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Der Fall Pia W.

Frank Freygang und seine Lebenspartnerin vor dem Haus, in dem Mietnomadin Pia W. eine Wohnung bezogen hatte.

Der Fall einer Hauskaufnomadin in Groß-Gerau sorgte jüngst für großes Aufsehen. Jetzt hat sie wieder zugeschlagen - nur wenige Kilometer entfernt. Offenbar treibt die Frau bereits seit über einem Jahrzehnt fast ungehindert ihr Unwesen.

Frank Freygang und seine Lebensgefährtin vermieten Ferienwohnungen in Trebur (Groß-Gerau). Meist an Menschen, die vorübergehend eine Bleibe suchen, weil ihre eigene Wohnung einem Brand, einem Unwetter oder anderen widrigen Umständen zum Opfer gefallen ist. Auch Pia W. hatte solch ein Problem. Ein Kabelbrand habe den Einzug in ihr neu gekauftes Haus verzögert, sagte sie, als sie Ende März mit ihrem Partner, den drei Kindern und ihrem Hund in eine von Freygangs Wohnungen einzog.  

Mittlerweile ist klar: Das war gelogen. Wie so vieles andere, was die 40-Jährige in den folgenden Wochen erzählte. Freygang weiß jetzt, dass er das jüngste Opfer einer im Kreis Groß-Gerau bereits bekannten und berüchtigten Betrügerin geworden ist.

Die Masche ist immer dieselbe

Wenige Wochen vor dem Einzug in die Treburer Wohnung erließ das Landgericht Darmstadt ein Urteil gegen W. Rund ein halbes Jahr hatte sie mit ihrer Familie in einem Haus in Groß-Gerau gelebt. Im Sommer 2022 gab sie als angebliche Millionenerbin vor, das Haus kaufen zu wollen - und zog gleich mal ein. Die folgenden Monate wurden für die Hauseigentümerin und ihren Lebenspartner zum Albtraum. Erst Mitte März dieses Jahres wurden sie durch das Gericht erlöst.

Durch die Berichterstattung in diversen Medien weiß Freygang, dass er auf dieselbe Frau hereingefallen ist. Auch die Masche ähnelt sich sehr: Wie schon in Groß-Gerau trat Pia W. zunächst seriös auf, sie wirkte "vertrauenswürdig", wie Freygang sagt. Die ersten Tage habe sie auch im Voraus bezahlt.

Doch dann begann der Ärger. "Ab da sind wir dem Geld hinterhergerannt", so Freygang. W. zahlte nicht mehr. Auf Nachfragen versprach sie stets, das Geld sei unterwegs und müsse jeden Moment kommen. Auch Belege der Bank legte W. vor, das Geld kam dennoch nicht bei Freygang an.

Wohnung von Polizei geräumt

"Die Belege waren alle gefälscht", vermutet Freygang. In Groß-Gerau blieb Pia W. das Geld trotz gültigem Kaufvertrag ebenfalls bis zuletzt schuldig. Auch hier legte sie angebliche Zahlungsbelege vor, die gefälscht waren, wie im Prozess in Darmstadt bekannt geworden ist.

Nach etwa zwei Wochen stornierte Freygang die Buchung, nach einer weiteren Woche rief er die Polizei und ließ die Wohnung räumen. Innerhalb der kurzen Zeit hätten Pia W. und ihre Familie die Wohnung in einen desolaten Zustand versetzt.

"Der Schaden ist immens. Wir konnten alle Bettsachen wegschmeißen, die Reinigung der Wohnung hat drei Tage in Anspruch genommen", schildert Freygang. Jeder Zentimeter habe gereinigt werden müssen. "Wir haben auch säckeweise Müll rausgetragen." Ähnliches berichtete die Hauseigentümerin aus Groß-Gerau, auch hier hinterließ W. viel Müll und Verwüstung.

Erfolgreiche Klage auf Wiedereinzug

In einem Telefonat mit dem hr widersprach Pia W. den Darstellungen ihres ehemaligen Vermieters Freygang. In diesem Fall klagte sie nach der Räumung sogar auf Wiedereinzug - und bekam in einem Eil-Beschluss des Groß-Gerauer Amtsgerichts Recht. Demnach hätte Freygang die Familie wieder in die Wohnung lassen müssen. Dazu kam es allerdings nie: Freygang legte Widerspruch ein. Während der mündlichen Verhandlung Ende Mai wurde bekannt, dass W. die Klage fallen lässt.

Dennoch stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass eine amtlich bekannte Betrügerin zunächst Recht bekommt? Oder noch viel grundsätzlicher: Wieso kann diese Frau weiterhin mehr oder weniger ungehindert betrügen?

Seit über zehn Jahren aktiv

Tatsächlich treibt Pia W. seit über zehn Jahren ihr Unwesen im südhessischen Ried, wie Ulrich Eisfeld, Sprecher des Amtsgerichts Groß-Gerau, dem hr sagte. Das älteste ihm bekannte Aktenzeichen datiere aus dem Jahr 2011.

Auch im zentralen Schuldnerverzeichnis ist W. zu finden, allein in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit 14 Einträgen. "Ich verstehe nicht, warum ich nicht gewarnt wurde, wenn diese Frau doch bei Polizei und Behörden bekannt ist. Das kann doch nicht sein", sagt Freygang, der nach dem Eil-Beschluss gegen ihn "die Welt nicht mehr verstanden" habe.

Dass das Amtsgericht der Klägerin zunächst wieder Zugang zur Wohnung gewährte, ohne dabei den Beklagten anzuhören, lag laut Sprecher Eisfeld an der "besonderen Dringlichkeit" der Angelegenheit. Es sei in allererster Linie darum gegangen, eine drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.

Das kann auch Kristian Lossner, Anwalt und Rechtsexperte aus Frankfurt, nachvollziehen. "Ein Eilverfahren muss schnell gehen und soll auch Überraschungscharakter haben." Alles andere müsse in einem möglichen Hauptverfahren geklärt werden.

Rechtsexperte: Aufklärung ist wichtig

Dass die bekannte Betrügerin trotz ihrer Vorgeschichte auch 2023 noch tätig sein kann, liegt laut Lossners Kollegen Christian Wolf in erster Linie an der Gutgläubigkeit der Betroffenen. Deswegen sei es wichtig, Aufklärung zu leisten und eine Sensibilität zu schaffen.

"Wer sein Haus verkauft oder die Wohnung vermietet, sollte vorher zum Beispiel einen Blick ins Schuldnerverzeichnis werfen oder sich Bonitätsnachweise vorlegen lassen", rät der Anwalt. Das Wichtigste sei aber: "Den Schlüssel erst aushändigen, wenn das Geld da ist."

Vermieter erstattet Anzeige

Der Betrügerin von Seiten der Behörden das Handwerk zu legen, sei nicht so einfach. "Sie können die Frau ja nicht an den Pranger stellen und überall Bilder verteilen oder sie ständig überwachen", sagt Lossner. Die persönliche Freiheitsentfaltung des Einzelnen sei ein hohes Gut und auch hier übergeordnet. "Auch Frau W. hat Rechte und ist nicht vogelfrei."

Der aussichtsreichste Weg sei noch der strafrechtliche. Je nach Höhe des entstandenen Schadens könnte Pia W. zu hohen Geldstrafen verurteilt werden. Könne sie diese dann nicht zahlen - wovon auszugehen sei, da sie amtsbekannt pfandlos ist - drohe eine Gefängnisstrafe, erläutert Lossner: "Auf diesem Weg könnte der Staat zeigen, dass er nicht untätig zusieht." Auch das Motiv, das die Frau immer wieder dazu treibt, zur Betrügerin zu werden, wäre sicher Teil einer solchen strafrechtlichen Ermittlung.

Freygang geht diesen Weg. Ende April erstattete er strafrechtlich Anzeige gegen W. wegen Eingehungsbetrugs und falscher eidesstattlicher Versicherungen. W. soll beim Amtsgericht gefälschte Unterlagen vorgelegt haben, die zu besagtem Eil-Beschluss geführt hätten, behauptet Freygang.

Ermittlungen in mehreren Fällen

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt will zwar nicht den Namen der Verdächtigen bestätigen, es würden allerdings Ermittlungen gegen eine 40-jährige Betrügerin geführt, sagte Sprecher Robert Hartmann dem hr. Dabei ginge es um mehrere Fälle vorwiegend im Zeitraum 2020 bis 2023, wie etwa Mietbetrug, Urkundenfälschung oder Warenbetrug.

Für sich selbst erhofft Freygang von dem Prozess wenig bis gar nichts. Ihm gehe es nur um eines: "Ich will, dass die Frau mal so richtig Druck zu spüren bekommt."

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