Blick auf die Burg Lindenfels im Odenwald

Vor zehn Jahren brodelte es im Odenwald: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatte die Region als "Odenwaldhölle" gebrandmarkt. Das sorgte für große Empörung. Doch diese hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt.

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Zehn Jahre nach der Schimpftirade: Gratis-PR für den Odenwald

Annelsbach, Ortsteil von Hoechst im Odenwald
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"Ein Aufstand des ganzen Odenwaldes, vergleichbar mit dem gallischen Dorf von Asterix" – so beschreibt Matthias Wilkes, was sich vor zehn Jahren im Süden Hessens abspielte. Der CDU-Politiker war damals Landrat des Kreises Bergstraße und setzte sich an die Spitze des Volkszorns, den ein Artikel in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) ausgelöst hatte.

"Dieses Stück Germany"- der Titel des Artikels kam noch recht harmlos daher. Doch dahinter verbarg sich eine Schimpftirade, die am Odenwald kein gutes Blatt ließ. Die Gegend sei eine Hölle, eine "totale Geisteswüste", "für den Kopf lebensgefährlich". Die Häuser seien so hässlich, dass man weinen müsse, junge Menschen könnten das Leben dort nur bekifft ertragen – kurzum: "Ein Todesurteil für Heranwachsende."

Hasserfüllte Reaktionen auf Artikel

Autorin Antonia Baum wusste, wovon sie sprach, denn sie ist selbst in Birkenau im Kreis Bergstraße aufgewachsen. Im benachbarten Rimbach hat sie Abitur gemacht und kurz darauf den Odenwald verlassen, um in Berlin als Journalistin und Roman-Autorin Karriere zu machen. Von der Aufregung, die der Text in ihrer früheren Heimat entfachte, war sie überrascht – vor allem von den hasserfüllten Zuschriften.

"Die hat einen Knall", der Artikel sei Schrott, beschämend, sie müsse sich vor dem Odenwald und der ganzen Republik entschuldigen – die Radio-Umfragen, die der hr damals im Odenwald gemacht hat, lassen erahnen, was Baum alles entgegen schlug.

"Das wurde teilweise unangenehm", erinnert sich Baum in der hr2-Sendung Doppelkopf. Sie habe bald aufgehört, die Briefe, die Mails, die Kommentare im Netz zu lesen – aus Selbstschutz. Leider sei auch eine Verwandte von ihr im Odenwald hineingezogen worden, als deren Adresse auf Social Media gepostet wurde. Baum ging öffentlich auf Tauchstation, hielt sich heraus aus der Debatte über die "Odenwaldhölle".

Baum: "Hat Spaß gemacht, das zu schreiben"

Bis heute ist Antonia Baum schleierhaft, was viele Menschen so erregt hat. Sich mit einer Region, einer Stadt oder einem Land zu identifizieren, sei ihr völlig fremd. Und noch viel ferner liege ihr der Gedanke: Wenn jemand mein Land beleidigt, dann beleidigt er mich. Beim Schreiben des Textes habe sie Spaß gehabt, Spaß an der Übertreibung. Sie wollte niemanden verletzen, sagt sie, denn: "Das war ein Spiel."

Baum öffentlich zu verteidigen, übernahmen ihre Vorgesetzten bei der Frankfurter Allgemeinen, vor allem der Kultur-Chef der Sonntagszeitung, Claudius Seidl. Er ordnete Baums Text in die literarische Tradition der "Ortsbeschimpfung" ein, wie sie etwa der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard gepflegt hat. Außerdem berichtete die FAZ später groß über eine Pro-Odenwald-Aktion, die Landrat Wilkes organisiert hat.

Wilkes: "Das war ein Glücksfall"

Nicht nur die FAZ griff das Odenwald-Thema auf. Zu einer Pressekonferenz Mitte Januar 2014, als Wilkes einen Aufkleber mit der Aufschrift "Ich bin ein Odenwälder" vorstellte, seien fünf Fernsehteams und 20 Zeitungen gekommen, erinnert sich der Ex-Landrat. Unternehmen hätten T-Shirts, Tassen, Bembel und Plakate mit Odenwald-Motiven gedruckt, mehrere Songs wurden zur Ehrenrettung des Odenwaldes komponiert.

Wilkes sieht den Skandal von damals deshalb heute als "Glücksfall für den Odenwald": So viel öffentliche Wahrnehmung habe die Region nie zuvor bekommen. Eine gigantische PR-Aktion, noch dazu gratis für die öffentliche Hand. Wilkes, der – wie er sagt – Baum gerne wieder im Odenwald begrüßen würde, findet deshalb zehn Jahre später versöhnliche Worte: "Vielen Dank, Frau Baum. Die Region profitiert heute noch davon."

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