Busfahrerin Annemarie Weber steht in ihrem Bus.

Im Nahverkehr sitzen Busfahrer teilweise stundenlang am Steuer, ohne auf Toilette gehen zu können - weil es schlicht keine gibt. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Fahrer und die Sicherheit der Fahrgäste.

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Toiletten-Mangel bei Busfahrern - Gefahr für Gesundheit und Sicherheit

Das Toiletten-Problem besteht vor allem auf Überlandlinien, wie sie zum Beispiel das Unternehmen Müller-Riedstadt fährt.
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Seit acht Stunden sitzt Alina Kurz nun bereits am Steuer ihres Linienbusses, mindestens drei liegen noch vor ihr. Obwohl draußen Temperaturen um die 30 Grad herrschen, hat sie über den Tag kaum etwas getrunken. Sie plagen bereits leichte Kopfschmerzen, schwindelig ist ihr auch. Sie würde gerne einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche nehmen, aber tut es nicht – aus Angst, dann auf Toilette zu müssen. Denn das ist schlicht nicht möglich.

Was für andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbstverständlich ist – nämlich während der Arbeit ihrem Grundbedürfnis nachgehen zu können, wann immer es pressiert - gilt für Busfahrerinnen und Busfahrer vor allem im Überlandverkehr oft nicht. "Wir haben ein paar Linien, da gibt es gar keine Toilette", sagt Kurz, die im Auftrag der Lokalen Nahverkehrsgesellschaft Groß-Gerau (LNVG) für das Busunternehmen Müller-Riedstadt im Riedstädter Stadtteil Crumstadt (Groß-Gerau) fährt. Das Einsatzgebiet umfasst große Teile Südhessens und des Rhein-Main-Gebiets.

In einen Eimer erleichtert

Auch Annemarie Weber ist Busfahrerin bei Müller-Riedstadt. Das Problem mit den Toiletten gebe es schon immer, in den vergangenen Jahren sei es aber schlimmer geworden, sagt die 68-Jährige. "Ich fahre seit 25 Jahren, und seit 25 Jahren weiß ich nicht wirklich, wo ich auf Toilette gehen soll."

In ihrer Verzweiflung griff sie zu einer zwar praktischen, aber ebenso demütigenden Lösung: "Ich habe immer einen Plastikeimer mit Deckel mitgenommen, der eigentlich für Tischabfälle gedacht ist. Das war dann meine Toilette." Während einer Leerfahrt habe sie den Bus meist an einem Feldrand abgestellt. Damit die Kamera sie nicht erfassen konnte, sei sie mit ihrem Eimer hinter das Gelenk des Busses gegangen und habe sich dort erleichtert. "Dann habe ich vorne die Tür aufgemacht, alles rausgeschüttet und bin weitergefahren."

Problem betrifft zahlreiche Busfahrer

Das muss sie mittlerweile nicht mehr tun, denn seit Weber das Rentenalter erreicht hat, fährt sie nur noch kurze Strecken, meist Schulbusse. Aber für ihre Kolleginnen und Kollegen besteht das Problem weiterhin.

Alina Kurz kämpft als Mitglied des Betriebsrats für bessere Arbeitsbedingungen, besonders für die Möglichkeit, auf Toilette gehen zu können. Ein Kampf, den sie wohl stellvertretend für viele Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland führt. "Das betrifft ja nicht nur uns bei Müller-Riedstadt, das ist eigentlich ein bundesweites Problem."

Gefahr für Gesundheit und Sicherheit

Sich nicht erleichtern zu können, sei nicht nur äußerst unangenehm für die Betroffenen, sondern wirke sich auch auf deren Gesundheit aus – und auf die Sicherheit der Fahrgäste. "Dann bekommt man Kopfschmerzen oder Schwindel. Einige Kollegen haben deswegen auch Nierenschmerzen und sogar Probleme mit Nierensteinen", schildert Kurz. Doch nicht nur das: "Man ist auch unkonzentriert, wenn man aufs Klo muss. So können Unfälle entstehen." Fahrer und Fahrerinnen, die aufs Klo müssten, reagierten oft auch gereizt gegenüber den Fahrgästen.

Männliche Kollegen würden sich regelmäßig in Gebüschen oder an Feldrändern erleichtern, aber auch das sei oft unangenehm. "Einige Kollegen wurden dabei schon von Fußgängern fotografiert. Die haben die Fotos dann an die Firma geschickt und sich beschwert." Eine entwürdigende Situation. Für Frauen falle sogar diese Option weg. "Wir Frauen haben ja zudem einmal im Monat unsere Problemchen, dann ist es sehr unangenehm, wenn man da so viele Stunden sitzt", erklärt Kurz.

Nicht nur für das Personal am Steuer sei die Situation unerfreulich. "Fahrer, die sich am Straßenrand erleichtern und dann die Hände nicht waschen können, wechseln dann auch das Geld der Fahrgäste", sagt Marc Sternitzky, Geschäftsführer von Müller-Riedstadt. Es sei also auch eine Frage der Hygiene.

Schuldzuweisungen und ungeklärte Zuständigkeiten

Das grundlegende Problem: An vielen Endhaltestellen oder anderen Plätzen, wo die Fahrer und Fahrerinnen ihren Bus in ihrer Pause zwischen zwei Fahrten abstellen könnten, gibt es keine Toiletten. Aber warum?

Geht man dieser Frage nach, gerät man schnell in einen Teufelskreis aus Schuldzuweisungen und ungeklärten Zuständigkeiten. In erster Linie ist der Arbeitgeber, in diesem Fall das Unternehmen Müller-Riedstadt, dafür zuständig, seinen Angestellten einen Toilettengang zu ermöglichen. Geschäftsführer Sternitzky verweist allerdings auf den Auftraggeber: "Da sehen wir die LNVG in der Pflicht." Schließlich könne Müller-Riedstadt als eines von vielen Subunternehmen nicht die Infrastruktur für das ganze Einsatzgebiet stellen.

Die LNVG nimmt den Ball zwar auf, spielt ihn aber auch weiter. "Die Leute haben Recht, wir finden die Arbeitsbedingungen auch nicht gut", sagt Jens Untermann, zuständiger Planer bei der Nahverkehrsgesellschaft. Die LNVG sei auch bereit, Geld für bauliche Lösungen und neue Toiletten in die Hand zu nehmen, allerdings würden die jeweiligen Kommunen oder betroffene Anwohner solche Vorhaben oft blockieren.

Als Beispiel nennt er den Bahnhof in Rüsselsheim. Derzeit sei der Bahnhof Endhaltestelle für fünf, bald sogar sechs Linien. Allerdings gebe es keine richtige Abstellfläche für die Busse, sodass die Fahrer und Fahrerinnen das Fahrzeug während der Pause nicht verlassen könnten, um auf Toilette zu gehen. "Sie müssen ständig mit dem Bus aufrücken, wenn eine neue Linie ankommt." Die LNVG wollte die Haltestelle laut Untermann umbauen, der Umweltauschuss der Stadt habe das aber mit Verweis auf die Anwohner abgeschmettert.

Dennoch wolle die LNVG weiterhin versuchen, hier und da mobile Toiletten aufzustellen. Aber auch hier sei es schwierig, geeignete Flächen zu finden.

Hoffen auf den Nahverkehrsplan

Langfristig hofft die LNVG auf die Fortschreibung des sogenannten Nahverkehrsplans. Aktuell befänden sich Busunternehmen, Kommunen und LNVG in Gesprächen über den Ausbau der Infrastruktur und damit auch der Errichtung von Toiletten, in die sich die jeweiligen Busunternehmen dann einmieten könnten.

"Das Problem ist, dass der ganze Nahverkehr in den letzten Jahren immer weiter gewachsen ist, die Infrastruktur dafür aber nicht", sagt Untermann. Das wolle man nun ändern. Der Nahverkehrsplan wird allerdings erst 2025 angepasst, ob dann sofort alles besser wird, ist auch mehr als fraglich.

Linien fallen aus

Von der Firma Müller-Riedstadt gebe es zwar das Angebot, zur Not auch einmal eine Linie ausfallen zu lassen oder die Fahrgäste aus dem Bus zu komplimentieren, um am Betriebshof in Riedstadt auf die Toilette gehen zu können, sagt Kurz. Einige hätten das auch schon gemacht, sie selbst inbegriffen. Das bestätigt auch Chefin Sabine Müller-Kampa: "Wir unterstützen das, dann sieht vielleicht auch die LNVG, dass es so nicht funktioniert."

Eine dauerhaft tragfähige Option sei das für die Fahrerinnen und Fahrer aber nicht, so Kurz. Abgesehen von der massiven Störung des Ablaufs und dem verständlichen Unmut der Fahrgäste sei diese Variante auch mit finanziellen Einbußen verbunden. "Müller-Riedstadt muss für ausgefallene Linien Strafe an die LNVG zahlen. Das führt dazu, dass wir die Prämien für diese Linie nicht bekommen." Eine Schilderung, der Chefin Müller-Kampa allerdings widerspricht: "Noch nie hat eine Fahrerin oder ein Fahrer bei uns finanzielle Nachteile gehabt, weil sie oder er auf Toilette gehen musste."

Schlechte Werbung für Busfahrer-Beruf

Angesichts des dramatischen Mangels an Busfahrerinnen und Busfahrern sei das Toiletten-Problem zudem neben den langen Lenkzeiten keine gute Werbung für den Beruf, fürchtet Kurz. "Wer möchte sich das denn antun?"

Insgesamt eine mehr als unbefriedigende Situation für alle Beteiligten - Fahrer und Fahrerinnen, Unternehmen und Fahrgäste - die sich durch den immer weiter wachsenden Nahverkehr noch verschlimmern dürfte. Eine Lösung drängt, der Glaube daran aber schwinde, sagt Kurz: "Viele Kolleginnen und Kollegen haben die Hoffnung bereits verloren."

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