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Notunterkunft in Haiger soll bis zu 250 Menschen aufnehmen

Tisch, Stühle und Doppelstockbett in einen Schlafraum in der Notunterkunft - vor dem Bezug durch Geflüchtete.

Der Lahn-Dill-Kreis kommt mit der Aufnahme von Geflüchteten kaum noch hinterher. Weil es zu wenig freien Platz in den Kommunen gibt, hat der Kreis in Haiger bereits die dritte große Sammelunterkunft gebaut - diesmal direkt neben der Autobahn.

Am Freitag hat der Lahn-Dill-Kreis eine neue provisorische Not-Unterkunft für Geflüchtete in Betrieb genommen. An der Kalteiche in Haiger sollen bis zu 250 Menschen in Leichtbauhallen leben. In einem Gewerbegebiet direkt neben der A45 und dazu auch noch etwa fünf Kilometer entfernt von der Stadt.

Erst vor einem Jahr hatte der Kreis die erste große Not-Unterkunft für Geflüchtete in Betrieb genommen - ein ehemaliges Oktoberfestzelt in Wetzlar-Finsterloh. Das große Zeltdorf bot in den kleinen, offenen Schlafkabinen kaum Privatsphäre und generell gab es wenig Beschäftigungsmöglichkeiten für die Menschen. Auch deswegen sollte nach Auffassung des Kreises eine derart große Sammel-Unterkunft eigentlich eine Ausnahme sein.

2.600 Geflüchtete sind im Jahr 2023 dazugekommen

Ein Jahr später nun hat sich die Lage nur wenig verändert: Nach wie vor werden so viele Menschen aus der Erstaufnahme an die Kreise und Kommunen zugewiesen, dass die Verantwortlichen nach eigenen Angaben kaum noch hinterherkommen. In diesem Jahr sind alleine im Lahn-Dill-Kreis etwa 2.600 Geflüchtete dazugekommen und der Platz für die Unterbringung ist immer noch knapp.

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Notunterkünfte im Lahn-Dill-Kreis

Die Container an der Kalteiche sind bereits die dritte Unterkunft dieser Art im Lahn-Dill-Kreis. In Hüttenberg-Rechtenbach und an der Bachweide in Wetzlar stehen bereits zwei weitere Not-Unterkünfte mit Platz für bis zu 250 Menschen. Beide sollen bis zum Frühjahr bleiben, mit Option auf Verlängerung um ein weiteres halbes Jahr. In Haiger werden die Hallen im Sommer entweder abgebaut oder um sechs Monate verlängert.

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Noch vor Weihnachten ziehen die ersten Menschen ein

"Wir sind in einer Notsituation", sagt Gero Lottermann, zuständig für Zuwanderung und Integration im Kreis. "Unsere Unterkünfte sind aktuell zu etwa 90 Prozent ausgelastet." Ohne die Leichtbauhallen an der Kalteiche wäre es bis Weihnachten schwierig geworden, die Obdachlosigkeit der Menschen zu verhindern. Der Standort sei "ungünstig", räumte der Kreis ein, wegen der Autobahn und der Entfernung bis Haiger.

Gang im Container in der Notunterkunft in Haiger

Bereits am Freitag zogen die ersten 44 Menschen in Haiger ein, bis zu den Festtagen sollen etwa 50 weitere dazukommen. Dass die Belegung nur einen Tag nach der Fertigstellung der Leichtbauhallen begonnen hat, zeigt laut Lottermann die Not, in der sich der Kreis befindet.

Provisorische Bushaltestelle und höhere Taktung

Der Standort in Haiger ist allerdings alles andere als optimal: Ein Problem ist der Autobahn-Lärm. In der Verpflegungshalle mit Küchenzeilen, Spülbecken und Aufenthaltsräumen ist dieser besonders laut. Außerdem dauert eine Fahrt zur Kreisbehörde für die Geflüchteten mindestens 90 Minuten. Die Menschen müssen erst mit dem Bus nach Haiger und dann mit der Bahn nach Wetzlar, um ihre Papiere zum Amt zu bringen.

Am Montag soll eine provisorische Bus-Haltestelle vor der Unterkunft eingerichtet werden. Kreis und Stadt sprechen zudem mit der Verkehrsgesellschaft Lahn-Dill-Weil (VLDW) über eine höhere Taktung der Busse. Haigers Bürgermeister Mario Schramm (parteilos) kündigte darüber hinaus an, dass der Bürgerbus den Transport nach Haiger unterstützen werde.

Eine Spielecke mit Kindertisch und Weihnachtsbaum in der Notunterkunft in Haiger

An den Autobahn-Lärm gewöhnen

Was den Lärm angeht, ist sich der Bürgermeister sicher: "Ein schutzsuchender Mensch, dem ist das Geräusch von fahrenden Autos eher egal, da gibt es andere Geräusche, mit denen man mehr Probleme hat." Natürlich sei die Autobahn nicht wegzudenken, aber die Anwohner im Ort Sechshelden hätten sich auch mit dem Auto-Lärm arrangieren können.

In den Schlafkabinen sei die Autobahn weniger laut zu hören, erklärt der im Kreis für Zuwanderung und Integration Zuständige Lottermann. "Wir haben bei der Platzierung der Objekte auf dem Gelände auf den Lärm geachtet.". So stünden die Container mit den Duschen und Toiletten als eine Art Lärmschutz in Richtung der Bundesstraße. Außerdem würden die Geflüchteten rund um die Uhr vom Deutschen Roten Kreuz betreut.

Menschen können sich selbst versorgen

Aus anderen provisorischen Unterkünften, wie sie in Wetzlar-Finsterloh oder auch in Haiger auf dem Paradeplatz gestanden haben, haben die Verantwortlichen offenbar einige Lehren gezogen: Die Leichtbauhallen auf der Kalteiche bieten im Vergleich dazu bessere Wohnbedingungen.

Herde und Spülen im Container in Haiger

Ein Faktor dafür ist nach Angaben des Kreises, dass sich die Geflüchteten selbst versorgen können. Es gibt Kühlschränke, Kochplatten und Spülbecken für den Eigenbedarf. In Wetzlar-Finsterloh und am Paradeplatz in Haiger sei das nicht der Fall gewesen, dort sei das Essen fertig angeliefert worden.

Mehr Platz in den Schlafkabinen als noch vor einem Jahr

Es gibt auch ein Spielzimmer für Kinder und einen größeren Aufenthaltsraum für Erwachsene. Davon verspricht sich Bürgermeister Schramm, dass die Menschen häufiger miteinander in Kontakt kommen. "Vielleicht wird zusammen gekocht, vielleicht halten sich mehr Familien mit ihren Kindern hier auf. Die Menschen werden anders als am Paradeplatz beschäftigt – und das ist gut."

Außerdem seien die Schlafkabinen "deutlich größer" als in Finsterloh. Nach wie vor gebe es zwei Etagenbetten pro Zimmer. Daneben sei aber ein Tisch mit Stühlen und genug Platz, um für Familien mit mehr als vier Personen auch ein Kinderbett dazuzustellen.

Manches könne man aber auch einfach nicht besser machen, gibt Projektleiter Nicolas Hartmann zu. "Es wäre schön, wenn wir Zimmer hätten, die nach oben hin zu sind, aber das geht einfach nicht anders."

Der Bau von langfristigen Unterkünften verzögert sich

Vieles ist eben provisorisch, trotzdem betonen die Verantwortlichen, die Unterkunft selbst sei alternativlos. Eine andere Fläche in dieser Größenordnung stehe derzeit nicht zur Verfügung. "Die Leichtbauhallen sind eine einfache und schnelle Lösung, aber auch nur kurzfristig eine Hilfe", so Hartmann. Langfristig brauche es kleinere Unterkünfte, die dann auch mehrere Jahre stehen bleiben könnten.

In Solms ist der Bebauungsplan für eine Unterkunft für bis zu 200 Menschen im Ortsteil Albshausen bereits rechtskräftig. Laut Bürgermeister Frank Inderthal (SPD) gebe es aber Klagen von Anwohnern gegen die Baugenehmigung für die Aufschüttung des Geländes.

Auch an anderer Stelle gibt es Verzögerungen. Am Schwimmbad in Braunfels wird der seit Monaten geplante Bau einer Unterkunft für ähnlich viele Menschen frühestens im Februar abgeschlossen sein.

Die Toiletten der Notunterkunft sind in einem eigenen Container, Ansicht von außen

Langfristig weg von den Containern

Langfristige Lösungen mit besseren Wohnbedingungen sind nach Kreisangaben das Ziel. Sie seien stabiler gebaut, die Menschen müssten nicht in Containern duschen und auf die Toilette gehen. Aber: Das Genehmigungsverfahren sei komplexer, es könne Rechtstreite geben und eine Investition dieser Größenordnung müsse oft europaweit ausgeschrieben werden.

Auch in anderen hessischen Landkreisen hat das zur Folge, dass stattdessen provisorische Sammelunterkünfte gebaut werden: In Beselich (Limburg-Weilburg) etwa sollen noch vor Weihnachten bis zu 312 Menschen im Ortsteil Obertiefenbach in ein Containerdorf ziehen. Und in Großen-Buseck (Gießen) wird Anfang des kommenden Jahres eine temporäre Unterkunft für bis zu 120 Menschen in Betrieb genommen.

Appell an die neue Landesregierung

Stellvertretend für alle anderen hessischen Kommunen appelliert Haigers Bürgermeister Schramm daher an die kommende Landesregierung: "Es müssen Veränderungen her. Wir, die Kreise und Kommunen, stehen heute wie vor einem Jahr mit dem Rücken zur Wand." Vor allem hoffe er, dass Lösungen gefunden werden, um den Geflüchteten schneller zu einer Arbeit zu verhelfen. Denn davon könne auch das Gewerbegebiet an der Kalteiche profitieren.

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