Bild vom Public Viewing in Frankfurt zur WM 2006

Letzter Akt in der Sommermärchen-Affäre? 18 Jahre nach der Fußball-WM in Deutschland müssen sich die ehemaligen DFB-Topfunktionäre Zwanziger, Niersbach und Schmidt vor dem Frankfurter Landgericht verantworten. Die Chronologie der Ereignisse im Überblick.

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Landgericht Frankfurt verhandelt über Sommermärchen 2006

Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach
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Vor dem Frankfurter Landgericht hat am Montag der Prozess um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 begonnen. Zum Auftakt haben die drei ehemaligen DFB-Spitzenfunktionäre Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Horst R. Schmidt den Vorwurf der Steuerhinterziehung noch einmal zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, dass der DFB durch falsche Angaben Steuern in Höhe von 13,7 Millionen Euro nicht gezahlt habe.  

Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Justiz mit der Vergabe der WM 2006. Strafverfahren verjährten, andere Verfahren wurden erst gar nicht zugelassen - und dann doch wieder eröffnet. Knapp 18 Jahre nach dem Sommermärchen müssen sich die früheren Präsidenten Zwanziger und Niersbach sowie der langjährige Generalsekretär Schmidt vor der Zweiten Großen Wirtschaftskammer des Frankfurter Landgerichts verantworten. (zur Chronologie)

Verfahren im zweiten Anlauf

Die Staatsanwaltschaft legt den drei ehemaligen Funktionären "Hinterziehung beziehungsweise Beihilfe zur Hinterziehung von Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer für das Jahr 2006" zur Last.

Das Verfahren wird fortgesetzt, nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt im vergangenen Mai den Einstellungsbeschluss des Landgerichts vom Oktober 2022 aufgehoben hatte. Das Landgericht hatte das Verfahren mit Blick auf ein Verfahren in der Schweiz wegen des "Doppelbestrafungsverbots" zuvor eingestellt.

Bestechungsgelder als Betriebsausgabe deklariert?

Im Kern geht es um eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im April 2005 an den Fußball-Weltverband Fifa überwies. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, diese Summe in der Steuererklärung des Verbandes im Weltmeisterschaftsjahr 2006 unberechtigt als Betriebsausgabe in der Gewinnermittlung deklariert zu haben.

Der Verwendungszweck der Zahlung lautete damals zwar: "Kostenbeteiligung OK an Fifa-Football-Gala". Mit OK ist das WM-Organisationskomitee gemeint. Doch diese Gala fand niemals statt. Stattdessen landeten die Millionen als Rückzahlung eines Darlehens von OK-Chef Franz Beckenbauer über Umwege bei einem Fußballfunktionär in Katar.

Gemutmaßt wird bis heute, dass mit dem Geld Stimmen bei der WM-Vergabe für Deutschland gekauft wurden. Dort setzte sich Deutschland mit 12 zu 11 Stimmen gegen Südafrika durch. Es folgten schwarz-rot-goldene Fußball-Partys in den deutschen Städten: ein Sommermärchen, bei dem sich "Schland" als lebensfrohes und buntes Land präsentieren konnte.

DFB musste 22,5 Millionen Euro Steuern nachzahlen

Im Zuge der Affäre wurde dem DFB von den Finanzbehörden rückwirkend die Gemeinnützigkeit für das Jahr 2006 aberkannt. Die Folge: Der DFB musste rund 22,5 Millionen Euro Steuern nachzahlen.

Die Klage des Verbandes gegen diesen Bescheid ist beim Finanzgericht in Kassel bis zum Abschluss des Sommermärchen-Prozesses ausgesetzt - und dürfte nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn Zwanziger, Niersbach und der frühere DFB-Generalsekretär Schmidt freigesprochen werden sollten.

Bei einer Verurteilung drohen den Angeklagten Geldstrafen oder bis zu zehn Jahre Gefängnis. Insgesamt sind 24 Verhandlungstage angesetzt.

Die Chronologie der Ereignisse

  • 27. April 2005: Das deutsche WM-Organisationskomitee (OK), dem Schmidt, Niersbach und Zwanziger angehören, überweist 6,7 Millionen Euro an den Weltfußballverband Fifa. Verwendungszweck: "Kostenbeteiligung OK an Fifa-Football-Gala". Die Fifa leitet den Betrag umgehend an den Franzosen Robert Louis-Dreyfus weiter. Er hatte dieses Geld drei Jahre zuvor dem deutschen WM-OK-Chef Franz Beckenbauer geliehen, von wo aus der Betrag an den einstigen FIFA-Finanzfunktionär Mohamed bin Hammam weitergeleitet wurde. Wofür - das ist bis heute unklar.
  • 16. Oktober 2015: Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet über schwarze Kassen beim DFB und einen möglichen Stimmenkauf durch die deutschen WM-Organisatoren bei der Vergabe der Endrunde 2006.
  • 22. Oktober 2015: Bei einer Pressekonferenz in Frankfurt sagt Niersbach, die 6,7 Millionen Euro seien nach seiner Kenntnis an die Fifa gezahlt worden, um später 170 Millionen zu erhalten. Die Fifa dementiert Niersbachs Version der Geschehnisse umgehend.
  • 23. Oktober 2015: Zwanziger bezichtigt Niersbach der Lüge. Vor der WM 2006 habe es "eindeutig eine schwarze Kasse" gegeben: "Es ist klar, dass der heutige DFB-Präsident davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005."
  • 3. November 2015: Die Steuerfahndung durchsucht die DFB-Zentrale sowie die Privatwohnungen von Niersbach, seinem Vorgänger Zwanziger und Schmidt.
  • 22. Januar 2016: Die US-Bundespolizei FBI ermittelt in der Affäre. Die US-Justiz, die gegen zahlreiche FIFA-Funktionäre Strafverfahren wegen Korruption führt, will wissen, wo die 6,7 Millionen Euro hingeflossen sind, die 2005 vom OK an den Weltverband überwiesen wurden.
  • 4. März 2016: Die vom DFB mit der Untersuchung der WM-Affäre betraute Kanzlei Freshfields veröffentlicht ihren Bericht. Beweise für einen Stimmenkauf enthält er nicht. Allerdings wird ein solcher auch nicht ausgeschlossen. Zudem präsentieren die Ermittler den Weg der Millionen über Franz Beckenbauer nach Katar.
  • 22. März 2016: Die Fifa-Ethikkommission leitet Ermittlungen gegen Beckenbauer, Niersbach, Zwanziger, Schmidt und Ex-DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock sowie den früheren stellvertretenden DFB-Generalsekretär Stefan Hans ein.
  • 25. Juli 2016: Die FIFA-Ethikkommission sperrt Niersbach für ein Jahr von allen Ämtern im nationalen und internationalen Fußball. Er legt gegen die Suspendierung Berufung ein.
  • 1. September 2016: Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilt mit, dass am 6. November 2015 Strafverfahren gegen Beckenbauer, Niersbach, Zwanziger und Schmidt eröffnet worden seien. Es geht um den Verdacht des Betrugs, der ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Geldwäscherei und der Veruntreuung.
  • 16. Dezember 2016: Die Fifa-Berufungskommission bestätigt die Sperre für Niersbach. Der frühere DFB-Chef tritt daraufhin von all seinen verbliebenen Ämtern in den internationalen Gremien zurück.
  • 22. März 2017: Zwanziger scheitert mit seiner Schmerzensgeld-Klage. Das Landgericht Frankfurt weist seine Vorwürfe zurück. Zwanziger wollte vom Land Hessen 25.000 Euro Schadenersatz erstreiten, weil er die Ende 2015 durchgeführte Hausdurchsuchung für unbegründet hält.
  • 13. Januar 2018: Mohamed bin Hammam bestätigt gegenüber der ZDF-Sportreportage den Erhalt der 6,7 Millionen Euro des OK. Den Zweck der Zahlung lässt er offen.
  • 23. Mai 2018: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt erhebt Anklage gegen Schmidt, Niersbach und Zwanziger wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung.
  • 15. Oktober 2018: Das Landgericht Frankfurt lehnt die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen das Trio ab. "Die Kammer hat keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen", sagt ein Sprecher. 
  • 6. August 2019: Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) erhebt Anklage gegen Zwanziger, Niersbach, Schmidt und den früheren Fifa-Generalsekretär Urs Linsi. Ihnen wird vorgeworfen, über den eigentlichen Zweck der Zahlung in Höhe von rund 6,7 Millionen Euro arglistig getäuscht zu haben. Zwanziger und Schmidt sowie Linsi wird Betrug in Mittäterschaft vorgeworfen. Niersbach wird die Gehilfenschaft zu Betrug angelastet.
  • 26. August 2019: Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) lässt die Anklage gegen Niersbach und Zwanziger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in der WM-Affäre zu. Es bestehe bei insgesamt vier Angeklagten ein hinreichender Tatverdacht, erklärt das Gericht. Damit revidiert das OLG die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt aus dem Oktober 2018. Neben Zwanziger und Niersbach erhebt das Gericht auch Anklage gegen Schmidt und Linsi.
  • 25. Februar 2020: Der DFB kündigt an, im Strafverfahren gegen Zwanziger, Niersbach, Schmidt und Linsi als Privatkläger aufzutreten.
  • 27. April 2020: Der Prozess in der Schweiz wird wegen Verjährung eingestellt. "Prozessuale Umstände und die Vorgaben im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie" hätten dazu geführt, dass es zu keinem Urteil gekommen sei, teilt die Behörde mit.
  • 27. Oktober 2022: Nach der Einstellung des Verfahrens in der Schweiz stellt auch das Frankfurter Landgericht das Verfahren gegen Schmidt, Zwanziger und Niersbach wegen des Doppelbestrafungsverbots ein.
  • 31. Januar 2024: Das Landgericht Frankfurt lehnt die Einstellung des Sommermärchen-Prozesses gegen zwei von drei Angeklagten (Schmidt und Niersbach) gegen Zahlung einer Geldstrafe ab. 
  • 4. März 2024: Erster Prozesstag vor dem Frankfurter Landgericht. Angesetzt sind 24 Verhandlungstage. Damit reicht das Verfahren voraussichtlich bis in die Heim-Europameisterschaft (14. Juni bis 14. Juli) hinein.
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"Sommermärchen" – Affäre nimmt kein Ende!

hs
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