VR-Animation des Inneren der Paulskirche mit Abgeordneten

Nur ein gutes Jahr lang tagte das erste frei gewählte Parlament vor 175 Jahren in der Frankfurter Paulskirche, bevor es sich wieder auflöste. Weshalb es trotzdem so bedeutsam ist und warum man ausgerechnet in einer Kirche zusammenkam, weiß Historikerin Dorothee Linnemann.

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1848 – als auch Romantiker modern wurden

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Die Historikerin Dorothee Linnemann hat sich für das Historische Museum Frankfurt mit der Geschichte der Paulskirche beschäftigt. Dass sich das erste frei gewählte Parlament ausgerechnet in einer Frankfurter Kirche traf, war kein Zufall, erzählt sie.

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hessenschau.de: Der 18. Mai 1848 - was ist an diesem Tag passiert, dass wir ihn jetzt so groß feiern?

Dorothee Linnemann: Wenn jetzt am 18. Mai ein Riesenfest stattfindet, kann man sagen: Das war es vor 175 Jahren auch. Der 18. Mai 1848 war ein sehr bedeutender Tag, denn das erste Mal trat im Deutschen Bund ein frei gewähltes Parlament zusammen. Parlamente gab es vorher auch schon, aber der große Unterschied war, dass erstmals viele Menschen wählen durften.

hessenschau.de: Wie ist es zu dieser ersten freien Wahl gekommen?

Linnemann: Es gibt in dieser Zeit eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Es gibt eine riesige Armut, große technische Veränderungen, zum Beispiel durch die Eisenbahn. Aus dieser Unzufriedenheit entsteht dann der Protest, der erst mal die alte Regierung überwindet.

Grafik in weiß-blau und in Form einer Sprechblase mit dem Text "hr-Thema: Unsere Demokratie feiert Geburtstag"

Und dann stehen im März 1848 alle vor der Frage: Wie wollen wir uns denn jetzt neu organisieren? Es gibt keine institutionellen Parteien, wie wir sie heute kennen. Es tun sich also Personen zusammen, die vorher auch schon politisch aktiv waren: in der Opposition zu den bestehenden politischen Systemen oder auch in den Verwaltungen der verschiedenen Regierungen.

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Über Frauen wird überhaupt nicht gesprochen, aber immerhin sollen alle volljährigen Männer ab 21 Jahren mitmachen. Dann werden erstmals Wahlkreise gebildet und man überlegt: Wer ist denn schon mal hervorgetreten, zum Beispiel für Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern? Und so hat man die Leute aufgestellt und dann wurde gewählt.

hessenschau.de: Und dann trafen diese gewählten Abgeordneten in Frankfurt zusammen. Wie haben die einfachen Frankfurterinnen und Frankfurter diesen Tag erlebt?

Linnemann: Wir haben Augenzeugenberichte vom 18. Mai. Im Jüdischen Museum befindet sich zum Beispiel ein Tagebuch von Adolph Zunz. Der war Geselle in einem Familienunternehmen, um die 20 und politisch interessiert. Der berichtet: Die Stadt ist geschmückt, das Parlament kommt, es sind alle aufgeregt, es ist ein bedeutender Moment.

Auf der anderen Seite gibt es Berichte zum Beispiel von Clotilde Koch-Gontard. Sie lebte in einem großbürgerlichen Haushalt mit ihrem Mann, der auch in der Stadtgesellschaft sehr angesehen war, und interessierte sich für Politik.

Ich denke, die Bevölkerung hat das sehr unterschiedlich wahrgenommen. Aber dass es eine große Veränderung für alle ist, das haben wirklich viele erlebt.

Dorothee Linnemann

hessenschau.de: Warum traf man sich ausgerechnet in Frankfurt?

Linnemann: Frankfurt war schon sehr lange ein politisch bedeutender Ort. Einmal durch die Bedeutung als Krönungsstadt bis 1806: Hier wurden in der Monarchie die Kaiser gekrönt.

Ab 1816 war Frankfurt die diplomatische Vertretung des dann regierenden Deutschen Bundes, also der Fürstentümer, die sich zusammengeschlossen hatten, nachdem man Napoleon besiegt hatte. Frankfurt war im Prinzip die Hauptstadt, wo die Diplomaten dieser verschiedenen Fürsten hinkamen und die Politik bestimmten.

Frankfurt war auch immer schon ein sehr zentraler Ort, ein europäischer Verkehrsknotenpunkt. Und es war Messestadt. Man hatte immer wieder saisonal unglaublich viele Gäste in der Stadt. Es gab Unterbringungsmöglichkeiten, Hotels und Herbergen, und Transportmittel.

Die Stadt war ein gewisses Volumen an Gästen gewohnt. Man wurde nicht plötzlich überfallen von rund 500 Abgeordneten, deren Familien und Journalisten und so weiter.

hessenschau.de: Aber warum traf sich das Parlament ausgerechnet in einer Kirche?

Linnemann: 1848 begann gerade erst die Industrialisierung. Die Städte waren noch nicht so groß, die Gebäude natürlich auch nicht. Das Parlament hatte rund 500 Abgeordnete, der Kaisersaal im Rathaus war also zu klein.

Die Paulskirche, die rund 15 Jahre vorher fertig geworden war, war einer der größten und modernsten Räume in Frankfurt. Sie fasste bis zu 2.600 Personen. Das heißt, es blieb auch recht viel Platz für die Öffentlichkeit. Das war eine große Errungenschaft dieses Parlamentes, dass man eine Öffentlichkeit zuließ bei den parlamentarischen Sitzungen.

hessenschau.de: Apropos Öffentlichkeit: Wer konnte auf der Zuschauertribüne Platz nehmen?

Linnemann: Es gab tatsächlich Tickets für die Zuschauer, denn es gab eine große Öffentlichkeit, nicht jeder konnte rein. Es gibt auch Berichte, dass, wenn das Parlament geöffnet wurde, erst mal alle vor der Tür standen und versuchten hereinzukommen.

Es haben viele Journalisten teilgenommen. Die weiteren Publikumsplätze sind genutzt worden von den Familien der Parlamentarier, also deren Frauen, die auch sehr politisiert waren. Aber wir haben durchaus auch Berichte aus der Frankfurter Bevölkerung, die in der Paulskirche saßen und zugehört haben.

hessenschau.de: Trotz des großen öffentlichen Interesses hat das Paulskirchen-Parlament nicht lange existiert. Warum?

Linnemann: Schon im ersten Sommer gab es Differenzen im Parlament über die Frage, mit welcher Staatsform man weiter regieren möchte und wie das Gebiet aussieht, über das man bestimmt. Man beriet sich auch sehr lange über die Grundrechte und das führte dazu, dass die Bevölkerung unruhig wurde.

Das andere war, dass auch das fürstliche Militär wieder an Kraft gewann. Durch die Auseinandersetzungen wurde das Parlament schwächer und verlor über den Winter 1848, 1849 massiv an Macht. Im Frühjahr und Sommer 1849 wurde es dann von den fürstlichen Regierungen gezwungen, aufzugeben.

hessenschau.de: Warum ist das, was damals in der Paulskirche passiert ist, heute noch wichtig?

Linnemann: Auch wenn diese Revolution scheiterte, gab es daraus weitere Revolutionsbewegungen, die für uns heute ganz entscheidend sind. Die ersten Arbeitervereine gründeten sich 1848. Sie forderten Arbeitsschutz und eine geregelte Erwerbstätigkeit mit Pausen. Was wir heute als selbstverständlich erleben, soziale Rechte zu haben, das beginnt da.

Das Zweite ist, dass immer mehr Gruppen auch politische Rechte für sich einfordern. Ganz vorneweg die Frauenbewegung, die sich trotz großer Repressionen hält und ab 1880, 1890 wirklich Fahrt aufnimmt und das Frauenwahlrecht erkämpft.

Darum geht es ja heute immer noch: Wer darf mitbestimmen? Es sind immer noch sehr viele Menschen ausgeschlossen und fühlen sich auch in der heutigen Gesellschaft nicht gesehen. Deswegen denke ich, das sind gute historische Beispiele.

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