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Neue Stadtschreiberin in Bergen-Enkheim

Nino Haratischwili - Mit dunklem Kleid, die dunklen Haare zum Zopf gebunden, Sonnenbrille im Haar, die Hände in die Hüften gestemmt.

Nino Haratischwili wird die neue Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim. Mit der 40-Jährigen zieht eine Erzählerin von Weltformat in das Frankfurter Haus an der Oberpforte, deren Geschichten von erschreckender Aktualität sind.

Die georgisch-deutsche Autorin Nino Haratischwili wird die 50. Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim. Damit sind nicht nur 20.000 Euro Preisgeld verbunden, sondern auch ein einjähriges Wohnrecht im Stadtschreiberhaus in dem Frankfurter Stadtteil.

Bücher voller Geschichte und Aktualität

Warum die Wahl auf die 40-Jährige fiel, ist für die Jury des Literaturpreises leicht zu erklären: "Nino Haratischwili ist eine Erzählerin von Weltformat." Damit ist fast schon alles gesagt, doch in der Begründung heißt es weiter: "Mit viel Hingabe nimmt Sie sich Zeit für ihre Geschichten, zeichnet bleibende Bilder und starke Figuren, die die Leser*innen in ihren Bann ziehen."

Aus der europäischen Literaturgeschichte sei ihre Prosa und Dramatik nicht mehr wegzudenken. Sie ist "eine DER weiblichen Stimmen, die sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt".

Erfolg als Autorin, Dramatikerin und Regisseurin

Im Theater feiert Haratischwili als Dramatikerin und Regisseurin große Erfolge. In ihren Romanen "Das achte Leben" und "Das mangelnde Licht" erzählt sie eindringlich von der Geschichte der Post-Sowjetunion am Beispiel Georgiens. Damit macht sie den langen Weg aus der Abhängigkeit der Sowjetstaaten zu Russland sichtbar und die gegenwärtige politische Situation nachvollziehbar.

Die Jury erklärt weiter: "Haratischwili verbindet das Weltgeschehen mit Einzelschicksalen ihrer Figuren und lässt so die Vergangenheit Georgiens lebendig werden, ohne den Bezug zur Gegenwart zu verlieren." Ihre Literatur sei so erschreckend aktuell wie die Dramen der alten Griechen.

Prophetische Worte zur Frankfurter Buchmesse 2018

Geradezu prophetisch ihre Worte in einem Interview, das sie dem hr 2018 gab. Damals war Georgien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.

Zum Verhältnis zwischen Russland und Georgien, das fast 200 Jahre lang russisches Territorium war, erklärte Haratischwili, es bereite ihr Sorge. Man könne damit nicht entspannt umgehen. "Russland ist für die kaukasischen Länder ein unberechenbarer Faktor."

Nino Haratischwili und die deutsche Sprache

Dass Nino Haratischwili so gut Deutsch kann, dass sie ihre Bücher mittlerweile in deutscher Sprache verfasst, verdankt sie einem Zufall. In Tiflis gab es eine von Germanisten gegründete Schule. "Meine Eltern hatten mit der deutschen Sprache gar nichts am Hut, die fanden aber das Schulmodell gut." Und so lernte die kleine Nino mit deutschsprachigen Lehrern.

Ihre Liebe zum Theater sorgte dann dafür, dass sie für die Schultheatergruppe erste Stücke schrieb. Nach zwei Jahren Schulbesuch in Deutschland, machte sie ihren Schulabschluss in Tiflis. Dort startete sie dann zwar ihr Studium am Filminstitut, kam aber 2003 nach Hamburg. "Der Plan war: Ich studiere und gehe nach vier Jahren wieder zurück - aber das ist dann alles anders gekommen." Heute lebt die 40-Jährige in Berlin - und demnächst dann auch temporär in Frankfurt.

Preisverleihung am 1. September

Als 50. Amtsinhaberin tritt Nino Haratischwili die Nachfolge von Marion Poschmann an. Der Literaturpreis wird am 1. September 2023 verliehen. Marion Poschmann wird eine Abschiedsrede halten und den Schlüssel für das Stadtschreiberhaus symbolisch an ihre Nachfolgerin übergeben, die sich mit einer Antrittsrede dem Publikum vorstellen wird.

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Stadtschreiber von Bergen

In dem Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim wird das symbolische Amt seit 1974 verliehen. Der Stadtschreiberpreis war damals der erste seiner Art. Seither haben zahlreiche deutsche Städte die Idee des Stadtschreibers aufgegriffen. Über den Sieger entscheidet eine Jury aus Schriftstellern und Bürgern von Bergen-Enkheim.

Bekannte bisherige Stadtschreiber in Bergen-Enkheim waren unter anderem Nobelpreisträgerin Herta Müller, Peter Härtling, Peter Rühmkorf oder Eva Demski. Erster Stadtschreiber war der Schriftsteller Wolfgang Koeppen, im Vorjahr trug die Schriftstellerin Marion Poschmann den Titel.

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