Eine Person (von hinten fotografiert) steht vor einem Smartboard, auf dem Verben der türkischen Sprache in einer Tabelle angeordnet sind.

Im zweiten Jahr können hessische Schulen Türkisch als zweite Fremdsprache anbieten. Die Resonanz ist bisher überschaubar. Kritiker führen das auf die Art des Angebots zurück. Doch dass das Fach erst Modellcharakter hat, hat auch ganz praktische Gründe.

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Unterrichtsfach Türkisch in Lollar

Unterricht im Klassenzimmer
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Warum Letizia jetzt Türkisch lernt? "Mich hat's geärgert, dass ich meinen türkischen Freundinnen oft nicht folgen kann. Sie sagen manchmal lustige Dinge, und ich verstehe sie nicht. Ich wollte auch so reden." Und deswegen hat sich die 13-Jährige zu diesem Schuljahr für Türkisch als Teil ihres Schulunterrichts an der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar entschieden. Das ist in vielerlei Hinsicht besonders.

Die Kooperative Gesamtschule im Kreis Gießen ist eine von nur drei Schulen in ganz Hessen, die Türkisch als zweite Fremdsprache anbieten. Nicht als Wahlfach, sondern im normalen Unterricht, zwischen Mathe und Englisch.

Letizia kommt aus einer italienischen Familie. Dass die Siebtklässlerin jetzt bis zu ihrem Schulabschluss nach der zehnten Klasse Türkisch lernen will, freut ihre Mutter. Raffaela Gangale hat ihre Tochter dazu ermutigt. Das sei ja eine schöne Sprache, habe sie zu Letizia gesagt, erzählt die Mutter: "Und wenn wir in Urlaub fahren in die Türkei, wird uns das sicher viel nutzen." 

Schleppendes Interesse

Letizia ist eine von 15 Schülerinnen und Schülern, die an der Clemens-Brentano-Europaschule ab diesem Schuljahr Türkisch lernen. In dem Kurs sind Kinder aus deutschen, bosnischen, irakischen und syrischen Familien, nur etwa die Hälfte kommt aus türkischen Familien. Sie sind fast alle hier geboren und können die Sprache ihrer Eltern oder Großeltern oft nur sehr spärlich.

Im Vordergrund Oberkörper eines Mädchens, das in die Kamera lächelt. Im Hintergund unscharf ein Klassenzimmer.

Der Türkisch-Unterricht soll die Sprache auf so hohem Niveau wie möglich vermitteln: als Bereicherung des Lebens und als Baustein für berufliche Pläne und Möglichkeiten. Seit dem vorigen Schuljahr gibt es das Angebot in Hessen.

Das Interesse ist allerdings eher schleppend. Die Zahl der Türkisch-Schüler in ganz Hessen liegt in diesem Schuljahr bei 31, so berichtet es das Kultusministerium. Nur eine Schule kam seit 2022/2023 demnach hinzu, die den Unterricht anbietet. In Kassel entschieden sich zum vorigen Schuljahr gerade mal sieben Schülerinnen und Schüler für den Türkisch-Unterricht.

Nach Ansicht von Oppositionspolitikern folgt diese traurige Zwischenbilanz auch aus der Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung, den Türkisch-Unterricht vorerst nur als Schulversuch einzuführen.

SPD-Abgeordneter findet Modellversuch diskriminierend

Das Kultusministerium könnte Türkisch doch ebenso gut als regulären Fremdsprachenunterricht wie beispielsweise Italienisch oder Russisch anbieten, findet der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel. Dass es den Unterricht dieser Sprache nur als Modellversuch gibt, signalisiere, dass das Angebot nicht ernst genommen werden könne. "Diese Entscheidung, bei einer so weit verbreiteten Sprache in den Familien in Hessen erst einmal einen Schulversuch voranzustellen, ist diskriminierend", sagt Yüksel.

Das Argument des Kultusministeriums gegen eine Einführung der Sprache in den Unterricht ohne Schulversuch ist, dass Türkisch keine Weltsprache sei. Für die Zukunft der Kinder seien andere Sprachen wichtiger und verbreiteter, sagt ein Sprecher.

Im Vordergrund Oberkörper eines Mannes, der in Richtung Kamera schaut. Im Hintergund unscharf ein Fenster.

Yüksel sieht darin eine Ungleichbehandlung gängiger Sprachen. Dazu gehört für ihn Türkisch. Italienisch zum Beispiel sei genau genommen auch keine Weltsprache, und trotzdem sei diese Sprache selbstverständlich Teil des Angebotskanons an Schulen.

"Dass bei Türkisch etwas anderes gelten soll, verunsichert viele. Und es gibt keine Planungssicherheit, weder für Schulen noch für Eltern noch für Kinder", warnt Yüksel. Der Schulversuch sei vielleicht gut gemeint, "aber im Grunde ist dieser Plan ausgrenzend".  

Schulleiter: Kein Einfluss aus Ankara

Auch Moritz Promny von der FDP betonte jüngst im Landtag: "Für das Angebot von Türkisch als Fremdsprache braucht es keinen Versuch mehr." Türkisch habe "eine besondere Bedeutung für unser Land". Die Sprache gehöre in den Fremdsprachenkatalog hessischer Schulen, forderte der FDP-Generalsekretär.

Im Vordergrund Oberkörper eines Mannes, der in Richtung Kamera schaut und spricht. Im Hintergund unscharf eine Wand mit Bild.

Manche könnten denken, dass Türkisch als zweite Fremdsprache womöglich wie der muslimische Religionsunterricht durch die Religionsbehörde Ditib vom Staat Türkei beeinflusst werden könnte. Besteht die Gefahr, dass der autokratische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Inhalte des Sprachunterrichts vorgibt?

Eine Gefahr wie beim Religionsunterricht sei nicht gegeben, betont der Leiter der Clemens-Brentano-Europaschule, Andrej Keller. Die Unterrichtspläne würden in Hessen von den zuständigen Stellen beim Kultusministerium entwickelt. Alle Inhalte stünden im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz. "Ich würde mich dagegen verwehren, wenn eine ausländische Regierung - egal welcher Couleur - hier Einfluss nehmen wollte", betont Keller.

Klar scheint auch: Falls die neue Sprache einmal als reguläres Angebot an hessischen Schulen eingeführt werden sollte, vergehen so oder so noch etliche Jahre. Ein Sprecher vom Kultusministerium verweist darauf, dass dann erst Lehrpläne erstellt und vor allem Türkischlehrerinnen und -lehrer ausgebildet werden müssten. Das dauere nun mal.

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