Hohe Patientenzahlen, niedriger Personalstand Kliniken geraten in der Corona-Sommerwelle unter Druck

Hohe Ansteckungszahlen, erkranktes Personal: Die Kliniken in Hessen geraten in der Corona-Sommerwelle in Nöte. Die Zahl der schweren Verläufe auf Normalstationen nimmt zu.
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Corona sorgt für Personalnot in Krankenhäusern

"Wir haben es eigentlich alle durch vom Personalteam," sagt Daniela Jennemann, Pflegerin auf der Covid-Normalstation der Helios HSK-Klinik in Wiesbaden. "Covid, nicht nur einmal, sondern zweimal - auch geimpft und geboostert", sagt sie. Trotzdem sinkt die Zahl der infizierten Mitarbeiter nicht - im Gegenteil: Derzeit sind rund 50 Pfleger und Pflegerinnen bei Helios wegen einer Coronainfektion krankgeschrieben - und das zu einem Zeitpunkt, da die Anzahl der Corona-Fälle im Klinikum wieder steigt.
50 Patienten liegen aktuell in den Isolierzimmern der Helios-Klinik - die auf den Andrang reagiert hat, indem sie jetzt zum dritten Mal im Verlauf der Pandemie eine Corona-Station aufgebaut hat. "Wir haben Höchststände an Corona-Patienten im Haus im Vergleich zur ganzen Pandemiezeit", sagt Pflegedirektorin Diana Kirscht.
Während die aktuellen, ansteckenden Varianten des Corona-Virus für Rekordzahlen sorgen, fallen auch in anderen Krankenhäusern viele Beschäftigte coronabedingt aus. "Die Anzahl der Mitarbeiter, die wegen Corona krank geschrieben sind, liegt über dem normalen Bereich", sagt Tobias Kempff, Stationsleiter der pneumologischen Intensivstation am Universitätsklinikum Gießen.
Druck auf die Krankenhäuser erreicht Höchststand
Nach hr-Recherchen ächzen derzeit viele hessische Kliniken unter der Personalnot. Gleichzeitig lagen seit der tödlichen Winterwelle 2020/21 nicht mehr so viele Patienten mit Corona auf den Normalstationen der hessischen Krankenhäuser - am 22.7. erreichte die Zahl mit 1.486 Patienten einen Jahreshöchststand.
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Wie in den vorigen Omikron-Wellen ist das zum Teil eine Folge der hohen Inzidenzen - da bei der Aufnahme ins Krankenhaus getestet wird, ist in einem Großteil der gezählten Fälle Corona nur eine Nebendiagnose. Auf Basis der Zahlen aus dem Klinikum Darmstadt lässt sich ihr Anteil auf 50-60 Prozent schätzen - wie schon in den vorigen Wellen.
Verlagerung auf die Normalstationen
Trotz der weiterhin hohen Fallzahlen ist die Lage auf den Intensivstationen in der derzeitigen Welle aber entspannter als in den vergangenen Wellen. Und: mit Omikron ist das Risiko, mit Corona auf der Intensivstation zu landen, deutlich zurückgegangen; das zeigt eine exklusive Analyse des Hessischen Rundfunks.
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Mit den Omikron-Varianten liegt der Anteil der gemeldeten Fälle bei über 60-Jährigen, die intensivpflichtig werden, konstant um 1 Prozent. In der Delta-Welle des vergangenen Herbstes lag er noch bei 7 Prozent. Praktiker bestätigen die Beobachtung, schränken allerdings ein: Schwere Verläufe dürfe man in der derzeitigen Welle nicht mehr automatisch mit der Intensivstation gleichsetzen. Der Darmstädter Lungenfacharzt Cihan Çelik hat beobachtet, dass lebensbedrohlich schwere Covid-Verläufe inzwischen häufig auf den Normalstationen zu finden sind.
„Gestorben wird mehr auf den Normalstationen. “Zitat Ende
Ein Grund sei, dass viele Patienten über eine Patientenverfügung eine Intensivbehandlung ausschließen. Diese Fälle treten meist bei sehr alten Menschen auf, sagt Çelik. Bei ihnen sei die schwere Virus-Erkrankung dann Auslöser von Komplikationen, die letztlich zum Tod führen können.
Çelik beschreibt im Interview, wie die Sommerwelle auch an seiner Klinik die angespannte Situation weiter verschärft. Allein am vergangenen Wochenende hätte sich die Zahl der Corona-Fälle um 15 auf 50 erhöht - 31 von ihnen mit schweren Symptomen. "Das bringt uns dann schon an unsere Limits". Das Klinikum Darmstadt hat auf die angespannte Lage bereits vor zwei Wochen mit einem Besuchsverbot reagiert, um keine weiteren Infektionen in die Klinik zu tragen.
Höhepunkt der Sommerwelle überschritten
Die Fallzahlen zeigen, dass die Sommerwelle allmählich auslaufen könnte. Das Bild gleicht dem der beiden vorigen Omikron-Wellen - auch wenn die gemeldeten Fallzahlen noch niedriger ausfallen, was vor allem auf das geänderte Testverhalten zurückgehen dürfte.
Da inzwischen so viele Menschen gerade eine BA.5-Infektion überstanden haben, dass das Virus kaum noch neue Nahrung findet, gehen die Infektionszahlen wieder zurück.
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Klinikdirektor spricht sich gegen Quarantäne-Verkürzung aus
Zurück zu den Personalnöten der Kliniken: Um sie zu lindern, hat Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, eine Aufhebung aller Quarantäne- und Isolationspflichten angeregt, gerade auch fürs Klinikpersonal.
Der Ärztliche Direktor des Helios-Klinikums in Wiesbaden, Prof. Ralf Kiesslich, hält von diesem Vorschlag nichts. "Wir sehen aber, dass die Mitarbeiter, die wirklich erkrankt sind, an der aktuellen Corona-Variante oft länger brauchen als die fünf Tage und auch mal zehn oder 15 Tage ausfallen."
Schon deshalb solle man den Einsatz von Pflegepersonal davon abhängig machen, ob ein negativer Test vorliegt - "weil man natürlich auch nicht möchte, dass ein Angehöriger von einem infizierten Pfleger behandelt wird."