Das Bild zeigt Schwarz-Weiß-Fotos von Kindern.

Sie wurden im Alter ab sechs Jahren zwangssterilisiert, weil sie nach Meinung der Nazis die "falschen" Väter hatten: Das ist das Schicksal der sogenannten Rheinland-Kinder. Das Frauenmuseum Wiesbaden hat ihre tragische Geschichte aufgearbeitet.

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Die Macht des Erzählens – Von Geschichte(n) und Sichtbarkeit

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An den ersten Impuls zur Ausstellung "Margot und die anderen" erinnert sich Kim Engels noch sehr gut: Eine junge Frau kam zum Wiesbadener Frauenmuseum mit einigen Dokumenten und der Nachricht einer älteren, schwer erkrankten Frau - Margot. Ihre Lebensgeschichte sei vielleicht ein Thema für das Museum.

Gespött der Schule

Als junges Mädchen in den 1930er Jahren, so erinnerte sich die ältere Frau, sei sie ohne nähere Erklärung fotografiert worden. Das Foto sei im Rahmen einer Ausstellung genutzt worden, um sie zum Gespött der ganzen Schule zu machen.

Dabei habe sie es wegen ihres Aussehens an der Schule sowieso schon schwer gehabt. Die Ausstellung selbst habe sie nicht sehen dürfen, weil sie nicht als arisch galt.

Langjährige Forschungsreise

Später, berichtete die ältere Frau, sei ihre Mutter gezwungen worden, die Tochter sterilisieren zu lassen. Alle Unterlagen, die sie aus ihrer Kindheit noch besaß, hinterließ sie dem Museum.

Zu einem persönlichen Kennenlernen kam es nicht mehr, Margot starb im September 2020. Für das Museums-Team um Kim Engels begann eine langjährige Forschungsreise, wie sie erzählt.

Nachkommen französischer Kolonialregimenter

Es stellte sich heraus, dass Margot ein so genanntes "Rheinland-Kind" war. Mit diesem und anderen abwertenden Begriffen bezeichneten die Nazis die Nachkommen von Soldaten der französischen Kolonialregimenter und deutschen Frauen.

Die Väter kamen nach dem Ersten Weltkrieg als Besatzungssoldaten ins Rheinland, sie stammten aus französischen Kolonien wie dem Senegal, Marokko oder Vietnam.

Frau vor einer Ausstellungswand

Pseudowissenschaftliche Rassenideologie

Ihre Kinder galten den Nazis als rassisch minderwertig. Die Ausstellung, in der Margots Porträt diffamierend verwendet wurde, hieß "Volk und Rasse" und tourte ab 1934 durch verschiedene deutsche Städte.

Ihr Ziel: die pseudowissenschaftliche nationalsozialistische Rassenideologie in die Bevölkerung zu tragen.

Doch bei der Verächtlichmachung der Mädchen und Jungen blieb es nicht. Das Team des Frauenmuseums recherchierte, dass allein aus Wiesbaden und dem damals eigenständigen Biebrich mehr als 50 Kinder zwangssterilisiert wurden. Die jüngsten Betroffenen waren gerade einmal sechs Jahre alt.

Die Gewalttaten wurden "wissenschaftlich begleitet" durch den Berliner Arzt und Rassentheoretiker Wolfgang Abel. Er erhielt bei der Recherche nach mutmaßlichen "Rheinland-Kindern" Unterstützung nicht nur vom Wiesbadener Jugendamt, sondern auch von der damaligen Stadtschulärztin.

Sterilisation ohne gesetzliche Grundlage

Während sich die Täter etwa bei der Sterilisation von Menschen mit Behinderungen auf das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" berufen konnten, gab es für die Sterilisation der Rheinland-Kinder keinerlei gesetzliche Grundlage.

Kim Engels fand heraus, dass die Gewalt gegen die Wiesbadener Kinder auf einer "Geheimen Reichssache" beruhte. Aus Angst vor internationalen Reaktionen scheuten die Nazis davor zurück, die Verstümmelung per Gesetz offiziell zu machen.

Kaum Anerkennung und Entschädigung

Die Eltern oder Erziehungsberechtigten wurden durch Überrumpelung oder mit der Drohung, ihnen die Kinder wegzunehmen, dazu bewegt, der Sterilisation zuzustimmen. Das führte dazu, dass die Opfer nach dem Krieg oft Schwierigkeiten hatten, Anerkennung und Entschädigung für ihr Leiden zu bekommen.

Auch Margot hat diese Last ein Leben lang mit sich tragen müssen. Sie durfte keinen Beruf erlernen, konnte später keine Familie gründen. An sie und 52 weitere dokumentierte Schicksale erinnert die Ausstellung im Frauenmuseum Wiesbaden.

Weitere Informationen

Margot und die anderen

Zwangssterilisation im Nationalsozialismus
Ausstellung im Frauenmuseum Wiesbaden, Wörthstraße 5.
Noch bis 14. Juli

Die Namen der Betroffenen wurden zum Schutz der Persönlichkeit von den Ausstellungsmacherinnen anonymisiert.

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