Der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden möchte kritische Zeitungsartikel und E-Mails eines Journalisten als Bühnenabend inszenieren. Das Land und die Stadt Wiesbaden pfeifen ihn schriftlich zurück, der betroffene Journalist prüft derweil rechtliche Schritte.

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Streit um geplanten Leseabend am Staatstheater Wiesbaden

Staatstheater in Wiesbaden
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Er sei schon "angefasst" gewesen, sagt der Redakteur beim Wiesbadener Kurier, Volker Milch. Angefasst auch, weil er von den Plänen des Intendanten des Staatstheaters Wiesbaden, seine Zeitungsartikel und internen E-Mails auf der Bühne inszenieren zu wollen, aus den Medien erfahren habe. "Aber mir geht es jetzt wieder bestens, das ist ja einfach nur nach hinten losgegangen."

Theater kündigt Leseabend mit Artikeln und E-Mails an

Das Staatstheater Wiesbaden hatte Anfang der Woche in einer schriftlichen Erklärung mitgeteilt, dass es im kommenden Frühjahr einen Leseabend präsentieren werde unter dem Titel "LATTE – Korrespondenz mit einem Redakteur".

Geplant sei demnach unter anderem, Artikel über das Staatstheater im Wiesbadener Kurier und die E-Mail-Korrespondenz des Staatstheaters mit dem Autoren der Artikel auf der Bühne vorlesen zu lassen. Jenen Volker Milch lädt das Theater öffentlich ein, auf der Bühne "einige der Artikel und Mails selbst zu lesen".

Journalistenverband: Zitate: ja, Postgeheimnis verletzen: nein

"Dieser ganze Vorgang ist an Dreistigkeit und Absurdität nicht zu überbieten", sagt Milch hessenschau.de. Er selbst und der Verlag würden nun rechtliche Schritte prüfen, denkbar seien Persönlichkeits- und Urheberrechtsverletzungen. Der VRM Verlag sicherte seinem Autor "volle Rückendeckung" für seine kritische Berichterstattung über das Theater zu.

Eine Urheberrechtsverletzung erkennt der erste Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands Hessen (hjv), Knud Zilian, in dem geplanten Leseabend nicht unbedingt. Ein Zitieren aus veröffentlichten Zeitungen sollte seiner Ansicht nach rechtlich möglich sein.

Anders sei das allerdings in Bezug auf die Korrespondenz zwischen Milch und dem Theater. "Wenn da tatsächlich auf der Bühne aus E-Mails gelesen werden soll, die der Journalist an das Theater geschrieben hat, könnte sogar ein Verstoß gegen das Strafrecht, nämlich gegen das Post- oder Fernmeldegeheimnis nach § 206 StGB, vorliegen."

Die Träger des Staatstheaters, das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden betonen in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme, die Ankündigung, aus interner Korrespondenz vortragen zu wollen, lege nahe, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten.

Träger: Versuch einer Einschüchterung

Uwe Eric Laufenberg

Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufengberg rechnet nach eigenen Angaben nicht damit, dass Milch oder der Verlag die Justiz einschalten werden. "Warum sollten sie rechtlich gegen 'LATTE' vorgehen? Dass Kunst mit Mitteln der Kritik und des Journalismus beleuchtet wird, ist ein uns täglich vertrauter Vorgang. Wir widmen uns nun der Idee, auch einmal Kritik und Journalismus mit den Mitteln der Kunst zu beleuchten."

Diese Umkehr des Verhältnisses von Kunst und Kritik sehen die Träger als äußerst problematisch an. "Auch nur den Eindruck zu erwecken, die Pressefreiheit mit der Autorität eines Intendanten infrage zu stellen, schädigt aus Sicht der Träger den Ruf des Staatstheaters, da dies als Versuch einer Einschüchterung gedeutet werden könnte", heißt es in der Stellungnahme.

Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) und Oberbürgermeister Gerd-Uwe Mende (SPD) forderten den Intendanten in dem Schreiben auf, die "aufgezeigten Grenzen mit Blick auf seine Verantwortung für das Ansehen des Staatstheaters und zum Schutz der Kunstfreiheit vor Missbrauch" zu beachten.

Journalist: "Einmal Feind, immer Feind"

Doch wie kommt der Intendant Laufenberg überhaupt auf die Idee eines Leseabends der beschriebenen Art? "Wir haben es hier mit einer gekränkten Künstlerseele zu tun, weil Herr Laufenberg von mir und ja auch anderen Journalisten sehr viel Kritik abbekommt", sagt Volker Milch.

Laufenberg habe ihn schon vor Jahren, direkt als dieser 2014 die Intendanz in Wiesbaden antrat, und ihm ein Verriss seines Romanes "Palermo" nicht passte, auf den Index gesetzt. Nach Einschätzung von Milch teilt Laufenberg sein Umfeld in Freunde und Feinde ein. "Ich berichte zuweilen mit einer gewissen Schärfe und Ironie, ja. Aber der Mann hat ja auch Qualitäten und auch darüber habe ich berichtet."

Aber bei Laufenberg gelte: Einmal Feind, immer Feind. Milch sieht in dem Stück eine persönlich Abrechnung Laufenbergs mit ihm, besonders, nachdem er unlängst über private Prozesskosten Laufenbergs berichtet habe, die offenbar aus dem Budget des Theaters beglichen wurden. Seit Jahren tobt am Theater ein böser Streit um Laufenberg, der auch vor Gericht ausgetragen und von Milch journalistisch begleitet wird.

"Latte" erinnert an Hundekot-Attacke

"Die Ankündigung dieses Theaterabends 'Latte' ist eine anders verpackte 'Hundekotaktion', wenn auch nicht so traumatisierend." Milch bezieht sich damit auf einen Vorfall im Februar, als ein Ballettchef einer Kritikerin der FAZ aus Frust und Ärger über ihre Berichterstattung Hundekot ins Gesicht geschmiert hatte.

"Hier geht es jetzt darum, dass der Intendant denkt, er müsste dem Journalisten eines auswischen", schätzt Knud Zilian vom Journalistenverband die Situation ein. Auch der Kulturministerin Dorn hatte Laufenberg erst unlängst eine Art Abrechnung in Form des Theaterstücks "Das Ministerium" präsentiert.

Intendant: Mit den Zeitungstexten "eine gute Geschichte erzählen"

Der Intendant weist auf Nachfrage die unterstellte Kränkung durch die kritischen Texte Milchs zurück. "Von Verletzung kann ich nicht sprechen. Manches Mal hat sich eher Verwunderung eingestellt." Er wolle mit den Texten Milchs arbeiten, weil dieser seit Jahren fortlaufend über das Theater schreibe.

"Niemand hat in den vergangenen Jahren so konstant über das Hessische Staatstheater Wiesbaden berichtet." Nur durch diese Beständigkeit in der journalistischen Begleitung lasse sich "eine gute Geschichte" erzählen.

Wie gut diese Geschichte ist, oder ob es sich eben doch nur um einen Angriff auf die Pressefreiheit und einen privaten Rachefeldzug des Intendanten gegen den Journalisten handelt, ist offen. Auch offen bleibt, ob es den Leseabend in der geplanten Art überhaupt geben wird.

Sicher ist, dass Volker Milch sich nicht auf die Bühnen stellen wird. "Wir bleiben bei unserer Rolle als Berichterstatter, beziehungsweise Kritiker." Oder wie es Knud Zilian formuliert: "Antun muss sich das ja niemand. Ich persönlich würde auch nicht hingehen, zu so einer Veranstaltung."