Die ICE-Strecke zwischen Fulda und Kassel ist seit Anfang April wegen Bauarbeiten gesperrt. Eigentlich. Viele Bahnreisende erlebten zuletzt eine Überraschung: Ihr Zug rauschte über die Schnellfahrtrasse und war eine halbe Stunde früher in Kassel.

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ICE fuhren bis 17. April über die gesperrte Schnellfahrstrecke

Ein ICE fährt in den Bahnhof Wilhelmshöhe in Kassel ein. Am Nebengleis hält ein weiterer ICE.
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Vor gut einer Woche kommt Esther Stangier nach einem Rückflug aus den USA am Bahnhof Wilhelmshöhe in Kassel an - von ihrem Freund, der sie und ihren schweren Koffer mit dem Auto abholen will, keine Spur. Denn die 25 Jahre alte Studentin ist viel zu früh. Bis zur offiziellen Ankunftszeit ihres ICE 796 von Frankfurt nach Kassel sind es noch gut 20 Minuten.

Der Grund für den überpünktlichen Zug ist offenbar die Umleitung über die Schnellfahrstrecke. Das ist bemerkenswert, denn die 85 Kilometer zwischen Fulda und Kassel sind eigentlich seit dem 1. April gesperrt. Die Deutsche Bahn (DB) tauscht hier bis zum 9. Dezember Gleise und Weichen aus und hatte deshalb angekündigt, die Fernverkehrszüge so lange umzuleiten. Reisende sollten bis zu 60 Minuten länger unterwegs sein.

Wie Stangier ging es Reisenden in mindestens acht weiteren ICE auf der Fahrt von Süd nach Nord - auch ihre Züge wurden über die Schnellfahrstrecke geführt. Kommuniziert wurde das erst kurz vor der Ankunft am Bahnhof in Kassel-Wilhelmshöhe, wie mehrere Fahrgäste dem hr übereinstimmend berichten.

Bahn: Zunächst "bauvorbereitende Maßnahmen"

Doch wie kommt es, dass die Züge auf einer vermeintlich gesperrten Strecke unterwegs waren? Eine Sprecherin der Bahn erklärt das so: Die DB sei bis zum 17. April zunächst mit bauvorbereitenden Maßnahmen wie Kabelarbeiten oder der Anlieferung von Material und Baufahrzeugen beschäftigt gewesen. "Daher konnten in dieser Zeit vereinzelt Züge weiter auch über die Schnellfahrstrecke fahren."

Einen entsprechenden Hinweis findet man in einer Pressemitteilung vom 6. März. Hier heißt es: "Die Züge werden infolge zeitgleicher Bauarbeiten auf der Main-Weser-Bahn erst ab 18. April via Gießen umgeleitet und fahren bis dahin weiterhin über die Schnellfahrstrecke." Aber, so schreibt die DB weiter: Die Auswirkungen wie Fahrzeitverlängerung blieben wegen der vorbereitenden Maßnahmen bestehen.

20 bis 30 Minuten Aufenthalt in Kassel-Wilhelmshöhe

Doch das war bei mehreren Zügen nicht der Fall. Laut DB ist die Route und die frühere Ankunft in den Auskunftssystemen entsprechend kommuniziert worden. Eine Pendlerin aus Hanau kann das nicht bestätigen. Es habe an der Anzeige im Zug keinen Hinweis gegeben, erst bei der Einfahrt in den Bahnhof habe es geheißen, dass man zu früh sei und jetzt 25 Minuten Aufenthalt habe. 

In der letzten Woche sei sie jeweils zwischen 20 und 30 Minuten früher am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe angekommen, erzählt sie, vorher gewusst habe sie das nicht. Weder in der Bahn-App noch am Bahnsteig in Hanau habe es eine entsprechende Anzeige gegeben.

Strecke jetzt gesperrt

Laut Bahn ist mit der schnellen Verbindung über die Schnellfahrtstrecke jetzt endgültig Schluss. Auch die Züge der Strecke Berlin – Göttingen – Frankfurt, die zuletzt noch auf der Schnellfahrtstrecke zwischen Fulda und Kassel unterwegs waren, werden seit Dienstag via Gießen umgeleitet - gut zwei Wochen nach Beginn der offiziellen Sperrung.

USA-Rückkehrerin Stangier kann über ihr Erlebnis mit der Bahn mittlerweile fast schon schmunzeln: "Theoretisch ist es ja eine nette Überraschung, wenn die Bahn ausnahmsweise mal zu früh irgendwo ankommt."