Weniger Druck, neue Herausforderungen Wie ist die Lage in Hessen bei der Unterbringung Geflüchteter?

Container, Zelte, Turnhallen: Die Unterbringung Geflüchteter war lange Dauerthema in Hessen. Inzwischen sind die Zahlen deutlich zurückgegangen. Wie zeigt sich das vor Ort?

Eine Familie wird auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen zu ihrer Unterkunft geleitet
Eine Familie wird auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen zu ihrer Unterkunft geleitet. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Notlösungen in Zelten, überlastete Verwaltungsstrukturen, Brandbriefe von Landräten und Bürgermeistern. Wohin mit all den Menschen, hieß es in Hessen immer wieder – besonders seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Mit seiner Geflüchteten-Zeltstadt sorgte etwa der Kreis Bergstraße für bundesweite Schlagzeilen. Andernorts wurden Sporthallen, Gewerbegebäude oder leer stehende Freizeit-Heime umgewidmet.

Inzwischen sinkt die Zahl ankommender Menschen in Hessen deutlich und damit auch die der Zuweisungen in die Kreise und Kommunen. Vier hessische Kreise, die zum Teil zwischenzeitlich sehr belastet waren, berichteten dem hr: Die Situation bei ihnen vor Ort habe sich inzwischen spürbar entspannt – Herausforderungen gebe es dennoch.

Zahl der Ankommenden gesunken

Die Zahl der neu registrierten Asylbewerber in Hessen ist zuletzt kontinuierlich zurückgegangen, das zeigen die Zahlen der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. Demnach wurden seit Jahresbeginn im monatlichen Durchschnitt etwa 1.250 Menschen neu registriert. Zum Vergleich: 2024 waren es monatlich etwa 2.400 Neuzugänge, 2023 durchschnittlich rund 3.700.

Blaue Containerhallen mit Menschen
Die Erstaufnahmeeinrichtung hat mehrfach die Kapazitäten mit Leichtbauhallen erweitert Bild © hr

Das spüren auch die Kreise und Kommunen. Der Kreis Gießen etwa teilte auf hr-Anfrage mit: Man bekomme wöchentlich derzeit fünf Personen pro Woche zugewiesen. Im Herbst 2023 seien das noch höhere zweistellige Personenzahlen gewesen. Die Stadt Gießen antwortete: Man habe derzeit ausreichend Platz in den Gemeinschaftsunterkünften des Kreises, es seien auch noch Kapazitäten frei.

Lage deutlich entspannt

Auch in anderen Kreisen, die der hr angefragt hat, zeigt sich der Rückgang, etwa im Kreis Bergstraße und im Main-Kinzig-Kreis. Der bevölkerungsreichste Landkreis Hessens hatte zwischenzeitlich sogar eine Klage wegen aus seiner Sicht ungerechter Zuweisungszahlen auf den Weg gebracht – war aber vor einigen Wochen aus formalen Gründen damit gescheitert.

Aus dem Main-Kinzig-Kreis heißt es nun: Im Schnitt kämen derzeit 100 bis 150 Menschen im Monat neu in den Landkreis. Das sei allerdings immer deutlich über den Zahlen aus 2021, also vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Daueraufgabe sei nicht beendet. "Nur die Dimension hat sich verändert beziehungsweise der Druck etwas verringert."

Notunterkünfte vielerorts abgebaut

Die angefragten Kreise berichteten dem hr, dass sie zum Teil weiterhin auf Container setzen, um Geflüchtete unterzubringen. Klassische Notunterkünfte, etwa in Leichtbauhallen und Zelten, wurden mittlerweile aber abgebaut. Im Main-Kinzig-Kreis etwa ist dies bereits im Sommer 2024 geschehen. Auch der Lahn-Dill-Kreis konnte dieses Jahr die letzte von drei großen Notunterkünften schließen und die Menschen in Regelunterkünften unterbringen.

Auch die Zeltstadt in Bensheim, die zwischenzeitlich für mehr als 900 Menschen ausgelegt war, ist passé. Die Bergsträßer Kreisverwaltung teilte mit: Aktuell gebe es im Kreis keine derartigen Notunterkünfte mehr.

Großes Zelt mit Metallwänden
Die Bensheimer Zeltstadt ist mittlerweile abgebaut Bild © Anna Vogel

Finanzierung bleibt ein Problem

Trotz gesunkener Zuweisungszahlen stehen die Kreise allerdings weiterhin vor Herausforderungen. Genannt wird etwa allgemeine Wohnraumknappheit, um Menschen mit Bleiberecht in regulären Wohnraum vermitteln zu können.

Auch Probleme bei der Integration werden genannt. Sprachkurse durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebe es etwa nach wie vor zu wenig, moniert der Kreis Bergstraße. Zudem gebe es Engpässe bei der Finanzierung.

Besonders deutlich äußert sich hierzu der Main-Kinzig-Kreis: "In den vergangenen Monaten haben Landkreise und Städte heftig dagegen protestiert, dass sie finanziell nicht die Unterstützung vom Land Hessen erhalten, die ihnen bei der Erledigung ihrer Pflichtaufgaben für das Land Hessen entstehen."

Das Delta bei der Finanzierung beziffert der Kreis auf einen zweistelligen Millionenbetrag. "Hier braucht es die aktive, kommunalfreundliche Tat der Landesregierung." Auch der Lahn-Dill-Kreis nennt die "nicht auskömmliche Finanzierung" als große Herausforderung.

Langfristige Lösungen mit unterschiedlichen Ansätzen

Vieles klingt derzeit nach Atempause – allerdings ist unklar, wie lange die wohl anhalten wird. Flüchtlingszahlen gelten als schwer prognostizierbar, sie sind von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Zielländern.

Das bestätigte auch David Rauber, Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. Man merke etwa durchaus vor Ort, dass der Familiennachzug ausgesetzt wurde.

"Der Druck ist derzeit raus, aber natürlich bleiben Herausforderungen", betonte Rauber. Gesunkene Zugangszahlen bedeuteten, dass man vor Ort derzeit weniger Menschen akut ein Dach über dem Kopf organisieren müsse. "Viele Folgefragen bleiben aber natürlich bestehen, etwa Kitaplätze oder ärztliche Versorgung, der Menschen, die bereits da sind."

Zeit, um vorzusorgen – aber wie?

Seiner Ansicht nach wäre es derzeit vor allem wichtig, dass Kreise und Kommunen die aktuell etwas entspanntere Lage nutzen, um mit langfristigen Lösungen für Zeiten vorzusorgen, in denen möglicherweise wieder mehr Menschen nach Hessen kommen – damit man dann nicht wieder bei Turnhallen oder Zelten lande.

Herausfordernd sei dabei jedoch die Finanzierung. Das Land habe seine Pauschalzahlungen pro Kopf zuletzt außer der Reihe erhöht. "Das begrüßen wir natürlich."

Nach dem aktuellen Finanzierungsmodell müssten die Kreise allerdings die sogenannten Vorhaltekosten – also für freie, aber bei geringen Flüchtlingszahlen nicht ausgelastete Unterbringungskapazitäten – selbst aufbringen. Das gestalte sich oft schwierig.

Langfristige Lösungen gesucht

Im Kreis Gießen versucht man sich derzeit an einem Modellprojekt: Neue Flüchtlingsunterkünfte in Holzbauweise wurden bereits im Bau so geplant, dass sie später zu regulärem Wohnraum umgewandelt werden können. Damit wolle man zwei Probleme gleichzeitig angehen: Flüchtlingsunterbringung und Mangel an bezahlbarem Wohnraum allgemein.

Der Ansatz stoße auch andernorts in Hessen auf Interesse. "Grundsätzliche Herausforderung ist die Dynamik in der Unterbringung", heißt es aber auch in Gießen.

Der Main-Kinzig-Kreis berichtet: Man halte derzeit Gemeinschaftsunterkünfte, deren Mietverträge in absehbarer Zeit ablaufen für einen bestimmten Zeitraum als Reserve vor. "Da von der Landesregierung für solche Reserven keine Mittel erstattet werden, geht dies voll zu Lasten des Kreishaushaltes."

Haus von außen
Modellprojekt im Kreis Gießen: Holzhäuer in Allendorf/Lumda Bild © Alexander Gottschalk

Der Kreis Bergstraße betont: Eine flexible Vorhaltung von Unterbringungsfläche sei nicht möglich - "aus tatsächlichen und finanziellen Gründen". Sollte die Zahl der Geflüchteten wieder steigen, wären die Kapazitätsgrenzen schnell wieder erreicht. Ehemalige Leichtbauhallen-Notunterkünfte habe man eingelagert – für den Fall einer plötzlichen Zunahme von Schutzsuchenden.

Sendung: hr4, die Hessenschau für Mittelhessen,

Quelle: hessenschau.de