Kind wird vom Notarzt behandelt

Stefanie Seegers Sohn starb mit zweieinhalb Jahren nach einem Notfall. Sie gründete einen Verein, der Fortbildungen für Rettungskräfte anbietet. Dazu fordert sie verpflichtende Weiterbildungen. Damit ist sie nicht allein.

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Versorgungslücke Kindernotfall

hs
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Stefanie Seegers erstgeborener Sohn starb 2017 mit zweieinhalb Jahren. Er hatte einen Fieberkrampf, Seeger wählte sofort den Notruf: "Die Rettungskräfte waren sehr bemüht. Aber es war einfach spürbar, dass ein Kindernotfall keine Routine ist, es war eine unglaubliche Hektik. Es war ernüchternd."

Der Notarzt damals war nicht auf Kindernotfälle spezialisiert. Vor allem im ländlichen Raum gehören Kindernotärzte und spezielle Einsatzfahrzeuge zur Ausnahme.

Eine Rettungskraft wird etwa alle fünf bis sechs Wochen mit einem Kindernotfall konfrontiert. Diese Fälle machen zwischen rund 3 und 11 Prozent der Einsätze aus – die Zahlen variieren stark, je nachdem, was die Studien als Kindernotfälle definieren.

Notarzt: "Unsicherheit spielt eine Rolle"

Maximilian Fausel ist Notarzt an der Varisano-Klinik in Frankfurt. Er erinnert sich an seinen ersten Kindernotfall: "Plötzlicher Kindstod, bei der Familie daheim. Das sind Horrorszenarien. Da war ich noch junger Assistent und selbst gerade Vater geworden. Das ist nichts, was man einfach vergisst."

Felix Maximilian Fausel, Notarzt an der Varisano-Klinik in Höchst, vor dem Einsatzfahrzeug

Er selbst hat sich zum Thema Kindernotfälle weitergebildet und gibt in der Varisano-Klinik Fortbildungen für seine Kolleginnen und Kollegen: "Mangelnde Expertise und Routine sowie die Unsicherheit spielen da bei vielen Notärztinnen und -ärzten eine Rolle. Kindernotfälle sind bei uns immer ein großes Thema."

Eltern zwischen Verzweiflung und Aggressivität

Kindernotfälle sind für Notärztinnen und Notärzte besonders herausfordernd und belastend, das ergibt zumindest eine schon ältere wissenschaftliche Befragung aus dem Jahr 2012.

Dafür gibt es laut Maximilian Fausel zwei Gründe. Der erste seien die physiologischen Besonderheiten bei Säuglingen und Kleinkindern: "Es ist schwieriger, Zugänge zu legen oder die Beatmung richtig durchzuführen." Dazu komme, dass nahezu immer auch Eltern oder Angehörige anwesend seien. Das sei oft schon während der Behandlung ein Stressfaktor: "Zwischen völliger Verzweiflung und Aggressivität sind dann alle Nuancen möglich."

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Aus- und Fortbildung bei Notärztinnen und -ärzten

Um als Notärztin oder Notarzt im hessischen Rettungsdienst eingesetzt zu werden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Zusatzbezeichnung "Notfallmedizin" oder eine vergleichbare Qualifikation vorweisen. Zudem müssen sie sich jährlich zu dem Thema Notfallmedizin fortbilden. Die Fortbildungsinhalte sind bis auf das Thema Reanimation frei wählbar. Eine Fortbildung zum Thema Kindernotfälle ist nicht verpflichtend.

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Fausel und Seeger fordern verpflichtende Weiterbildungen

Maximilian Fausel wünscht sich verpflichtende Fortbildungen zum Thema Kindernotfälle. "Jeder Pilot würde sagen: Ich simuliere regelmäßig Abstürze. Ein Kindernotfall ist nichts anderes als ein Absturz. Warum ist das bei uns nicht so?" Bisher sei Eigeninitiative gefragt: Wenn sich Rettungskräfte nicht selbst um Fortbildungen bemühen und diese oft auch aus eigener Tasche zahlen, bleibe die fehlende Routine und die Unsicherheit.

Eigeninitiative zeigt auch Stefanie Seeger. Nach dem Tod ihres Sohnes erhebt sie keine Vorwürfe gegen den Rettungsdienst, leitet keine rechtlichen Schritte ein: "Verbitterung hilft auch keinem. Ich wollte aus der negativen Energie etwas Positives machen, damit das keine andere Familie erleben muss." Sie gründet den Verein "Heldenstärker e.V." und bietet darüber spendenfinanzierte Fortbildungen für Rettungskräfte an.

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„Verbitterung hilft auch keinem. Ich wollte aus der negativen Energie etwas Positives machen.“ Sefanie Seeger Sefanie Seeger
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Diese Kurse und Tagungen sind staatlich anerkannte Fortbildungen. Die Resonanz ist groß, deutlich über 100 Anmeldungen gibt es für den nächsten Fachtag. Das gibt Seeger Rückenwind: "Wir möchten dazu beitragen, dass sich Rettungskräfte gut vorbereitet fühlen, dass trotz der Seltenheit die Handgriffe sitzen."

Am liebsten wäre es ihr, wenn der Verein irgendwann überflüssig wird, indem die staatlichen Angebote verpflichtend werden: "Es muss doch möglich sein, dass man sagt: Es ist Pflicht, alle ein bis zwei Jahre ein Hands-on-Training zum Thema Kindernotfälle zu machen."

Sozialministerium: "Angebot ist grundsätzlich gut"

Auf staatlicher Seite sind die Landesärztekammer und das Sozialministerium für die Weiterbildung der Rettungskräfte zuständig. Letzteres findet den Status quo vertretbar: "Es ist selbstverständlich möglich und sinnvoll, sich als Notärztin oder Notarzt auch über die verpflichtenden Fortbildungsstunden hinaus im Bereich Kindernotfälle fortzubilden, wenn in diesem Bereich Unsicherheiten bestehen. Das Angebot an entsprechenden Fortbildungen ist grundsätzlich gut."

Es könnte also sein, dass die Eigeninitiative und das Engagement von Menschen wie Stefanie Seeger, Rettungskräften und einzelnen Krankenhäusern weiterhin entscheidend bleibt, damit die Unsicherheit bei Kindernotfällen langsam abgebaut wird. Und immer weniger Familien unter den Folgen eines Behandlungsfehlers leiden müssen.

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