Ein Kind schaut auf einen Geldbeutel, in dem nur 15 Euro sind.

In Hessen steigt die Zahl der Menschen, die mit deutlich weniger Geld als der Durchschnitt über die Runden kommen müssen. Der neue Sozialbericht des Landes nimmt vor allem die Nöte Alleinerziehender und ihrer Kinder in den Blick.

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Alleinerziehende oft von Armut betroffen

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Die zwei Spielzeugpistolen für Schaumstoffpfeile hat Eva Meißner ihrem Sohn auf dem Flohmarkt gekauft. 2,50 Euro zusammen. "Mama, wirklich? Aber das kostet doch so viel", habe der Junge bei aller Freude gesagt. Was die Alleinerziehende aus Langen (Offenbach) so traf: Der Elfjährige hatte sich nicht einmal getraut, um den Kauf zu bitten.

Eva Meißner ist Alleinerziehende. Dieser Bevölkerungsgruppe, meist sind es Frauen, widmet der neue Sozialbericht des Landes Hessen besondere Aufmerksamkeit. Das Risiko, mit dem Geld nicht über die Runden kommen zu können, steigt allgemein. Aber neben Menschen ohne Job trifft es Alleinerziehende besonders oft.

45,2 Prozent von ihnen, also fast jede zweite Alleinerziehende und ihre Kinder, leben mit dem, was Politiker und Experten "Armutsrisiko" nennen: Sie befinden sich an der Schwelle zur Armut oder längst mitten drin. So geht es aus dem 364-Seiten-Bericht hervor, den Sozialminister Kai Klose (Grüne) am Montag in Wiesbaden vorgelegt hat.

Trend schon vor Pandemie und Inflation negativ

Seit 2012 legt das Land alle fünf Jahre einen solchen Bericht vor, einmal pro Legislaturperiode des Landtags. Er soll nicht zuletzt "Ausgangspunkt strategischer Armutsbekämpfung" sein, wie Minister Klose sagte.

Die unter Mitwirkung von Experten zusammengetragen und ausgewerteten Daten haben den Nachteil, nur bis zum Jahr 2020 zu reichen. Die Auswirkungen der Coronakrise oder von Inflation und Energiepreissteigerungen lassen sich also noch nicht ablesen. Das Land hat am Montag ein eigenes hessisches Hilfsprogramm konkretisiert, dass flankierend zu Maßnahmen des Bundes Privatleute, Vereine oder kleine Firmen entlasten soll.

Der Trend war aber schon vorher negativ, das Armutsrisiko in Hessen laut dem Bericht schon vor der Pandemie gestiegen. Besonders betroffen sind unter anderem Erwerbslose, Menschen mit niedriger beruflicher Qualifikation und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Fehlende Qualifikation nicht immer schuld

Zur Gruppe der Armen zählen auch häufig Familien mit vielen Kindern und ältere Menschen - vor allem Frauen. Die Armutsrisikoschwelle lag in Hessen für einen Einpersonenhaushalt 2020 bei 1.194 Euro netto. Dem liegt eine relativer Armutsbegriff entsprechend einer EU-Konvention zugrunde: Als arm gelten Haushalte mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im Untersuchungsgebiet.

An Qualifikation fehlt es Eva Meißner nicht. Sie ist gelernte Erzieherin. Weil sie als Mutter gefragt ist, arbeitet sie Teilzeit. Nebenher jobbt sie noch, so wie es die Zeit zulässt. Das verhindert nicht, dass es ab der Monatsmitte auch bei den Lebensmitteln für sie und ihren Sohn schon eng wird. "Mir wird manchmal angst und bange und ich denke: Hoffentlich reicht es noch!", sagt sie.

Den Autoren des Sozialberichts zufolge ist es für Alleinerziehende typisch, dass sie oft gut qualifiziert sind. Aber oft erlauben die Umstände keine Vollzeitstelle, viele müssen weniger qualifizierte Jobs annehmen. Sozialminister Klose sieht in dem Bericht einen Beleg dafür, dass die von der Bundesregierung geplante Einführung einer Kindergrundsicherung richtig ist.

Hessen steht nicht gut da

Gestiegen ist das Armutsrisiko in ganz Deutschland. Mit 17,4 Prozent im Jahr 2020 lag der Anteil in Hessen aber nicht nur um drei Prozentpunkte höher als noch im Jahr 2015. Er liegt auch höher als die Quote bundesweit (16,1 Prozent) und als in den westdeutschen Bundesländern (15,5 Prozent). Der Paritätische Wohlfahrtsverband kommt aktuell für Hessen sogar auf eine noch höhere Armutsquote von 18,3 Prozent. Das sei ein historischer Höchststand.

Die Ursachenfindung ist nach Angaben der wissenschaftlichen Autoren des Sozialberichts nicht so leicht. Auffällig sei unter anderem, dass es in Hessen vergleichsweise viele Alleinerziehende gibt, aber auch kinderreiche Familien. Ein weiterer Grund könne sein, dass Hessen um 2015 relativ viele Flüchtlinge aufgenommen habe.

Sozialverbände fordern ambitioniertere Politik

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen begrüßte, dass der Bericht die schwierige Lebensrealität Alleinerziehender "klar herausgearbeitet" habe. Wünschenswert seien allerdings aktuellere Daten, etwa in Form eines jährlichen Monitorings.

Außerdem müsse die Armutsbekämpfung ambitionierter sein. Für Alleinerziehende bedeute dies vor allem bezahlbarer Wohnraum und verlässliche Kinderbetreuung, um ausreichend Geld verdienen zu können.

Die Oppositionsparteien SPD und Linke nahmen den Sozialbericht unabhängig voneinander zum Anlass zur Kritik an der Landesregierung, warfen ihr Versagen vor und forderten einen Maßnahmenkatalog gegen Armut. Beide beklagten Versäumnisse Hessens beim Angebot kostenfreier Betreuung und Bildung sowie beim sozialen Wohnungsbau.

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