Audio

Reaktionen auf das Aus dreier Pflegeheime

 Eine Jugendliche blickt aus einem Fenster. (dpa)

Wegen Insolvenz des Betreibers verlieren bis zu 113 Bewohner von Bad Nauheimer Pflegeheimen bis Ende August ihre Plätze. Die Menschen verlieren damit alles, erzählen ihre Betreuer - und üben scharfe Kritik am Betreiber.

Zeit, den Schock zu verarbeiten hat Ines Matussek nicht. Sie ist rechtliche Betreuerin von vier psychisch kranken Menschen, das heißt, sie unterstützt sie bei rechtlichen Angelegenheiten. Die Menschen leben in Bad Nauheimer Pflegeheimen - von denen mindestens zwei wohl bis Ende August geschlossen werden.

Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass der Betreiber Dorea Gruppe die Heime Haus Württemberg, Haus Regina und Haus Christa schließen will. Das Haus der Gruppe am Sprudelhof soll mit neuem Träger bestehen bleiben. Und für das Haus Württemberg ist laut einer Mitteilung vom Samstag möglicherweise auch eine Übernahme in Sicht.

"Probleme, die eigentlich nicht lösbar sind"

Die Verunsicherung ist riesig, Ines Mattusek verbringt ihre Tage derzeit am Telefon: "Ich versuche, Lösungen zu finden, telefoniere mit Kostenträgern, mit Angehörigen, die sich Sorgen machen", erzählt sie. "Deswegen komme ich im Moment gar nicht dazu, Emotionen zu entwickeln." Die finanziellen Probleme der Dorea Gruppe seien länger bekannt, die angekündigten Schließungen seien dennoch ein Schock gewesen.

Matussek steht nun vor Problemen, "die eigentlich nicht lösbar sind", wie sie sagt. Rund einen Monat hat sie, um neue Plätze für ihre Betreuten zu finden – für Menschen, die an Schizophrenie, Depressionen oder Demenz erkrankt sind. Menschen, für die es spezialisierte Einrichtungen und Fachkräfte braucht – die es im Wetteraukreis aber nicht ausreichend gibt.

"Wohnortwechsel ist Katastrophe"

Sollte sie welche in benachbarten Kreisen finden, haben die Angehörigen das Problem, längere Fahrzeiten für Besuche auf sich nehmen zu müssen. Doch für psychisch erkrankte Menschen ist "allein schon der Wohnortwechsel eine Katastrophe", wie Matussek betont. Die Gespräche mit ihnen seien teils sehr schwierig gewesen.

Frau und Mann vor einem Pflegeheim in Bad Nauheim.

Die Menschen leben teils schon seit 20 Jahren in den Häusern, erklärt sie: "Die Häuser sind ihre Heimat, sie leben dort in gewachsenen Beziehungen, haben Bindungen zu den Mitarbeitern, geregelte Abläufe, Stabilität. Ein Wechsel zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg."

"Keine Obdachlosigkeit riskieren"

Ihr Kollege Harald Stipp-Lass berichtet von einem Betreuten im Haus Christa, der sich schlicht weigern wolle, das Haus zu verlassen. Der Mann, der an paranoider Schizophrenie leide, lebe seit vier Jahren dort. Er hatte endlich ein Einzelzimmer gefunden, in dem er sich sehr wohl fühle.

Zudem sei die Familie in der Nähe, und der Mann medikamentös so gut eingestellt, dass er in einer Tagesstätte arbeiten gehen könne. "Womöglich muss ich gegen seinen Willen etwas Neues suchen", sagt Stipp-Lass. "Wir können nicht riskieren, dass diese Leute in die Obdachlosigkeit gehen." Bei einem Patienten wie diesem könne man auch nicht einfach ein Bett auf einen Gang stellen, betont er.

Bessere Informationspolitik gefordert

Beide, Ines Matussek und Harald Stipp-Lass, sind zornig auf den Träger Dorea. "Es gibt bislang keinerlei Informationen dazu, was mit den Patienten passiert, die nach dem 31. August noch keinen neuen Platz haben", sagt Matussek.

Dem hr hatte die Dorea Gruppe auf Anfrage schriftlich mitgeteilt, Angehörige und Betreuer würden bei der Suche nach neuen Plätzen unterstützt. Es liefen auch schon Verhandlungen mit anderen Heimen. Die Kurzfristigkeit der Kündigung erklärte die Gruppe damit, dass sie die Mitarbeiter nicht habe verunsichern wollen, so lange Verhandlungen liefen.

"Gerüchte und Zeitungsartikel"

"Wir erfahren alles nur über Gerüchte oder Zeitungsartikel", ärgert sich Harald Stipp-Lass trotzdem. "Es gibt noch kein offizielles Schreiben, keine offiziellen Kündigungen der Heimverträge – so dass wir auch keinen Widerspruch oder Rechtsmittel dagegen einlegen könnten."

Auch zur Zukunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe es weiter keine Informationen. Dazu teilte Dorea dem hr mit, dass diese selbst entscheiden würden, ob sie im Unternehmen an einem anderen Standort bleiben oder nicht – ein entsprechendes Angebot würden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten.

Ines Mattusek hofft trotz der Probleme auf ein gutes Ende für alle Beteiligten: "Es muss ja irgendwie weitergehen."

Verdi: "Pflegeheime suchen händeringend Personal"

Die Schließungen hatten auch ein politisches Echo ausgelöst. Bürgermeister Klaus Kreß (parteilos) sagte dem hr, die Stadt werde die Betroffenen unterstützen, wo sie nur könne, der Handlungsspielraum sei letztendlich aber gering. Anette Hergl von der Gewerkschaft Verdi in Frankfurt sieht für die Dorea-Beschäftigten keine Probleme, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. "Die Pflegeheime suchen händeringend Personal aller Qualifikationsanforderungen. Viele stehen vor dem Kollaps", sagte sie dem hr. "Die Pflegekräfte und Betreuungskräfte können sich quasi aussuchen, wo sie arbeiten wollen."

Philipp Stielow vom Sozialverband VdK Hessen-Thüringen sieht Fälle wie diesen äußert kritisch. Er beobachtet, dass immer mehr private Investoren die Pflegebranche für sich entdecken – und dabei oft auf verschachtelte Firmengebilde setzen. Er sieht die Politik gefordert, hier transparente Rahmenbedingungen und Notfallpläne für Insolvenzen zu schaffen.

Weitere Informationen

Hintergrund

Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Pflegeheimbetreiber Dorea mit Sitz in Berlin drei seiner vier Pflegeheime in Bad Nauheim (Wetterau) schließt. Zunächst hieß es, dass das Haus Württemberg, das Haus Regina und das Haus Christa betroffen seien. In den Einrichtungen leben insgesamt 113 Bewohnerinnen und Bewohner, für die 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig sind.

Für das Haus Württemberg steht Dorea nach einer Mitteilung vom Samstag inzwischen allerdings in Verhandlungen mit dem potenziellen neuen Betreiber, der VONBERG-Gruppe. Eine mögliche Übernahme werde aktuell geprüft, sodass der laufende Betrieb der Pflege-Einrichtung fortgeführt werden könne.

Ende der weiteren Informationen
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen