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Frankfurt will Vier-Tage-Woche in Heimen testen - Begeisterung bleibt aus

Eine Pflegekraft geht mit einer älteren Dame über einen Korridor.

Wenn es um bessere Arbeitsbedingungen geht, wird meist die Vier-Tage-Woche als mögliches Heilmittel genannt. Die Stadt Frankfurt will diese nun in der Pflege erproben. Doch die Heime sind ganz und gar nicht begeistert.

Wie kann der Pflegeberuf attraktiver werden? Diese Frage müssen sich Politik und Einrichtungen stellen - und direkt beantworten. Bestenfalls gestern schon. Denn die Pflege ist gleich doppelt vom demografischen Wandel betroffen: Der Bedarf an Plätzen in Pflege- und Senioreneinrichtungen nimmt kontinuierlich zu, während der Markt an Pflegekräften seit Jahren wie leergefegt ist.

Die Stadt Frankfurt hat sich deshalb eine Lösung überlegt: Mit einem Modellversuch will die Römer-Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt erproben, ob eine Vier-Tage-Woche den Beruf attraktiver macht. Bei vollem Lohnausgleich sollen die Pflegekräfte nur noch 32 Stunden statt 40 arbeiten müssen. Eine "besonders geeignete" Einrichtung sollte laut Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom vergangenen Juni noch ausgewählt werden.

Bloß: Bislang hat sich kein einziges Heim für den Modellversuch beworben. Und das wird wohl auch nicht passieren.

"Können Pflegekräfte nur aus anderen Einrichtungen abwerben"

In einer jetzt bekannt gewordenen Stellungnahme, um die der Magistrat den Arbeitskreis Altenhilfe der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Frankfurt bereits im Dezember gebeten hatte, äußert dieser große Bedenken. Die Liga vertritt sechs Organisationen, die Senioren- und Pflegeeinrichtungen betreiben: Arbeiterwohlfahrt (Awo), Caritas, Deutsches Rotes Kreuz Frankfurt, Diakonie Frankfurt und Offenbach, Jüdische Gemeinde und Der Paritätische.

Grundsätzlich sei es richtig, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sagt Frédéric Lauscher, der bis vergangenes Jahr Sprecher des Arbeitskreises Altenhilfe war - also zum Zeitpunkt der Stellungnahme. Doch der Modellversuch sei zu kurz gedacht.

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„Natürlich sind wir nicht dafür, die Last auf den Pflegekräften abzuladen.“ Frédéric Lauscher Frédéric Lauscher
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Der konkrete Antrag des Magistrats beziehe sich nur auf eine Berufsgruppe, die in den Heimen beschäftigt ist: die der Pflegekräfte. Würden diese bei selbem Gehalt nur noch vier Tage arbeiten, verdienten sie pro Stunde plötzlich mehr als eine Heimleitung, sagt Lauscher. "Besonders ärgerlich" sei die Beschränkung auf Pflegekräfte jedoch für die hauswirtschaftlichen Kräfte, die ohnehin schon weniger Lohn bekämen.

Bedenken wurden in der Stellungnahme auch aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive geäußert. "Wir fischen ja sozusagen im leeren Teich und können Pflegekräfte nur aus anderen Einrichtungen abwerben", erklärt Lauscher. Er befürchte einen "Kannibalisierungseffekt". "In einer Situation, wo der Pflegenotstand immer dramatischer wird, wird aus nichts nicht mehr, wenn man 20 Prozent abzieht."

Zehntausende Pflegekräfte mehr benötigt

Zwar ist die Zahl der Auszubildenden zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau 2023 leicht gestiegen. Bundesweit 53.900 Auszubildende unterschrieben in dem Jahr einen Ausbildungsvertrag (2022: 52.100), zum Jahresende 2023 befanden sich rund 147.000 Menschen in der Pflegeausbildung.

Doch Prognosen des Statistischen Bundesamts zeigen, dass das nicht reichen wird. Denn zugleich gehen zahlreiche Pflegekräfte in Rente. Schon jetzt fehlen bundesweit demnach zehntausende Pflegekräfte. In zehn Jahren werden es je nach Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt 100.000 bis 400.000 sein, bis 2049 sogar bis zu 690.000.

Für Hessen rechnet das Sozialministerium bis 2030 mit einer Zunahme der Pflegebedürftigen um 11,7 Prozent. 347.000 Menschen in Hessen werden dann auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein. Da viele Pflegekräfte bis dahin in Rente gehen werden, seien allein in Hessen 20.000 zusätzliche Altenpflegekräfte nötig.

Die Diskussion über eine Vier-Tage-Woche verdecke die grundlegenderen Probleme, meint Lauscher. Schließlich sei der demografische Wandel seit Jahrzehnten bekannt, ebenso, dass die besonders geburtsstarken "Babyboomer"-Jahrgänge nun in Rente gehen - nur vorbereitet habe man sich darauf nicht: "Wir müssen uns ehrlich machen, auf was für eine Katastrophe wir zusteuern. Die nächsten 20 Jahre werden hart."

Heimplätze werden teurer

Dem Magistrat sind diese Probleme bekannt. "Derzeit loten wir verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung der Bedingungen in der Pflege aus, die den Kritikpunkten Rechnung tragen", teilte ein Sprecher des Gesundheitsdezernats auf Anfrage mit.

Pro Heimplatz rechnet der Magistrat zudem mit Mehrkosten von 650 Euro im Monat. Denn durch die Vier-Tage-Woche steige der Personalbedarf, schließlich müssen die gesetzlich vorgegebenen Betreuungsschlüssel trotz des Modellversuchs eingehalten werden.

Überlegungen dazu, wie das Projekt umgesetzt werden kann, wo Mitfinanzierungen durch Dritte möglich wären und welche wissenschaftliche Begleitung angemessen wäre, will der Magistrat den Stadtverordneten in einem finalen Bericht vorlegen. Bislang bleibt also offen, wie er die Heime doch noch davon überzeugen will, an dem Projekt teilzunehmen.

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