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Lungenarzt Çelik: "Sind am Limit"

Dr. Cihan Celik

Die Zahl der Covid-Infektionen mit schweren Symptomen steigt nach Beobachtung des Lungenfacharztes Cihan Çelik am Klinikum Darmstadt. Für ihn ist der Ausblick auf den Herbst jetzt schon eine Belastung, wie er im Interview sagt.

Wenn die Zahl der Corona-Fälle in den Krankenhäusern steigt, hat das Auswirkungen auf andere Stationen. Oberarzt Cihan Çelik berichtet, dass am Klinikum Darmstadt eine Station teilweise geräumt worden ist, weil die Betten für Patienten mit schweren Covid-Symptomen gebraucht wurden. Derzeit gilt dort auch ein Besuchsverbot, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Wir haben mit dem Sektionsleiter Pneumologie über die aktuelle Lage gesprochen.

hessenschau.de: Wie erleben Sie die Situation am Klinikum Darmstadt im Moment?

Çelik: Bei uns kommen gerade drei Faktoren zusammen: Zum einen ist das Haus generell sehr voll mit einem hohen Patientenaufkommen auch jenseits vom Covid-Bereich. Zudem kommt es zu mehr Covid-Infektionen, die sowohl häufiger symptomatisch und schwer symptomatisch in der Covid-Station behandelt werden müssen, als auch "Mit-Covid-Patienten", die im Haus verteilt sind und isoliert werden müssen. Und dann sind wir noch vom Personal her eingeschränkt durch Krankheits- und Covid-Fälle. Damit können wir nicht jedes vorhandene Bett belegen.

hessenschau.de: Inwieweit hat sich die Lage durch Covid verschärft?

Çelik: Je mehr sich der Covid-Bereich ausbreitet, desto mehr müssen die Kapazitäten in den anderen Bereichen eingeschränkt werden. Das haben wir gerade in der letzten Woche wieder erlebt: Eine Station musste teilweise geräumt werden, weil die Betten für Patienten mit schweren Covid-Symptomen gebraucht wurden. Das heißt, es wurden andere Untersuchungen abgesagt. Verschiedene Abteilungen sagen alles, was aufschiebbar ist, ab. Dabei geht es auch um die Verteilung der Pflegekräfte auf den Covid-Bereich. Damit kann dann etwa ein anderer Fachbereich nur noch die Hälfte seiner Station betreiben.

hessenschau.de: Wie wirkt sich das auf die Stimmung auf den Stationen aus?

Çelik: Es ist sehr viel zu tun. Gerade der Sommer war sonst immer die Zeit, in der auch etwas mehr Erholung möglich war, auch weil sich das Personal mehr freie Tage nehmen kann. Das fällt dieses Jahr deutlich geringer aus. Durch den hohen Krankenstand muss viel eingesprungen werden. Auch der Ausblick auf den Herbst ist schon jetzt eine Belastung.

hessenschau.de: Die Fallzahlen sind jetzt schon hoch. Wie geht es weiter?

Çelik: Vermutlich werden wir es weiter mit der BA.5-Variante zu tun haben. Aber dafür gibt es keine Garantie, es kann auch eine neue Variante auftauchen. Wir rechnen aber auch mit einer Immunität bei den Menschen: Die Grund-Immunisierung ist da und auch recht hoch.

Aber gerade um die Risikopatienten, die wir momentan mit schweren Verläufen beobachten, mache ich mir Sorgen. Bei vielen dieser Menschen über 70 oder mit Vorerkrankungen wird die letzte Impfung mehr als ein halbes Jahr zurückliegen, im Herbst sogar noch länger. Daher müssen wir im Herbst mit mehr Patienten rechnen.

hessenschau.de: Wie viele Covid-Patienten haben sie aktuell?

Çelik: Zurzeit sind es im Haus mit oder wegen Covid insgesamt ungefähr 50. Schwere Symptome haben 31 Menschen, vier sind intensivpflichtig, ein Großteil bekommt Sauerstoff.

hessenschau.de: Wie stehen Sie zu den Lockerungen, etwa dem Aufheben eines Großteils der Maskenpflicht?

Çelik: Es ist ein Strategiewechsel vor dem Wissen, dass wir eine steigende Grundimmunisierung in der Bevölkerung haben. Dass das Konsequenzen im Umgang mit Covid hat, ist ja klar und da wollen wir ja auch hin. Allerdings erleben wir auch, dass Patienten mit Vorerkrankungen und hohem Risiko schon bei einem weniger schweren Covid-Verlauf ins Krankenhaus müssen.

Wenn dann in einem pandemischen Geschehen plötzlich viele Patienten auf einmal eingewiesen werden, bringt uns das organisatorisch ans Limit. In der Realität sind wir noch nicht da, wo es viele gerne hätten, die Covid nur als persönliche Erkrankung sehen möchten, die niemand anderen betrifft.

hessenschau.de: Was müsste getan werden?

Çelik: Aus meiner Sicht ist der Blick in die Krankenhäuser und auch in den ambulanten Bereich sehr wichtig, um sich über die Krankheitslast im Klaren zu sein. Und die Menschen sollten sich vor allem Gedanken darum machen: Wie ist mein individuelles Risiko und was kann ich noch tun?

Dazu gehört neben der Impfung auch die Frage: Sollte ich eine Maske tragen? Ein über 70-Jähriger sollte sich nicht unbedingt ein Beispiel an einem 20-Jährigen nehmen, der unbeschwerter unter Menschen geht. Die reine Abschottung von Riskogruppen hat bisher nicht funktioniert. Daher wird es auch wieder Instrumente wie eine Maskenpflicht geben müssen.

Das Interview führte Mike Marklove.

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