"Barock am Main" am neuen Ort Barock-Theater trifft Industrie-Charme
Zum dritten Mal wird der stillgelegte Industriepark in Frankfurt-Griesheim zur Bühne für ein Open-Air-Kulturprogramm. In diesem Sommer findet auch das Theaterfestival "Barock am Main" dort eine neue Spielstätte.
Wo einst Schwefel- und Salpetersäure produziert wurden, betreten bald Schauspieler in Barockkostümen die Bühne – und führen Shakespeare auf Hessisch auf. Der Kontrast könnte kaum größer sein.
2019 wurden die letzten Chemiebetriebe im Griesheimer Industriepark stillgelegt. Seither befindet sich das rund 73 Hektar große Gelände im Umbruch. Der Projektentwickler Beos hat es vom Eigentümer Clariant für 99 Jahre in Erbpacht übernommen und plant bis 2035 die Transformation in ein modernes Gewerbe- und Industriequartier: "Frankfurt Westside".
Spreng- und Abrissarbeiten vor der Premiere
Geplant sind Büros, Technologieflächen, Co-Working-Spaces, Gastronomie, Sportanlagen, Spielplätze – und Raum für Kultur. Der ist direkt am Main-Ufer gelegen und trägt den Namen "Westcoast". Noch ist von all dem wenig zu sehen. Stattdessen bestimmen Sprengungen und Abrissarbeiten das Bild.
Doch schon am 3. Juli feiert das Festival "Barock am Main" am Rand des Geländes Premiere. Das Stück "Die lusdischen Weiber von Griesheim" ist angelehnt an Shakespeares "Die lustigen Weiber von Windsor" und wie immer in hessischer Mundart.
Ein neuer Ort, ein neues Kapitel
Michael Quast, Leiter der Fliegenden Volksbühne, freut sich über den neuen Spielort. 2024 musste das Festival ausfallen – es fehlte an einer geeigneten Bühne. Der Umbau des Bolongaropalasts zieht sich hin, und auf dem Gelände der Höchster Porzellanmanufaktur verhinderten Anwohnerbeschwerden weitere Aufführungen.
Für Quast ist das Gelände in Griesheim ein Glücksfall: "Ich hoffe, wir werden aus dem Kontrast Funken schlagen." Der industrielle Charme des Orts sei eine reizvolle Kulisse für das barocke Theater.
Das Kulturamt der Stadt Frankfurt hat die Projektförderung für das Festival auf 50.000 Euro verdoppelt, im Vergleich zu 25.000 Euro im Vorjahr. Denn die neue Spielstätte bringt zusätzliche Herausforderungen mit sich: "Das Gelände ist leer – es gibt keine Räumlichkeiten, die wir nutzen könnten", erklärt Quast.
Logistik und Lage: Herausforderung mit Charme
Projektentwickler Beos unterstützt mit grundlegender Infrastruktur: Strom, Wasser, Toilettencontainer, das alles wird bereitgestellt. Die Anreise ist allerdings nicht ganz einfach. Mit dem Auto ist das Gelände gut erreichbar, es gibt viele Parkplätze. Auch mit dem Fahrrad lohnt sich der Weg entlang des Mains.
Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist jedoch ausbaufähig: Die nächstgelegene S-Bahn-Station liegt etwa 20 Gehminuten entfernt, Busse fahren abends nicht. Quast nimmt es mit Humor: "Ein One-Way-Ticket – man fährt zum Festival und bleibt dort."
Politische Rückendeckung
Susanne Serke (CDU), Ortsvorsteherin von Griesheim, begrüßt die Entwicklung. Schon im vergangenen Jahr habe sie eine Veranstaltung auf dem Gelände besucht. "Die Lage am Main, die Industriearchitektur, der alte Verladekran – das alles schafft eine besondere Atmosphäre", sagt sie.
Besonders gefällt ihr, dass das Quartier von Anfang an auch kulturelle und gesellschaftliche Funktionen übernimmt: "Das ist gerade für den Stadtteil eine gute Chance, sich zu öffnen."
Diese Offenheit sei nicht nur für Griesheim attraktiv, sondern auch für die angrenzenden Stadtteile. Zwar gebe es Bedenken hinsichtlich der Verkehrsanbindung, doch diese Themen würden vom Ortsbeirat aktiv begleitet. Neue Bushaltestellen auf dem Gelände seien bereits geplant.
Alte Strukturen, neu gedacht
Die Vergangenheit des Areals soll nicht verdrängt, sondern bewahrt und integriert werden. "Wir haben von Anfang an geprüft, welche Gebäude erhalten bleiben können", sagt Selina Roth, Projektmanagerin bei Beos. Rund zehn Industriegebäude würden kernsaniert und in die neue Struktur eingebunden.
Auch einige Schornsteine sollen erhalten bleiben, so Roth: "Wir wollen die historischen Elemente gekonnt in Szene setzen, ganz nach dem Motto: Historie trifft neu."
Ein Ort mit Ecken, Kanten – und Potenzial
Dabei können nicht alle Teile des Geländes genutzt werden: Die sogenannte "Griesheimer Alpen", eine begrünte Altlastenhalde, bleibt in der Verantwortung von Clariant und ist nicht zugänglich.
Dennoch gilt sie als prägnante Landmarke, genau wie der alte Verladekran am Mainufer. Dort soll auch die Bühne für "Barock am Main" entstehen.
Michael Quast jedenfalls ist begeistert von der Kulisse: "Der Kran steht da wie ein Monster aus Star Wars." Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: "Von der Location her können wir uns mit der Ruhrtriennale messen!"