Thomas Scheffer

Die Ergebnisse des hr-Hessentrends machen es deutlich: Die Sorge um den eigenen Wohlstand wächst, besonders jüngere Menschen plagen Abstiegsängste. "Die Leute merken, dass die Luft dünner wird", sagt der Frankfurter Soziologe Thomas Scheffer im Interview.

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Energiekrise belastet Alleinerziehende in Hessen

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Angesichts der aktuellen Krisen machen sich sechs von zehn Hessinnen und Hessen Sorgen um den eigenen Wohlstand. Das ist das Ergebnis des repräsentativen hr-Hessentrends. Jüngere Menschen von 18 bis 34 Jahren sind mit 65 Prozent häufiger besorgt als Ältere ab 65 Jahren (51 Prozent). Im Interview äußerst sich der Frankfurter Soziologie-Professor Thomas Scheffer zur angespannten Lage der Nation.

hessenschau.de: Viele Hessinnen und Hessen haben Abstiegsängste. Dabei leben wir doch in einem vergleichsweise wohlhabenden Land. Sind das Luxussorgen?

Thomas Scheffer: Nein, das sind keine Luxussorgen, die sind tief aufgehängt. Wir haben es mit einer Lage zu tun, in der sich verschiedene existenzielle Probleme gegenseitig befeuern. Das schafft durchaus realistische Zukunftsängste. Vor dem Hintergrund, dass sich die Zukunftsaussichten eintrüben, wird es immer entscheidender, über welche Reserven man verfügt. Man sieht es auch an der Regierung, die auf Reserven zurückgreift. Aber auch die Privathaushalte greifen auf Reserven zurück und können absehen, wann diese Reserven erschöpft sind.

hessenschau.de: Haben die Menschen Angst, dass sie das, was sie sich an Status erarbeitet haben, verlieren?

Scheffer: Ja, aber es ist durchaus interessant, dass diese Abstiegsängste dort größer sind, wo eine Berufskarriere noch nicht zum Abschluss gekommen ist: bei der jüngeren Generation. Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass die Reserven so wichtig sind. Wenn man das Gefühl hat, das Auskommen ist gesichert oder man hat seine Rente, dann kann man die Dinge womöglich ein bisschen gelassener sehen. Aber wenn sich das alles erst finden muss, ist das noch mal dramatischer.

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hessenschau.de: Die Abstiegsängste erreichen die Mittelschicht. Was bedeutet das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Scheffer: Der wird auf die Probe gestellt. Da sehen wir eine leichte Neigung - ohne das zu dramatisieren - hin zum Rechtsextremen. Es ist auffällig, wer von dieser Angst profitiert. Da ist die Gefahr, angesichts dieser verschiedenen Probleme in so etwas wie eine Problemverdrängung hineinzukommen. Dass man sich diesen Problemen nicht stellt und man stattdessen sagt: Das ist mir zu viel, damit will ich nicht konfrontiert werden. Das wäre tatsächlich zu einfach.

hessenschau.de: Durch die Corona-Pandemie ist die Gesellschaft krisenerprobt. Warum scheinen die Folgen des Ukrainekrieges sie noch härter zu treffen?

Scheffer: Es wird noch einmal unübersichtlicher, auch weil die Lösungsvorschläge, die für manche Probleme im Raum stehen, gleichzeitig andere Probleme verschärfen. Das politische Agieren hat sozusagen auch in den letzten Jahrzehnten womöglich Reserven aufgebraucht, die uns jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen, um bestimmte Probleme abzupuffern. Die Leute merken, dass die Luft dünner wird. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Systemvertrauen schwindet - also das Vertrauen in die Kapazität unserer gesellschaftlichen Instanzen. Denn dann würde man das Feld denen überlassen, die gar nicht erst vorhaben, sich mit den Problemen zu befassen.

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Zur Person

Thomas Scheffer ist stellvertretender geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Forschungen zur Politischen Soziologie. Insbesondere schreibt er über Krisen und existenzielle Probleme.

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hessenschau.de: Würde der Krieg gegen die Ukraine ein Ende finden, wären dann auch gleichzeitig die Zukunftssorgen weg?

Scheffer: Nein, wir haben tiefsitzende Probleme mit dem Klimawandel. Die Umstellung der Energieinfrastruktur und der Verkehrsinfrastruktur wird sehr mühsam werden. Auch der soziale Ausgleich, also den Leuten zu ermöglichen, auch wieder Reserven aufbauen zu lassen, das wird eine große Aufgabe sein.

hessenschau.de: Wie kann die Politik den Menschen ihre Sorgen nehmen?

Scheffer: Sie muss sich einerseits trauen, die Probleme auszusprechen. Es darf auch dargestellt werden, dass eine Lösung nicht einfach auf der Hand liegt, und dass populistische Lösungsvorschläge da nicht weiterhelfen. Aber es muss der ernsthafte Wille deutlich werden, sich an diesen Problemen tatsächlich auch abzuarbeiten, sich ihnen zuzuwenden. Und zwar ohne, dass man ein Problem auslässt. Das ist die Schwierigkeit.

Das Interview führte hr-Landtagskorrespondent Benjamin Holler

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