Mann in Handschellen vor Gericht, hält sich Aktenordner vors Gesicht

Vor dem Landgericht Gießen sind weitere Details über die letzten Stunden im Leben der vor einem Jahr in Mittelhessen getöteten Schülerin Ayleen bekannt geworden. Erstmals war auch der Angeklagte direkt zu hören: auf dem Video seiner polizeilichen Vernehmung.

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Ayleen-Mordprozess fortgesetzt

hs
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Der Angeklagte erzählt einen vom Pferd. Bereits bei der Prozesseröffnung vor knapp einer Woche hatte Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger diese Floskel in den Raum geworfen. Dass sie so treffend sein würde, zeigte sich aber erst jetzt.

Der inzwischen 30-jährige Jan P. aus Waldsolms (Lahn-Dill) steht vor dem Gießener Landgericht. Er soll vor rund einem Jahr die 14-jährige Ayleen aus Baden-Württemberg nach Hessen verschleppt und ermordet haben. Ihre Leiche wurde im Teufelsee (Wetterau) gefunden.

Bisher hatte P. sich vor Gericht nur mit einem von seinem Anwalt vorgelesenen schriftlichen Statement geäußert. Darin hatte er zwar die Tötung zugegeben, den Tathergang aber gänzlich anders dargestellt als die Staatsanwaltschaft. Ansonsten schweigt er bisher.

Angeklagter sprach zunächst von Reitunfall

Am dritten Prozesstag war P. nun erstmals sprechend zu hören und zu sehen: Es wurde der erste Teil seiner polizeilichen Vernehmung vom 2. September auf Video vorgespielt. Inzwischen ist bekannt: Am Ende des dreistündigen Verhörs gibt P. schließlich zu, Ayleen getötet zu haben.

Überraschend war nun: Zunächst hatte P. noch behauptet, Ayleen sei tödlich verunglückt – bei einem nächtlichen Reitunfall. P. sagte: Nachdem er Ayleen aus ihrem Heimatdorf im Schwarzwald abgeholt habe und mit ihr nach Hessen gefahren sei, hätten sie eine Pause gemacht und auf einer Wiese Pferde entdeckt.

Ayleen sei dann ohne Sattel und Zaumzeug auf ein Pferd gestiegen, aber abgeworfen worden und dadurch zu Tode gekommen.

"Die Indizienkette ist wasserdicht"

Bereits in der Vernehmung machten die Ermittler klar: Diese Version der Ereignisse sei nicht in Einklang zu bringen mit den Ermittlungsergebnissen. "Wir diskutieren nicht mehr, ob Sie verantwortlich sind, sondern wie und warum", so eine der Ermittlerinnen. "Wir sind uns hundertprozentig sicher, die Indizienkette ist wasserdicht."

Während der Vernehmung zeigte P. sich insgesamt schmallippig, oft antwortete er einsilbig oder in Halbsätzen, manchmal nuschelte er kaum verständliche Sätze. Emotionen waren auf der Videoaufzeichnung keine erkennbar.

Oberstaatsanwalt Hauburger schilderte die damalige Vernehmung insgesamt als "sehr schwierig". Der Mann sei wortkarg gewesen, habe teilweise teilnahmslos und empathielos gewirkt. "Er hat wenig von sich preisgegeben."

Tausende Nachrichten in drei Monaten

Durch weitere Zeugenaussagen von Ermittlern wurden zudem noch mehr Details zur Tat und zur Kommunikation zwischen P. und Ayleen bekannt. Tausende Nachrichten schickten sich die beiden innerhalb von drei Monaten hin und her.

An einem einzigen Tag seien es einmal 800 Nachrichten gewesen, berichtete ein Ermittler. Die meisten gingen demnach von P. aus. "Es war eine unglaublich erdrückende Anzahl an Nachrichten, die in kurzer Zeit auf diesen jungen Menschen eingeprasselt sind", meinte er.

P. habe zudem immer mehr Druck aufgebaut, spezielle sexuelle Inhalte gefordert und auf ein Treffen gedrängt. Ayleen sei offensichtlich überfordert davon gewesen und habe immer wieder abweisend reagiert.

Breite digitale Datenspur

Die rekonstruierten Chatverläufe zeigen auch, wie viele digitale Datenspuren nachverfolgbar waren. Zum Beispiel, wie viele Schritte Ayleen ging, als sie und der Angeklagte vor der Fahrt nach Hessen noch mal an einem Waldrand hielten: genau 237.

Oder welche Temperatur ihr iPhone hatte: meistens um die 30 Grad, nachts um 4 dann nur noch 16,1 Grad – genau die Außentemperatur. Das Handy war über mehrere Stunden hinweg abgekühlt und vermutlich nicht mehr in der Hand gehalten worden, schließen die Ermittler daraus.

Die Daten aus Jan P.s Smartwatch dokumentieren seinen Pulsverlauf und legen nahe, dass er die Uhr mehrmals ablegte. Sein Handy-Suchverlauf zeigt, dass er gegen 3.30 Uhr das Wort "See" googelte und das nächstgelegene Suchergebnis der Teufelsee war. Die Geodaten aus der Google-Cloud belegen: Tage später kehrte er noch einmal zum späteren Fundort der Leiche zurück.

Ayleens letzte Nachrichten

Auch Ayleens letzte Chat-Verläufe mit Freunden und Familienangehörigen konnten die Ermittler zum Teil rekonstruieren. Kurz nachdem sie ins Auto gestiegen war – ob freiwillig oder nicht, ist weiterhin unklar - schrieb sie ihrem kleinen Bruder, dass sie bald wieder zurück sei. "Und dann gucken wir Netflix und essen was Süßes."

Die letzten beiden Nachrichten schrieb sie dann gegen 22.30 Uhr, ebenfalls an ihren Bruder und an ihre Mutter: "Mama, mach dir keine Sorgen, es ist alles gut", hieß es darin. "Ich bin morgen früh wieder da." Weil Ayleen zu diesem Zeitpunkt keinen Internetzugang mehr hatte, wurde die Nachricht nicht mehr verschickt.

Anders als erwartet, sagte Ayleens Mutter an diesem Prozesstag nicht aus. Ihre Zeugenaussage wurde laut Gericht auf einen späteren Termin verschoben. Fortgesetzt wird der Prozess am 10. Juli, dann soll auch der Rest des Vernehmungsvideos gezeigt werden. Ein Urteil wird frühestens im September erwartet.

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