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Solarhaus in Marburg

2er Kombo mit 70er Jahre Bau und heute mit Photovoltaikfassade

Nicht nur Dächer eignen sich zur Stromerzeugung, sondern auch Häuserfassaden. Ein ehemaliger Schandfleck in Marburg hat sich nun in ein Solarkraftwerk verwandelt - mit einzigartiger Optik.

Sie sind der Inbegriff moderner Stadtarchitektur: großflächige, oft dunkel-glänzende Fensterfronten. Auf den ersten Blick sieht auch das frisch renovierte Gebäude eines Marburger Radiologiezentrums so aus. Doch auf den zweiten Blick schimmert diese spiegelglatte Front ganz anders als eine normale Glasfassade - fast so als wäre sie komplett lackiert worden. Das liegt daran, dass die Hülle des Hauses überwiegend aus Solar-Paneelen besteht.

Das Gebäude in der Bahnhofsstraße war vorher ein prominenter Schandfleck in der Marburger Innenstadt. Statt für bräunlichen 70er-Jahre-Charme soll das Haus nun für rund 25.000 Kilowattstunden Strom im Jahr sorgen. Das ist etwa so viel Strom wie vier bis fünf Durchschnittshaushalte verbrauchen.

Rund drei Millionen Euro Umbaukosten

Christian Quast vom Verein Sonneninitiative e.V. hat den ungewöhnlichen Gebäude-Umbau geplant. Der Ingenieur sagt: Nicht nur Dachflächen eignen sich für Solaranlagen, sondern auch senkrechte Flächen, wie etwa Zäune, Balkongeländer oder eben komplette Fassaden. "Einerseits ist gar nicht jede Dachfläche zur Stromerzeugung geeignet", erklärt Quast. "Und andererseits kommt auch an senkrechte Flächen viel Licht, das man nutzen kann."

Rund drei Millionen Euro hat der Umbau gekostet. Das Besondere: Der Verein hat das Projekt als ein sogenanntes Bürgerkraftwerk umgesetzt. Bei diesem Konzept können Privatleute oder gemeinnützige Organisationen einzelne Photovoltaik-Module kaufen, in diesem Fall im Wert zwischen 8.000 und 15.000 Euro. Dafür sollen sie in den kommenden zwanzig Jahren den Erlös aus der Stromerzeugung erhalten – rund fünf Prozent jährliche Rendite, meint Quast.

Radiologie braucht enorm viel Strom

Hintergrund des Projekts ist, dass die Radiologiepraxis einen außergewöhnlich hohen Stromverbrauch hat. Die energieintensiven medizinischen Geräte benötigen ein Vielfaches mehr an Strom, als ein normales Geschäftsgebäude. Rund 650.000 Kilowattstunden Strom fressen Computertomograph, MRT und Co jedes Jahr – also sogar noch 26 mal mehr als die neuartige Fassade derzeit produzieren kann.

Der Inhaber des Gebäudes, der Neuroradiologe Professor Siegfried Bien, freut sich, dass ein Teil des Verbrauchs nun selbst auf nachhaltige Art produziert werden kann. Gleichzeitig hat er mit dem sechsstöckigen Gebäude noch weitere Pläne: Auch die oberen beiden Geschosse, die in der Vergangenheit aufgrund von Dachvorsprüngen und Gauben nicht bebaubar waren, sollen in Zukunft so umgestaltet werden, dass auch sie mit Solarapaneelen versehen werden können.

In den Boden rund um das Gebäude sollen zudem begehbare Photovoltaik-Platten eingelassen werden. Und selbst die Fenster sollen in Zukunft mit einer neuartigen Folie versehen werden, die Energie einfängt und trotzdem noch transparent ist.

Biens Wunsch: Irgendwann in Summe so viel Strom erzeugen zu können, wie die Radiologie-Praxis insgesamt verbraucht. Ganz autark wird das Gebäude aber wohl erst mal nicht werden können. Das liegt einerseits an den enormen Mengen Strom, die die Geräte brauchen, aber auch daran, dass sie Tag und Nacht laufen, erklärt der Professor: "Wir sind also weiter auf die Versorgungssicherheit durch die Stadtwerke angewiesen."

Wie massentauglich ist das?

Ob sich die hohen Investitionskosten für den Umbau auch tatsächlich rechnen und wie massentauglich so eine Solarfassade ist, das ist laut Ingenieur Quast derzeit noch offen. "Man kann das von den Kosten her natürlich nicht mit dem vergleichen, was man für die Fassade eines gewöhnlichen Privathauses bezahlen würde", meint er. Vergleichbar sei es aber durchaus mit dem, was die aufwendigen und teuren Vorhangfassaden von manchen modernen Geschäftshäusern kosten würden.

Quast ist überzeugt: Insbesondere an großflächigen Hochhausfassaden gibt es noch viel ungenutztes Potential, um Sonnenenergie "zu ernten", wie er es nennt. "Jedes Mal, wenn ich an der Europäischen Zentralbank vorbeifahre, ärgere ich mich, dass dort keine Photovoltaikanlage hängt." Bei dem Projekt in der Marburger Bahnhofsstraße habe man deshalb extra mit geschwungenen Elementen gearbeitet - auch um zu zeigen, dass eine Solarfassade durchaus gut aussehen kann.

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