rande der Gedenkveranstaltung einen Zuwendungsbescheid in Höhe von 3,4 Millionen Euro übergab. 

Erste Gedenkveranstaltungen schon am Samstag

Bereits am Samstag kamen rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer Gedenkveranstaltung in Darmstadt zusammen. In Frankfurt nahmen rund 150 Menschen an einer von der Kommunalen Ausländerinnen- und Ausländervertretung (KAV) organisierten Kundgebung teil.

Die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) warnte dabei vor der Verharmlosung rechten Terrors. Sie forderte zudem härteres Vorgehen gegen "geistige Brandstifter, die selbst keine Gewalt ausüben, aber den Nährboden für das Wachsen und Stabilisierung rechter und rassistischer Ressentiments legen". Bei einer im Anschluss stattfindenden Demonstration waren laut Polizei in der Spitze rund 900 Menschen anwesend.

Die hessische Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) rief anlässlich des Jahrestags dazu auf, das Gedenken an die Opfer als Anlass zu nehmen, "Fremdenfeindlichkeit noch entschiedener entgegenzutreten". Das sei Aufgabe und Verpflichtung aller staatlicher Gewalt, aber auch aller Bürgerinnen und Bürger.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferta Ataman, übte scharfe Kritik am Umgang mit von Rassismus Betroffenen in Deutschland. Das zeige sich auch daran, "wenn Bundespolitiker abfällig über muslimische Jugendliche als "kleine Paschas" redeten, sagte sie mit Blick auf umstrittene Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.

Zahl der rassistischen Vorfälle gestiegen

Laut Experten nahm die Zahl der Menschen, die nach rassistischen Vorfällen Rat suchen, bundesweit und in Hessen in den vergangenen zwei bis drei Jahren spürbar zu. Das dürfte auch daran liegen, dass solche Vorfälle mittlerweile klarer gesehen und benannt würden, sagte Reiner Becker, Leiter des an der Philipps-Universität Marburg angesiedelten Demokratiezentrums Hessen, der Nachrichtenagentur dpa.

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