Prozess in Darmstadt Unkraut oder Umweltschutz? Streit um Gehweg-Grün landet vor Gericht

Weil sie sich weigert, Pflanzen auf dem Bordstein vor ihrem Haus zu entfernen, wird eine Frau im südhessischen Mühltal von der Gemeinde verklagt. Das Gericht gibt der Gemeinde Recht. Doch eine Botanikerin plädiert für ein Umdenken, nicht nur in Mühltal.

Foto aus der Froschperspektive / Pflanzen am Rand eines Gehwegs, die vor der Mauer bzw Zaun eines Grundstuecks wachsen. Blick entlang des Buergersteigs.
Der Gehweg vor Juliane Alberts Haus in Mühltal Bild © privat

Der Bürgersteig vor Juliane Alberts Haus entspricht so gar nicht den Vorstellungen der Gemeinde Mühltal (Darmstadt-Dieburg). Dort wachsen viele Pflanzen, die die meisten wohl als Unkraut bezeichnen würden. Nicht so Frau Albert: Sie spricht liebevoll von ihren "Pflänzchen".

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Juliane Albert heißt eigentlich anders, möchte aber nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden. Tatsächlich sprießen auf dem Gehweg seit einiger Zeit verschiedenste Pflanzen, wie etwa Brennesseln, Seifenkraut oder die Kleinblütige Königskerze, die unter anderem von Wildbienen gerne angeflogen wird. Manche wachsen dicht am Grundstück der 61-Jährigen, einige auch an der Bordsteinkante. Das war dem Ordnungsamt bei Kontrollen aufgefallen.

Was für Frau Albert ein kleiner Beitrag zu Naturschutz und Biodiversität ist, verstößt laut der Gemeinde Mühltal gegen die Satzung zur Straßenreinigung und muss weg.

Mehrfach wurde Frau Albert daher von der Gemeinde schriftlich aufgefordert, die Pflanzen vom Gehweg zu entfernen, erstmals im Juli 2024. Die Stadt beruft sich dabei jedes Mal auf die Straßenreinigungssatzung. Doch Frau Albert weigert sich vehement, der Aufforderung nachzukommen, auch ein gefordertes Bußgeld zahlte sie nicht. "Ich werde dazu aufgefordert, Täter an der Umwelt zu werden, und da sage ich einfach 'Nö'."

"Regeln sind Regeln": Gericht verhängt Bußgeld

Die Gemeinde akzeptierte das "Nö" aber nicht und so ging der Streit bis vor das Amtsgericht Darmstadt. Dort bekam die Gemeinde am Dienstag Recht: Das Gericht ordnete die Entfernung der Pflanzen an, ebenso ein Bußgeld in Höhe von 50 Euro – die Hälfte der geforderten Summe. Immerhin habe Frau Albert mit dem Naturschutzgedanken ein hehres Motiv für ihren zivilen Ungehorsam, aber Regeln seien nun einmal Regeln, urteilte der Richter. So sah es auch der anwesende Ordnungspolizist aus Mühltal: "Die Pflanzen müssen restlos entfernt werden, so steht es in der Satzung."

"Dann sind die Regeln eben falsch", sagte Albert nach der Verhandlung im Gerichtsgebäude. Sie kann nicht verstehen, was an ihren "Pflänzchen" so schlimm sein soll. Ganz im Gegenteil: Für Albert sind die Gehweg-Pflanzen ein Beitrag zu Biodiversität, Arten- und Klimaschutz - eine Meinung, mit der sie nicht allein dasteht.

Auch am Bordstein wachsen Pflanzen
In Mühltal nicht gern gesehen: Pflanzen an der Bordsteinkante. Bild © privat

Senckenberg-Botanikerin: "Jedes Grün ist wichtig"

"Jedes bisschen Grün ist wichtig für unsere Umwelt, gerade in Städten", sagt auch die Botanikerin Julia Krohmer von der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung. Sie hat Albert im Kampf für den Erhalt ihrer Gehweg-Vegetation mit wissenschaftlichen Argumenten unterstützt. Angesichts des Klimawandels müssten Gemeinden für mehr Biodiversität und natürliche Kühlung in der Stadt sorgen.

"Rechts und links so ein kleiner Grünstreifen auf dem Gehweg ist ein sehr guter Beitrag", sagt Krohmer – etwa zehn bis zwanzig Zentimeter breit, dann wäre noch genug Gehweg für Fußgänger frei. Kräuter und ihre Wurzeln seien auch nicht automatisch schädlich für den Gehweg.

Bereits solch kleine grüne Inseln böten Lebensraum für viele verschiedene Insekten wie Käfer, Ameisen, Spinnen, aber auch Bienen. "Außerdem binden die Pflanzen Staub aus der Luft und tragen dazu bei, dass mehr Wasser im Boden versickern kann", erklärt die Botanikerin. "Und es sieht auch hübsch aus."

Wissenschaftlerin plädiert für neue Satzungen

Über den ästhetischen Aspekt gehen die Meinungen sicher auseinander. In Deutschland steht Ordnung nicht selten an erster Stelle - so wie in der Gemeindesatzung von Mühltal, die hier exemplarisch für viele Gemeindesatzungen bundesweit steht.

"Die Straßen und Gehwege sind regelmäßig so zu reinigen, dass eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (…) vermieden wird", heißt es dort - und das Regelwerk wird in Mühltal noch konkreter: "Dazu gehört auch das Entfernen von Bewuchs auf dem Bürgersteig und Straßenbereich."

Für Botanikerin Krohmer sind solche Regeln nicht mehr zeitgemäß. "Die Satzungen sind meist Jahrzehnte alt und sehr auf Sauberkeit und Ordnung ausgerichtet", sagt die 58-Jährige. "Heute haben wir aber den Klimawandel." Es sei überfällig, dass Städte und Gemeinden ihre Satzungen anpassen und mehr Stadtgrün fördern.

Anwohnerin gibt nicht auf

Um auf die biologische Bedeutung von Bordstein-Grün hinzuweisen, veranstaltet die Senckenberg-Gesellschaft jedes Jahr die bundesweite Aktion "Krautschau", die Krohmer koordiniert: Es geht darum, auf Spaziergängen Pflanzen in der Stadt zu entdecken, die zwischen Pflastersteinen, Rinnsteinen oder Mauerritzen wachsen und oft als Unkraut belächelt werden, aber einen Beitrag zur Biodiversität leisten.

Gehweg-Vegetation in Zwingenberg
Gehweg-Vegetation in Zwingenberg Bild © Julia Krohmer

Wie es mit dem grünen Gehweg in Mühltal weitergeht, ist trotz klarer Ansage durch das Gericht noch unklar. Denn bevor sich Frau Albert gegen ihre Überzeugung ans Pflanzen-Rupfen macht, möchte sie noch einmal mit Hilfe von Botanikerin Krohmer an die Gemeinde herantreten, sagt sie. "Vielleicht finden wir ja doch noch eine Lösung".

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de