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Fall Ayleen: Mordprozess in Gießen wird fortgesetzt

Mann in rotem Shirt, der sich einen blauen Aktenordner vors Gesicht hält.

Im Mordfall Ayleen ging es am zehnten Verhandlungstag vor dem Gießener Landgericht um die Aussage einer 13-Jährigen. Ihr Fall offenbart viel über die "Masche" das Angeklagten – und darüber, warum junge Mädchen sich überhaupt auf diesen deutlich älteren Mann einließen.

Es hätte ein ganz anderes Ende nehmen können. Ein furchtbares Ende, vielleicht sogar ein tödliches - heute weiß sie das.

Am Anfang macht sie mit. Sie kennt das Spiel: Ein Unbekannter kontaktiert Sie über Snapchat, er fragt nach Bildern von ihr. Er will "versaut snappen", sagt er. Sie lässt sich auf den Kontakt mit ihm ein. Sie chatten kurz, tauschen Handynummern aus. Sie hat das vorher schon ein paar Mal gemacht.

Aber dieser Typ ist anders. Er schickt ihr einen merkwürdigen Fragebogen, eine Bewerbung als seine "Sugartochter". Die Fragen sind komisch, das findet sie sofort. Er fragt nach Gewicht, Körbchengröße und Alter, will wissen, wo sie wohnt. Und er fragt nach sexuellen Vorlieben.

Ob sie rasiert sei oder Sexspielzeug da habe, zum Beispiel. Sie soll ihn "Daddy" nennen, meint er, er möge das.

Sie schickt Nacktfotos, er Masturbationsvideos

Sie – die in der realen Welt sexuell noch vollkommen unerfahren ist – lässt sich darauf ein. Sie schickt ihm die Nacktfotos, die er haben will und macht Videos von sich. Er schickt ihr ebenfalls Penis-Bilder und Masturbationsvideos. In echt hat sie so was noch nie gesehen.

Aber dann will er immer komischere Sachen - perverse Sachen, findet sie. Bei einem Videoanruf merkt sie dann: Sie ist gar nicht mit einem Gleichaltrigen in Kontakt, wie sie ursprünglich dachte. Der Mann ist erwachsen, viel älter als gedacht. Auf 40 oder 50 schätzt sie ihn. Sie findet ihn eklig.

Aber wie kommt man aus so was wieder raus, wenn man einmal damit angefangen hat?

Dutzende Mädchen betroffen

Vor dem Gießener Landgericht wird an diesem Dienstag der Fall einer 13-Jährige ausgebreitet. Es ist der 10. Verhandlungstag. Inzwischen ist bekannt: Der wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung der 14-Jährigen Ayleen angeklagte Jan P. hat nicht nur mit Ayleen stark sexualisierte Inhalte über Chats ausgetauscht und sie teilweise massiv unter Druck gesetzt.

Der 30-Jährige war in den Monaten vor der Tat noch mit dutzenden anderen Mädchen auf ganz ähnliche Weise in Kontakt. Nach der Auswertung von über tausend Chats auf seinen Handys, gehen die Ermittler davon aus: Es könnten über fünfzig Betroffene sein.

Vorwurf: Beschaffung von Kinderpornographie

Der Fall der 13-Jährigen ist allerdings der einzige, der im Prozess mit angeklagt wird. Das Besondere: Sie war jünger als die anderen, Jan P. wird deshalb vorgeworfen, sich Kinderpornographie beschafft zu haben.

Wichtig ist der Fall der 13-Jährigen im Prozess auch, weil man daran eine Art Masche erkennen kann: Ein immer gleiches Schema, das zeigt, wie der heute 30-Jährige P. sich an Teenager ranmachte und sie dazu brachte, sich auf ihn einzulassen.

Denn: Die Mädchen machten freiwillig mit – zumindest anfangs. Auch im Fall der 13-Jährigen sagen die Ermittler: Es sei kein Zwang erkennbar gewesen. Auch sie habe sexuelles Interesse gezeigt. "Das Kind war sehr motiviert", meint einer der Ermittler.

Stattgefunden habe dieser Kontakt nur drei Wochen vor Ayleens Tod.

Vernehmungsvideo der 14-Jährigen wird gezeigt

Dem Mädchen selbst blieb eine Aussage vor Gericht erspart. Stattdessen wurde ein rund einstündiges Video von ihrer Vernehmung gezeigt.

Die Aufzeichnung lässt tief blicken: Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, erzählt zwei Beamtinnen mit leiser, unsicherer Stimme, wie der Kontakt mit P. ablief. Anfangs druckst sie herum, sie windet sich und kann sich angeblich an das meiste nicht mehr erinnern.

"Ich will mich auch nicht erinnern, ich schäme mich dafür", sagt sie. "Das macht mir Angst, dass ich mit so einem geschrieben habe", sagt sie.

Die Ermittlerinnen gehen behutsam vor, aber auch bestimmt. "Es muss dir vor uns nichts peinlich sein", sagen sie. "Und außerdem ist es ja jetzt vorbei." Sie machen aber auch klar: Sie müsse die Wahrheit sagen. Außerdem kennen die Polizistinnen bereits die Chatverläufe. 13 Nacktbilder von ihr konnten sie auf Jan P.s Handys sichern.

"Ich wolle mich gut fühlen"

Stück für Stück rückt das Mädchen schließlich mit Details heraus. Die große Frage: Warum ließ sie sich überhaupt auf den Kontakt ein? Auch das kann das Mädchen nicht mehr so genau sagen.

Zu Hause sei es in dieser Zeit schwierig gewesen, erzählt sie. "Ich wollte mich gut fühlen", sagt sie. "Komplimente bekommen und so."

Die Schülerin erzählt, wie sie anfangs mitgemacht, aber irgendwann alles nur noch ekelhaft und komisch gefunden haben. Wie schlecht sie sich gefühlt habe und welche Angst sie gehabt habe, dass ihre Eltern davon erfahren. Der Sog, den sie beschreibt, erinnert stark an das, was bereits aus dem Fall Ayleen bekannt ist.

Anders als Ayleen fand die 13-Jährige allerdings gerade noch rechtzeitig den Ausstieg: Als der Angeklagte auch sie immer wieder gedrängt habe, sich mit ihm zu treffen und Sex zu haben, habe sie den Kontakt abgebrochen und seine Nummer blockiert.

Die Nachrichten, die er ihr danach noch schrieb, erhielt sie nicht mehr. Darin drohte er ihr unter anderem, sich umzubringen, wenn sie ihm nicht weiter antworte.

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