Der Virologe Martin Stürmer steht im Labor und lächelt in die Kamera.

In Portugal grassiert die Corona-Variante BA.5, die auch in Deutschland schon nachgewiesen wurde. Der Frankfurter Virologe Stürmer geht zwar von keiner massiven Sommerwelle aus. Sorgen macht ihm aber eine fehlende Strategie für den Herbst.

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Corona-Zahlen steigen wieder

hessenschau vom 03.06.2022
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Neue Variante, neue Welle: Portugal verzeichnet derzeit die höchste Sieben-Tage-Inzidenz auf dem europäischen Kontinent - offenbar aufgrund der Omikron-Variante BA.5. Diese macht in Deutschland derzeit rund fünf Prozent der Coronavirusinfektionen aus - noch, denn sie scheint ansteckender als die ursprüngliche Omikron-Variante zu sein.

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer geht deswegen von steigenden Zahlen auch in Deutschland aus. Massive Beeinträchtigung im Sommer befürchtet er aber nicht, wie er im Interview sagt. Anders könne das im Herbst aussehen.

hessenschau.de: Herr Stürmer, in den vergangenen Wochen sind die Fallzahlen stetig gesunken, seit einigen Tagen scheint sich der Trend aber umzukehren. Die Inzidenz stagniert, in Hessen steigt sie sogar wieder an. Stehen wir vor einer Sommerwelle?

Martin Stürmer: Die Zahlen deuten darauf hin, dass wir eine Sommerwelle bekommen, die aber nicht so ausgeprägt sein dürfte wie das, was wir letzten Herbst und Winter mit der alten Omikron-Variante gesehen haben. Mit einer massiven Beeinträchtigung für unseren Alltag rechne ich nicht.

hessenschau.de: Momentan schauen viele Virologen nach Portugal, wo sich die Inzidenz im Mai auf inzwischen rund 2.000 verdreifacht hat - offenbar durch die Omikron-Variante BA.5. Wie gefährlich ist sie?

Stürmer: Momentan sieht es so aus, dass diejenigen recht gut immun gegen BA.5 sind, die sich vor kurzem mit BA.2 infiziert haben. Aber alle diejenigen, deren Infektion mit BA.1 oder älteren Varianten schon länger zurück liegt, die können sich infizieren und auch wieder schwerer krank werden. Gleiches gilt für die Impfung, sie schützt weniger, je länger sie zurück liegt.

In Portugal sehen wir, dass die Infektionszahlen deutlich nach oben geschossen sind und auch die Krankenhauseinweisungen - wobei das wahrscheinlich durch die Zunahme der absoluten Zahlen bedingt ist. Portugal steht eigentlich bei der Impfquote exzellent da, aber auch hier kann bei Risikopatienten der Impfschutz zu alt sein.

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hessenschau.de: Was können wir in Deutschland daraus lernen?

Stürmer: Wir müssen uns hinsetzen und schauen, dass die Risikopatienten ihren Impfschutz aktuell halten - zumindest mit dem Impfstoff, den wir zur Verfügung haben.

hessenschau.de: Wie lange ist man geschützt? Von wie vielen Monaten - oder im schlechtesten Fall Wochen - sprechen wir?

Stürmer: Für Risikopatienten würde ich den Abstand empfehlen, den auch die Stiko empfiehlt: den Drei-Monats-Abstand. Menschen, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben, sollten schauen: Wie lange liegt meine Impfung zurück, meine Boosterung, meine Genesung? Wenn das mehr als drei Monate sind, sollte derjenige den Impfschutz auffrischen.

Für die Allgemeinbevölkerung macht es aktuell keinen Sinn, in Panik zu verfallen und massenhaft in die Impfzentren zu laufen. Hier wäre es wichtig, dass die Regierenden für den Herbst eine geeignete Strategie beschließen - möglichst mit dem angepassten Impfstoff ...

hessenschau.de: ... von dem wir aber nicht wissen, wann er auf den Markt kommt.

Stürmer: Biontech rechnet im August oder September mit einer Zulassung. Dann wird sich zeigen, was der Impfstoff kann. Es ist zu befürchten, dass er nicht optimal vor einer BA.5-Infektion schützt, da er an den alten Omikron-Varianten ausgerichtet ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch mit diesem Impfstoff einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen und Todesfällen haben werden und gegebenenfalls auch einen höheren Schutz vor Omikron-Infektionen verglichen mit den bisherigen Impfstoffen.

hessenschau.de: Sind wir aus Ihrer Sicht generell gewappnet für den Herbst, wenn das Leben sich wieder mehr nach innen verlagert?

Stürmer: Wie stark die Zahlen im Herbst steigen werden, hängt auch davon ab, ob gefährlichere Varianten entstehen und wie wir uns als Gesellschaft aufstellen. Gesundheitsminister Lauterbach möchte wie viele Länderchefs auch, dass eine neue Impfkampagne aufgelegt wird. Das unterstütze ich zu 100 Prozent. Ich würde in jedem Fall aber dazu raten, eine Kombination aus Impfstoffen zu wählen, die alle Varianten abgreift - sofern diese bis dahin auf dem Markt ist.

hessenschau.de: Hessens Gesundheitsminister Klose und auch viele Länderchefs fordern zudem eine Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes.

Stürmer: Auch dazu gibt es zumindest einige gute Vorschläge - etwa im Gesetz wieder solche Maßnahmen wie Maskentragen zu verankern oder den Ländern die Möglichkeit zu geben, strengere Regeln zu erlassen. Ein Problem ist, dass sich die FDP weiterhin gegen einen guten Maßnahmenkatalog sträubt.

Die Diskussion darum verstehe ich nicht, denn nichts von dem, was im Gesetz steht, muss zwangsläufig umgesetzt werden. Insofern sollte man ein solches Gesetz doch so weit wie möglich formulieren. Je nachdem, welche Variante sich im Herbst und Winter ausbreitet, hätte die Politik alle Möglichkeiten, um die Bevölkerung zu schützen.

Nichts wäre doch schlimmer, als dass eine neue problematische Variante kommt, und wir dann erst wieder das Infektionsschutzgesetz anpassen müssen. Dann ist es wieder zu spät. Jetzt sollte es deswegen keine Diskussions-Tabus geben. Ich denke, vor allem eine Maskenpflicht wäre sinnvoll.

hessenschau.de: Aber ausgerechnet sie ist für die FDP ein rotes Tuch.

Stürmer: Aber sie wäre so wichtig. Auch bei einer harmloseren Variante besteht im Herbst die Gefahr, dass sich zeitgleich viele Menschen anstecken. Dann leidet die Infrastruktur. Und es könnte wieder Engpässe im Gesundheitssystem geben - was wir doch unbedingt vermeiden wollen. Eine Maskenpflicht innen ist ein sehr einfaches, probates Mittel, um das Übertragungsrisiko zu verringern - zusätzlich zu den Impfungen. Damit könnten wir Herbst und Winter recht gut überstehen.

hessenschau.de: Zumal Bundeskanzler Scholz erneute Schulschließungen ausgeschlossen hat.

Stürmer: Das ist einerseits nachvollziehbar, wenn wir uns ansehen, wie die Kinder unter den Schließungen gelitten haben. Andererseits finde ich es riskant, Maßnahmen kategorisch auszuschließen. Ich würde mir da kein Tabu auferlegen und mir Optionen durch irgendwelche Aussagen verbauen. Man könnte Schulschließungen zumindest zur letzten Bastion erklären, die man erklimmen muss, wenn es hart auf hart kommt.

Aber umso wichtiger ist es, eine gute Strategie zu etablieren, die uns davor bewahrt, wieder in eine extreme Situation mit hohen Infektions- und Krankenhauszahlen zu rutschen.

hessenschau.de: Wie wichtig wären dann auch wieder flächendeckende Tests - zum Beispiel in Schulen?

Stürmer: Das wäre sehr wichtig. Viele Testzentren haben dicht gemacht. Wir testen momentan ein Drittel von dem, was wir in der Hochzeit der Pandemie getestet haben. Die Zahlen sind also weniger verlässlich und bilden das reale Infektionsgeschehen deutlich schlechter ab. Hinzu kommt, dass wir einen schlechteren Einblick in die Bildung von Varianten haben. Das heißt, wir sind nicht zeitnah gewarnt, wenn neue Varianten auftauchen.

hessenschau.de: Letztendlich wissen wir auch immer noch wenig über Long Covid. Gibt es Daten dazu, was passiert, wenn sich etwa ein Long-Covid-Patient noch einmal infiziert?

Stürmer: Nein, Long Covid ist ohnehin schwer zu greifen. Was bei einer Reinfektion eines Long-Covid-Patienten passiert - reagiert der weniger oder sogar noch sensibler - ist eine spannende, aber noch nicht zu beantwortende Frage. Auch aus solchen Gründen sollte man einfach vorsichtig sein und das Infektionsgeschehen nicht einfach laufen lassen.

Das Gespräch führte Sonja Fouraté.

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