Mann in Handschellen vor Gericht, hält sich Aktenordner vors Gesicht

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der 14-jährigen Ayleen vor dem Landgericht Gießen sind die wichtigsten Zeugen vernommen worden. Die Unfallversion des Angeklagten scheint widerlegt. Aber ist der Mordvorwurf nachweisbar? Eine Zwischenbilanz.

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Mordfall Ayleen – Textilgutachten widerlegt Aussage des Angeklagten

hessenschau vom 07.08.2023
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Die Aussage von Ayleens Mutter Ende Juli war sicherlich der eindrücklichste Moment in diesem bedrückenden Prozess. Auch weil sie das Opfer und nicht den mutmaßlichen Täter in den Mittelpunkt dieser Hauptverhandlung gerückt hat. Ein Prozess, in dem die Trostlosigkeit, Verrohung und Abgestumpftheit des Angeklagten, seiner Familie und Bekannten sowie vieler Chatpartnerinnen an jedem Verhandlungstag sicht- und spürbar sind.

Jan P., der mit seinem Grinsen auffällt, an jedem Verhandlungstag zunächst das Publikum scannt, wirkt, als genieße er die Aufmerksamkeit um seine Person. Er korrigiert oder ergänzt sogar die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen, wenn die mal ins Stocken geraten. Und das tun viele.

Dem 30-Jährigen aus Waldsolms (Lahn-Dill) wird vorgeworfen, die 14-jährige Ayleen aus Gottenheim (Baden-Württemberg) nach Mittelhessen gebracht und ermordet zu haben. Dafür muss er sich vor dem Landgericht in Gießen verantworten. Ein Urteil wird frühestens im Oktober erwartet.

Jan P. führte Buch zu seinen Methoden

Jan P. ist nach allem, was über ihn in neun Verhandlungstagen zu hören war, offenbar ein sexbesessener Erpresser. Vermutlich auch ein Mörder. Jedenfalls beschreiben die Ermittelnden ihn als einen Mann, dessen Gedanken und Aktivitäten nur um Sex zu kreisen scheinen, der unter diversen Accounts vor allem junge Frauen und Mädchen anchattet und auch nicht Halt vor geistig eingeschränkten Frauen oder sehr jungen Mädchen macht.

Ein Mann, so berichtete ein Ermittler hörbar schockiert, der mit perfiden Methoden die Mädchen unter Druck gesetzt hat, wenn sie keine Nacktfotos schickten. Der für sie Fragenbogen erarbeitet hatte, in dem sie unter anderem ihre sexuellen Vorlieben nennen sollten.

Wenn sie seinen Wünschen nicht nachkamen, drohte er ihnen, er tue entweder sich, ihren Angehörigen oder ihnen etwas an. Das führte meistens zum Erfolg. Jan P. führte Buch darüber, notierte, welche Methode erfolgreich war, wiederholte sie dann oder passte sie an.

Eine Herausforderung für Ermittelnde

Auch Ayleen, die sich nach Aussage ihrer Mutter in der letzten Zeit verändert hatte, hat er so unter Druck gesetzt. Bei ihr gab er sich als "Sugar Daddy" aus, zwang die 14-Jährige, die laut ihrer Mutter nicht einmal allein zum Dönerladen ging, raus zu sich ins Auto. Bei ihr wie bei vielen anderen stand er plötzlich vor der Tür. Was in dem laut Zeugenaussagen stinkenden, vermüllten Auto passierte, haben die Digitalermittelnden versucht herauszufinden.

Sie haben akribisch die Tausenden von Chats und Unmengen an Daten ausgewertet. Als erste Zeugen im Gießener Prozess machten sie keinen Hehl aus ihrem Entsetzen. Ihre Aussagen waren beeindruckend. Dass sie der schreckliche Tod Ayleens mitnimmt, war hörbar. Sie haben etwa die Chatverläufe der zwei aufgefundenen Handys von Jan P. mit den Daten aus Ayleens Handy ausgewertet.

Mutmaßlicher Täter kehrte zum Teufelsee zurück

Die digitalen Spuren spielen eine große Rolle in dieser Hauptverhandlung. So zeigen sie, wie viele Schritte Ayleen ging, als sie und der Angeklagte auf der Fahrt von ihrem Heimatort bei Freiburg nach Hessen an einem Waldrand hielten: genau 237. Oder welche Temperatur ihr Smartphone hatte: meistens um die 30 Grad, weil es auf dem Schoß lag oder sie es in der Hand hielt. Später hatte es nur noch 16,1 Grad: Es war die Temperatur, die in der Tatnacht am Teufelsee im Wetteraukreis gemessen wurde - dort, wo Ayleens Leiche am 29. Juli 2022 gefunden wurde, acht Tage nach ihrem Verschwinden aus dem Elternhaus.

Die Daten aus Jan P.s Smartwatch dokumentieren seinen Pulsverlauf und legen nahe, dass er die Uhr mehrmals ablegte. Sein Handy-Suchverlauf zeigt, dass er gegen 3.30 Uhr in der Tatnacht das Wort "See" googelte und das nächstgelegene Suchergebnis der Teufelsee war. Die Geodaten aus der Google-Cloud belegen, dass er Tage später noch einmal zum späteren Fundort der Leiche zurückkehrte.

Aussagen von Jan P. widerlegt

Dann die Fasergutachterin, die mit wenigen Worten die Aussage von Jan P. widerlegte. Sie hatte die Kleidung von Ayleen untersucht. Jan P. will die 14-Jährige im Streit getötet und sie dann so in den See gelegt haben, wie sie dort gefunden wurde. Zum Gutachten passt das nicht. Demnach muss Jan P. die Kleidungsstücke vom Körper des Mädchens heruntergeschnitten haben.

Doch lässt sich mit all diesen schrecklichen Details ein Mordmerkmal und damit ein Mord nachweisen? Es ist nicht klar, ob Jan P. Ayleen vergewaltigt hat, bevor er sie tötete. Das rechtsmedizinische Gutachten hat das nicht ergeben. Die Untersuchung ihrer Kleidung deutet dagegen darauf hin. Bemerkungen des Angeklagten nach Ayleens Tod ebenfalls.

Eine Resozialisierung erscheint unwahrscheinlich

Und was ist mit der Sicherungsverwahrung? Ist sie überhaupt nötig bei einem Mann, der schon einmal zehn Jahre wegen sexualisierter Gewalt in der Psychiatrie saß? Die Schwierigkeit: Die Sicherungsverwahrung ist an hohe Hürden geknüpft. Das birgt Revisionsgründe. Hinzu kommt, dass sie bei einem Mann, der wahrscheinlich zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird, nicht nötig ist, weil ein Mörder nur dann wieder freikommt, wenn er als resozialisiert gilt. Bei Jan P. erscheint das unwahrscheinlich.

Bleibt die Frage der Schuldfähigkeit. Vieles sprich dafür, dass er voll schuldfähig ist. Vor allem der Tatablauf und sein Verhalten nach der Tat. Deshalb wird das das psychiatrische Gutachten eine wichtige Rolle spielen. Der Sachverständige Hartmut Pleines hört dafür alle Zeugen und beobachtet Jan P. Pleines gilt als renommiert. Sein wohl bekanntestes Gutachten erstattete er im Fall Jörg Kachelmann.

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