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Fridays for Future Marburg löst sich auf

Schüler demonstrieren auf dem Marktplatz in Marburg.

In Marburg gingen zeitweise 3.000 Menschen auf die Straße, um für Klimaschutz zu protestieren. Jetzt löst sich die Ortsgruppe von Fridays for Future auf – mit scharfer Kritik an der eigenen Bewegung. Dass es bei den Klimaschützern brodelt, überrascht einen Protestforscher nicht.

2018 ging alles los: Die damals 15-jährige Greta Thunberg ging freitags protestieren statt in die Schule. Schon bald darauf folgten ihr tausende Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt und demonstrierten für mehr Klimaschutz.

So auch in Marburg: Hier schlossen sich 2019 tausende Menschen den Protesten von Fridays for Future (FFF) an. In den vergangenen Jahren ging die Beteiligung an den Klimaprotesten allerdings immer mehr zurück. Jetzt hat die Ortsgruppe Marburg bekannt gegeben, sich komplett auflösen zu wollen.

In einem Instagram-Post äußert die Ortsgruppe scharfe Kritik am inhaltlichen Kurs der eigenen Bewegung auf Bundesebene und erhebt schwere Vorwürfe nach innen. Man sehe in Marburg, aber auch bundesweit keine Perspektive mehr, heißt es.

Marburgern geht FFF Deutschland nicht weit genug

"Unser Punkt ist, dass das kapitalistische System an sich falsch ist, das müsste stärker benannt werden", kritisiert der Sprecher der Marburger Ortsgruppe, Jonas Jehrke. Die Bewegung setze sich momentan falsche Ziele und appelliere an Politik und Unternehmen, "die selbst im kapitalistischen System gefangen sind".

Was die bundesweite Bewegung fordert, geht der Marburger Gruppe nicht weit genug. Zwar verlange diese von der Politik, das 1,5-Grad-Ziel beim Klimaschutz einzuhalten, nenne aber keine konkreten Maßnahmen. "Außerdem fehlt uns der Fokus auf die Menschen im Globalen Süden, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind", sagt Jehrke.

Bei einer Kundgebung von Fridays for Future hält eine Aktivistin ein Plakat mit der Aufschrift: "Ampel for future?" (dpa)

Er fordert ein klareres Handeln. "Überzeugungsarbeit reicht nicht mehr." Die Politik versäume es, Maßnahmen umzusetzen und erreiche viele Menschen nicht. Weil viele Menschen die Notwendigkeit von Maßnahmen nicht verstehen wollten, müsse man auch über Verbote sprechen.

Rassismus bei Klimaprotesten?

In der Marburger Gruppe gibt es außerdem Kritik, dass gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Kolonalismus oder die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen nicht genügend Platz bei Fridays for Future hätten.

Die Ortsgruppe wirft FFF Deutschland sogar selbst strukturellen Rassismus vor und bezieht sich auf eine Stellungnahme der Gruppe "BIPoC for Future" (Anm. der Redaktion: Die Abkürzung BIPoC ist eine Selbstbezeichnung, die sich auf Schwarze, Indigene und People of Color bezieht). Darin ist von Machtmissbrauch und rassistischem Mobbing die Rede.

Ortsgruppe Bremen löste sich aus ähnlichen Gründen auf

Die Marburger folgen mit diesem Schritt offenbar der Ortsgruppe Bremen, die sich bereits im Juli aufgelöst hat – mit nahezu identischer Begründung bis auf einen Unterschied: In Bremen hatte es auch Streit über die Haltung von FFF im Nahost-Konflikt gegeben. Die Bremer erklärten sich als "antikoloniale Gruppe" solidarisch mit den Palästinensern.

FFF Deutschland distanzierte sich in der Folge davon, bezeichnete die Äußerungen als antisemitisch und bekundete Solidarität mit Israel. In der Marburger Begründung wurden Israel und Palästina dagegen nicht erwähnt. Zu den Vorwürfen aus Marburg äußerte sich FFF Deutschland zunächst nicht.

Protestforscher: Nicht überrascht von Auflösung

Felix Anderl beschäftigt sich als Protest- und Konfliktforscher schon lange mit der Klimabewegung. Überrascht hat ihn die Ankündigung der Ortsgruppe nicht. "Es wundert mich, dass es erst so spät kommt." Fridays for Future sei lange recht stabil gewesen. Generell sei es in Protestbewegungen ganz normal, dass es Konflikte gibt und Gruppen sich auflösen oder neu gründen.

Die von der Marburger Gruppe angesprochene Systemkritik und die Forderungen in anderen sozialen Fragen würden grundsätzlich von vielen FFF-Anhängerinnen und Anhängern geteilt, erklärt Anderl. "Dass es da brodelt, ist bekannt."

Mann

Fridays for Future in Deutschland habe diese Themen in der Vergangenheit aber meist bewusst gemieden - aus taktischen Gründen, meint der Professor: "Wenn man über Kapitalismus und andere große strukturelle Themen wie etwa Rassismus sprechen will, wird man in Deutschland schnell von Debatten ausgeschlossen."

Stattdessen habe man sich auf recht technische Forderungen fokussiert, wie etwa das 1,5 Grad-Ziel. Das "entrücke" den Klimawandel aber aus dem größeren Kontext – und daran gebe es zunehmend Kritik in der deutschen Bewegung sowie von globalen Partnern.

Zu den Rassismus-Vorwürfen sagte Anderl, es sei richtig, dass die Bewegung in Deutschland sehr weiß und akademisch sei. Das könne man den einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten nicht vorwerfen. Der Bewegung sei aber nicht ausreichend gelungen, andere soziale Gruppen anzusprechen. "Das ist auch nicht so einfach, daran scheitern viele aktivistische Gruppen."

Ein bisschen mehr wie die Letzte Generation?

Dass es trotzdem mit der Klimaschutzbewegung in Marburg weitergeht, davon ist FFF-Sprecher Jehrke überzeugt. Über das "Wie?" werde zurzeit viel diskutiert. Eine Möglichkeit wäre, die verschiedenen Gruppen in Marburg besser zu vernetzen. "Hier gibt es gefühlt zehn Gruppen mit dem gleichen Ziel. Da wäre sicher mehr Zusammenarbeit möglich."

Auch über eine Änderung der Protestform diskutiere man in Marburg. "Wir überlegen, wie wohl wir uns mit zivilem Ungehorsam fühlen würden." Aktionen wie die Letzte Generation wolle man aber nicht machen, "weil es die Menschen trifft, die wir überzeugen wollen". Eher könnten sich die Aktionen und Informationskampagnen auf klimaschädliche Akteure und Unternehmen konzentrieren.

Anmerkung: In einer früheren Version stand, Greta Thunberg habe 2015 erstmals gestreikt. Wir haben die Angabe korrigiert.

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