Bad Hersfelder Festspiele mit ersten Premieren Tanzender Seelen-Striptease und ein gewaltiger Mackie Messer

Ein Bühnen-Klassiker in neuem Gewand und eine Musical-Premiere mit viel Tanz: Mit einer modernen "Dreigroschenoper" und dem Broadway-Erfolg "A Chorus Line" haben die Bad Hersfelder Festspiele begonnen. Das Publikum war begeistert. Eine kleine Panne gab es aber.

Musical "A Chorus Line" Bad Hersfelder Festspiele
Das Ensemble im Musical "A Chorus Line" zeigte eine leidenschaftliche Leistung bei der Premiere am Samstagabend bei den Bad Hersfelder Festspielen. Bild © picture-alliance/dpa
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Nach einem Festakt zur Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele sind am Wochenende die ersten beiden Premieren in der Stiftsruine über die Bühne gegangen. Nach der Auftaktpremiere am Freitagabend mit dem Theater-Klassiker "Die Dreigroschenoper" folgte am Samstagabend das Musical.

Den Machern des renommierten Freilicht-Theaterfestivals gelang es, "A Chorus Line" erstmals zu zeigen. Das Stück zählt zu den erfolgreichsten Musicals am New Yorker Broadway. Nachdem die Lizenz aus den USA erteilt wurde, ist es die erste Musical-Fassung im deutschen Sprachraum überhaupt, wie die Festspiele erklärten.

Fulminantes Finale

Das Publikum bedachte die Premiere am Samstagabend mit lang anhaltendem Applaus. Denn am Ende stieg die Stimmung bei einem fulminanten Finale der mehr als zwei Dutzend Tänzerinnen und Tänzer in ihren hellen und glitzernden Kostümen noch einmal deutlich.

Überhaupt stand das Tanzen im Mittelpunkt des Stücks. Es handelt von einem knallharten Ausleseprozess für ein Musical-Ensemble. Star-Choreograph Zach lässt die Anwärtinnen und Anwärter vortanzen und vorsprechen - an der weißen Linie (chorus line) für die Ensemble-Tänzer, die keine tragenden Rollen bekommen.

Von der Nummer zum Namen

Im Kinofilm "A Chrous Line" aus dem Jahr 1985 wird die Rolle des Choreographen Zach, der über Erfolg und Zusage und Misserfolg und Absage entscheidet, eindringlich von Hollywood-Star Michael Douglas gespielt. In Bad Hersfeld übernimmt Arne Stephan diesen Part sehr glaubwürdig.

Zach achtet aber nicht nur auf die tänzerischen Fähigkeiten der Aspiranten, die motiviert bis verzweifelt um das Engagement wetteifern. Er will mehr wissen über die Tanzenden, die anfangs nur eine Nummer sind, dann im Stück aber zunehmend mehr Persönlichkeit entwickeln dürfen.

Seelen-Striptease und Psycho-Analyse

Denn Zach interviewt die Bewerber nicht nur zu ihren Beweggründen für die Tanz-Karriere, sondern auch zu Lebenswegen und Begleitumständen. Es folgt ein Seelen-Striptease hier und eine Psycho-Analyse dort. Die eine legt eine berührende Lebensbeichte ab, der andere berichtet von seinem Outing als Homosexueller.

Da aber nicht jede Story und Personality gleichermaßen zu fesseln vermag, entwickelt das rund 130 Minuten währende Stück (ohne Pause) phasenweise Längen. Es gibt auch keinen sonderlich großen Spannungsbogen. Am Ende bleiben je vier Frauen und Männer übrig, die sich beim Casting durchsetzen und ihren Träumen näher kommen.

Tanz-Choreos vor der Spiegelwand

Optisch hat das Musical seinen größten Schauwert, wenn das Ensemble in Gänze oder Gruppen vor der großen Spiegelwand auf der Bühne an den Choreographien arbeitet. Unterstützt werden die Tanzenden - wie immer beim Hersfelder Musical - von einem gut aufgelegten Orchester unter der Leitung von Christoph Wohlleben.

Musical "A Chorus Line" Bad Hersfelder Festspiele
"A Chorus Line": Ensemble vor großer Spiegelwand Bild © picture-alliance/dpa

Regisseurin Melissa King gelang bei der Premiere ein stimmungsvolles, bewegendes und mitunter spektakuläres Musical mit viel Tanz, Humor und auch sozialkritischen Tönen. Das Publikum spendete immer wieder Szenen-Applaus.

Die Auftakt-Premiere: "Die Dreigroschenoper"

Simon Zigah in "Die Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen
In Ketten gelegt: Hauptdarsteller Simon Zigah in "Die Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen Bild © picture-alliance/dpa

Ovationen und "Bravo"-Rufe gab es vom Publikum auch am Freitagabend für die gelungene Auftakt-Aufführung des Klassikers "Die Dreigroschenoper". Beim Schlussapplaus sang das Ensemble mit den Zuschauern den Ohrwurm des Stücks: "Und der Haifisch, der hat Zähne..."

Es war der Schlusspunkt eines sehenswerten Theater-Abends. Der Klassiker von Bertolt Brecht erschien fast 100 Jahre nach der Uraufführung in neuem Gewand.

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Festakt

Vor der ersten Premiere hatte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) die 73. Bad Hersfelder Festspiele feierlich eröffnet. Er bezeichnete sie als "herausragendes Kulturgut in Deutschland". Sie seien "ein Segen für die schönen Künste".

Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) betonte als Festrednerin die Bedeutung des Freilicht-Festivals als Ort der Begegnung und des kulturellen Austausches. "Gerade jüngere Menschen - Kinder und Erwachsene - an die Kultur und das Theater heranzuführen, halte ich für einen wichtigen und wertvollen Beitrag." Anschließend liefen einige der geladenen Premieren-Gäste über den roten Teppich vor der Stiftsruine und posierten für die Fotografen, Kameras und Zaungäste.

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Viel Applaus bekam auch Hauptdarsteller Simon Zigah, ein Mann mit gewaltiger Statur und großem künstlerischem Format. Er bot als Mackie Messer eine überragende Leistung: mit Strahlkraft, spielerischer Ausdrucksfreude und Gewandtheit.

In Minute eins hatte der Ober-Ganove bereits sein erstes Opfer abgestochen und beraubt. Wenig später zeigte er seine liebevolle Seite - im Strudel seiner vielen Affären. Diesen Mix aus Skrupellosigkeit und Zärtlichkeit servierte Zigah überzeugend.

Anna Loos als Prostituierte und "Straßenköter"

Eine der Liebschaften ist Jenny, dargestellt von Anna Loos. Sie spielte eine Prostituierte, die mit Mackie Messer anbandelt. Wie sehr diese Liaison harmonierte, zeigte sich bei einer Tanzeinlage: "Es gibt zwei richtige Straßenköter in dem Stück" - der eine sei Mackie Messer und der andere sie, so Loos.

Medienprobe des Theaterstücks "Die Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen
Anna Loos als Jenny in "Die Dreigroschenoper" bei den Bad Hersfelder Festspielen und ihr Schauspiel-Kollege Götz Schulte (re., als Bettelmafia-Chef Jonathan Peachum). Bild © picture-alliance/dpa

Regisseur Michael Schachermaier lobte Loos nach der Premiere im hr-Gespräch als "grandiose Sängerin und Schauspielerin". Bekannt wurde die 53-Jährige unter anderem durch ihre Rollen in der TV-Krimireihe "Helen Dorn" (ZDF) und der Serie "Weissensee" (ARD). Als Sally Bowles in "Cabaret" sammelte sie Musical-Erfahrung.

Jan Josef Liefers Anke Hofmann Anna Loos Bad Hersfelder Festspiele Dreigroschenoper
Jan Josef Liefers (l.) war auch Gast bei der Premiere von "Die Dreigroschenoper" zur Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele. In dem Stück spielt Liefers' Gattin Anna Loos (r.) mit. Bürgermeisterin Anke Hofmann (unabhängig, Mitte) kam mit den beiden nach der Premiere ins Gespräch. Bild © Jörn Perske

In Bad Hersfeld habe sich Loos die Rolle der Jenny "wunderbar erobert", befand Schachermaier. Und die Hersfeld-Debütantin fühlte sich sichtlich wohl: "Ein geiles Ensemble und eine beeindruckende Bühne."

Kostümbild überzeugt

Den großen Raum in der Stiftsruine wusste der Regisseur zu nutzen. Er verwandelte das Kirchengemäuer in eine atmosphärische Wirkungsstätte für Gangster der Großstadt, lichtdurchflutet und dunkel zugleich. Ein Ort, an dem sich Ganoven, Prostituierte, Polizisten und Geschäftsleute begegnen.

Ständig passierte etwas auf der Bühne, auch abseits der eigentlichen Szenen. Mal interessant, mal ablenkend. Das Kostümbild des Ensembles war dagegen immer ein Hingucker - von Mackies Glitzer-Outfit bis zu den Gangstern und Bettlern.

Musiker im Stau

Es sind schrille, skurrile und komische Figuren, die sich da tummelten in einer unterhaltsamen und unkonventionellen Inszenierung. Sie lenkten auch davon ab, dass zwei Plätze auf der Bühne zunächst verwaist blieben.

Zwei Musiker standen auf der Autobahn im Stau und stießen erst nach der Pause dazu, wie Intendant Joern Hinkel verriet. So wurden aus fünf dann sieben Musiker. Aber auch diese Panne konnte die erfolgreiche Auftakt-Premiere nicht gefährden.

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Regisseur: "Hochmusikalisch, glamourös, düster und sexy"

Den Sound der Band bezeichnete Regisseur Schachermaier als "musikalisch rotzig und dreckig, aber trotzdem fordernd und rockig". Der Österreicher befand sich nach der Premiere in einem "absoluten emotionalen Ausnahmezustand", wie er sagte. "Ich wusste, dass es gut wird. Aber dass es bombastisch wird, hatte ich nicht zu träumen gewagt."

Die Begeisterung des Publikums gab ihm Recht. "Hochmusikalisch, glamourös, düster und sexy zugleich", fasste Schachermaier das Geschehen auf der Bühne zusammen.

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Das Festspiel-Programm

Auf dem weiteren Programm stehen neben der "Dreigroschenoper" und dem Musical noch drei Stücke: Die Komödie "Der Vorname" (Premiere: 12. Juli), das Schauspiel "Wie im Himmel" (Premiere: 26. Juli) und für jüngere Zuschauer "Das kleine Gespenst" (ab 28. Juni).

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Sendung: hr2, 23.06.2024, 6.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de