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Seenotretter schreibt Comic über seine Erfahrungen

Bildkombination aus zwei Fotos: links Portrait des Comicautors; rechts Ausschnitt aus einem Bild des Comics. Hier sind Hände zu sehen, die aus der Dunkelheit nach vorn greifen zu scheinen.

Adrian Pourviseh war freiwilliger Seenot-Retter. Er hat Geflüchtete aus dem Meer gezogen und traumatische Erfahrungen gemacht. Die hat der junge Marburger jetzt in einer gezeichneten Dokumentation zusammengefasst.

Dreimal war Adrian Pourviseh als Freiwilliger bei Einsätzen der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea Watch dabei. Der drastischste und auch prägendste Einsatz war 2021, als die Crew innerhalb von 72 Stunden mehrere völlig überbelegte Boote mit Hunderten von Geflüchteten evakuierte.  

Adrians Aufgabe war es, diese Einsätze mit Fotos und Videos zu dokumentieren. Zusätzlich hat der 28-Jährige seine Eindrücke in einem Skizzen-Tagebuch festgehalten. Daraus ist sein Graphic Novel-Debüt "Das Schimmern der See" entstanden. 

Wenn kein Notfall-Protokoll hilft

Eine Szene daraus: Es ist Nacht, der Radar der Sea Watch 3 hat ein Holzboot mit 400 Menschen entdeckt. Die Seenotretter nähern sich. Plötzlich springen verzweifelte Menschen einfach ins Wasser, sind in der Dunkelheit kaum mehr zu sehen.  

Seite aus einem Comic.

Da hilft kein Notfall-Protokoll mehr – die Retter müssen einfach so schnell wie möglich und so viele Menschen wir möglich aus dem Wasser ziehen.  

 Diese Szene hat Adrian Pourviseh tatsächlich erlebt. "Das sind die schlimmsten Momente in der Seenotrettung." Obwohl er eigentlich den Einsatz nur dokumentieren soll, packt er selbst mit an, denn "das sind Momente, bei denen keine Fotografin, kein Fotograf noch ans Fotos machen denkt."  

 Traumatisierendes Erlebnis

Tatsächlich konnten bei diesem Einsatz alle Geflüchteten gerettet werden, niemand ist ertrunken. Trotzdem hängt gerade diese Nacht Adrian noch lange nach: "Das war für mich einfach traumatisierend. Dass meine eigene physische Fähigkeit, im Endeffekt die Kraft meiner Muskeln dafür verantwortlich sind, ob Menschen überleben oder nicht."

Nachtaufnahme: Ein oranges Rettungsboot neben einem Boot voller Menschen

 Um sein Trauma zu verarbeiten, hat er darüber geredet und sein Skizzentagebuch gezeigt. Das fand eine Kuratorin des Frankfurter Weltkulturen-Museums so spannend, dass sie eine Ausstellung daraus machte. Später sprang auch ein Verleger darauf an und daraus ist Adrians erste Graphic Novel geworden.  

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Adrian Pourviseh

Pourviseh hat in Marburg und Rabat Orientwissenschaften und an der Universität Lund in Schweden Entwicklungsökonomie studiert. Nebenbei hat der Deutsch-Iraner als Dolmetscher für geflüchtete Jugendliche gearbeitet. Und dann beschlossen, seine Skills für Sprachen genau dort einzusetzen, wo es für Geflüchtete am gefährlichsten ist: Bei der Flucht übers Mittelmeer.

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 "Die Herzen öffnen"

Diese Comic-Form hat der Marburger ganz bewusst gewählt. "Ich wollte die Möglichkeit nutzen, durch die Zeichnungen Menschen zu anonymisieren und dennoch aber deren Geschichten zu erzählen."

Deshalb sind seine Protagonisten zwar nicht bis ins kleineste Detail gezeichnet, nicht foto-realistisch, aber doch als Individuen erkennbar. "Der Grund ist auch, dass Gemaltes eine gewisse Kindlichkeit hat,  vielleicht auch etwas, dass das Herz etwas offen lässt", hofft Pourviseh. 

Abgestumpft von all den Bildern

Denn wir alle seien längst abgestumpft von all den Bildern von ertrinkenden Personen im Mittelmeer, hätten schon so viel virtuelles Leid gesehen, dass man das emotional gar nicht mehr an sich ranlasse.  

"Aber wer so ein einfach gemaltes Bild sieht, eine Illustration, der folgt vielleicht etwas länger der Geschichte der Menschen, der Personen, die eben hinter diesem Bild stehen."

Komplexes Thema Seerecht

Auf den über 200 Seiten seiner Graphic Novel erzählt Adrian Pourviseh aber nicht nur von spektakulären Rettungseinsätzen, sondern auch, wie diese geübt werden. Wieder und wieder muss die Crew die Abläufe trainieren, das Seerecht lernen.  

Oranges Rettungsboot mit drei Insassen vor einem Schiff mit Namen Seawatch

Zum Beispiel wo die Hoheitsgebiete der verschiedenen Länder beginnen, aber auch, wann zum Beispiel Libyen das Feuer eröffnen kann. "Das Thema ist hochkomplex," meint er. Viele Fragen würden aber zum Beispiel bei einem dreiminütigen Bericht über das Mittelmeer keinen Platz finden. "In meinem Buch haben sie den Platz, den sie benötigen", sagt der 28-Jährige.  

 Dokumentarische Graphic Novel

Seine Graphic Novel sei dabei nicht völlig neutral: "Das, was man sieht, berührt einen ja." Trotzdem habe er sich bemüht, nur das Erlebte abzubilden: "Ich bin kein Journalist. Ich beschreibe das klar als Aktivist, aber es ist eine dokumentarische GraphicNovel."

Natürlich wolle er mit seinem Debüt auch etwas bewegen, gibt der Marburger offen zu: "Ich wünsche mir, dass die Leute, die gegen Migration sind, die von Angst geleitet werden oder von rechten Ideologien, sich mit dieser Realität auseinandersetzen, die in meinem Buch beschrieben ist."

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