Plizisten beobachten Teilnehmende des propalästinensisches Protestcamp

Seit Montag steht auf dem Campus der Uni Frankfurt ein propalästinensisches Protestcamp, das betont, den Diskurs öffnen zu wollen. Die einen fühlen sich vorverurteilt, andere bedroht, wieder andere erkennen Antisemitismus.

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Protestcamp an der Goethe-Uni in Frankfurt sorgt für Aufruhr

hs 21.05.2024
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Lara Gros wohnt auf dem Campus der Goethe-Universität im evangelischen Studentenwohnheim. Die 21-Jährige hat am Sonntag wie alle anderen Studierenden ihres Wohnheims sowie des katholischen Wohnheims Post bekommen.

Die Wohnheim-Betreiber informieren darin über das propalästinensische Protestcamp auf dem Campus der Goethe-Universität und sprechen "für den Zeitraum vom 20.-26.05.2024 ein Besuchsverbot für Teilnehmende des Protestcamps aus".

Zur Begründung heißt es: "Nicht nur jüdische, auch andere Mitbewohner*innen und Mitarbeitende unserer Häuser werden ein solches Camp angesichts der Vorfälle andernorts als Bedrohung wahrnehmen. Protest kann, darf und soll laut sein, er darf auch stören. Es ist aber oberstes Gebot, den Hausfrieden und die Sicherheit in unseren Studierendenwohnheimen zu wahren."

Studierende wundern sich über Wohnheim-Schreiben

Weiter heißt es: Bei Verstößen gegen das Besuchsverbot müsse man "mietvertragliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung ziehen". Lara Gros ist empört über diese E-Mail. "Ich glaube nicht, dass ein Vermieter dir vorschreiben kann, wer Dich in Deinen privaten Räumen besuchen darf. Dass es eine solche Vorverurteilung gibt, bevor das Camp überhaupt angefangen hat, schockiert mich."

Die Universität hatte Bedenken gegenüber dem Camp geäußert und versuchte vergeblich, es zu verhindern. Zur Begründung sagte Uni-Präsident Enrico Schleiff: "Wir haben weltweit in den letzten Wochen wahrnehmen müssen, dass der Charakter von Camps nicht dazu geführt hat, dass eine Diskursbereitschaft existierte, sondern dass diese Camps von antisemitischen Äußerungen begleitet waren."

Gericht: "Sicherheit sei "nicht unmittelbar gefährdet"

Die Stadt hat ein Verbot mit dem Verweis auf die Versammlungsfreiheit für nicht haltbar erklärt. Auch der Versuch der Uni, beim Frankfurter Verwaltungsgericht die Übernachtung der Campenden zu verbieten und eine Verkürzung des Camps zu erwirken, ist gescheitert. Das Gericht urteilte, die Sicherheit sei "nicht unmittelbar gefährdet".

An die ebenfalls auf dem Campus gelegene Kita schickte die Uni im Vorfeld ein Schreiben, in dem der Uni-Präsident so zitiert wird: "Nicht nur jüdische, auch andere Studierende, Lehrende, Mitarbeitende und Gäste werden ein solches Camp angesichts der Vorfälle andernorts als Bedrohung wahrnehmen, und übrigens auch die Eltern und Kinder der nahen Campus-Kita."

Die Kita-Leiterin Andrea Nordheimer kann das nicht bestätigen. "Wir wurden nicht von Eltern angesprochen und fühlen uns nicht bedroht. Mich ärgert, dass wir ungefragt erwähnt werden. Das ist eine Pauschalisierung, dass etwas gleich mit Gewalt assoziiert wird, wenn es um Protest geht."

Das sagen die Camp-Organisatoren

Man habe sich im Camp versammelt, weil Kinder in Gaza infolge der israelischen Bombardements gestorben seien. "Stattdessen werden wir als Gefahr für den Kindergarten hingestellt", sagt Anmelder Daniel Shuminov kopfschüttelnd auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in der Nähe der etwa sieben Zelte.

Darauf angesprochen, warum etwa Banner wie "From the river to the sea – Palestine will be free" am Camp angebracht sind oder Parolen wie "Palästina ist arabisch. Palästina soll frei sein" gerufen werden, sagt Sprecher Moad: "Auch innerhalb der propalästinensischen Seite gibt es keine Homogenität. Das Camp mit wechselnden Konstellationen entscheidet gemeinsam, wie es sich äußert."

Zur Antwort auf die Frage, welche Haltung es zur Hamas hat, kommt es nicht. Beide Sprecher ringen mit den Tränen angesichts der Geschichte über das sechsjährige palästinensische Mädchen Hind Rajab, das bei der Flucht aus Gaza durch das israelische Militär getötet wurde – entsprechend ist der Campname "Hind's Garden".

Forderung jüdischer Studierender: "Ehrlicher Diskurs"

Für die Initiatoren des wenige Meter neben dem Camp stehenden Aufstellers, der formuliert, dem Camp besorgt gegenüber zu stehen, dürfte die ausbleibende Antwort kein Zufall sein. Der Text ist unter anderem initiiert von "Doktorand:innen gegen Antisemitismus" und dem "Verband Jüdischer Studierender Hessen".

Auf dem Banner heißt es etwa: "Auch wir wünschen uns Frieden für die Region, insbesondere für Israelis und Palästinenser:innen. Aber wer behauptet, sich Frieden zu wünschen, ohne sich klar von der Hamas zu distanzieren und einen ehrlichen Diskurs anzustreben, ist entweder naiv oder böswillig dazu bereit, antisemitischen Wahnvorstellungen Auftrieb zu geben."

"Jüdische Studierende fühlen sich bedroht"

Antonia Steins von den "Doktorand:innen gegen Antisemitismus" erklärt dazu: "Wir halten es auch für wichtig, auf die humanitäre Katastrophe in Gaza aufmerksam zu machen. Es geht aber um die Form und die Inklusivität. Viele jüdische Studierende verstehen den Gehalt von Begriffen wie 'Intifada' genauer als der Durchschnitt der Studierenden und sehen sich dadurch bedroht."

Die Sprecher des Protestcamps wiederum betonen, sie würden sich "wünschen, dass mit uns geredet wird, statt uns Plakate hinzustellen", so Moad.

Botschaft und Unterschriften gegen das Pro-Palästina-Camp

Inzwischen gibt es eine Stellungnahme, die sich gegen das Protestcamp richtet. Knapp 1.000 Menschen (Stand: Donnerstagmorgen) haben sie bislang unterschrieben. Erste Unterzeichnerin ist die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne). Die Initiatoren sind die gleichen wie jene, die den Aufsteller platziert haben, die Petition ist aber für einzelne Unterschriften gedacht.

Die Sorge gilt der "Errichtung eines vermeintlich 'pro-palästinensischen' Protestcamps auf unserem Campus. Vor dem Hintergrund der gewaltbereiten Proteste an US-Campi sowie an anderen deutschen Universitäten wie der FU Berlin und nachdem am 10. Mai auf dem Campus in Frankfurt bereits antisemitische Slogans gegrölt wurden, bedeutet dies eine Bedrohung des Campus-Lebens nicht nur für jüdische und israelische Studierende."

Antisemitismus-Experte sieht "klare antisemitische Forderungen"

Der Antisemitismus-Experte Meron Mendel hat mit den Protestierenden geredet und erkennt "klare antisemitische Forderungen". Die Teilnehmenden seien für einen Staat Palästina auf dem gesamten Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss, was faktisch bedeute, dass Israel nicht mehr existieren solle.

"Was sie propagieren ist, einen jüdischen Nationalismus der israelischen Rechten durch einen palästinensischen Nationalismus zu ersetzen. Beide Positionen lehnen die Existenz der anderen nationalen Gruppe ab." Hier gehe es nicht nur um die Beendigung des Krieges und auch nicht um Gleichberechtigung von Israelis und Palästinensern, wofür er wäre, so Mendel, der die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt leitet.

Camp-Sprecher: Solidarität mit Menschen in Gaza

Das Sprecher des Camps sagen, sie wollen mit dem Camp ihre Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern, mit Studierenden und Lehrenden in Gaza ausdrücken. Außerdem wollen sie durch täglich wechselndes Programm den Diskurs öffnen und die "kalte akademische Distanz überbrücken".

Abseits der Forderung, keine Waffen mehr an Israel zu liefern, habe man bisher noch keine konkreten Forderungen ausgearbeitet. Das wolle man aber noch machen. Das Protestcamp ist bis Sonntag geplant.

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