Blick von der hessischen Seite auf das stillgelegte Atomkraftwerk in Würgassen

Um ein geplantes Endlager in Salzgitter zu beliefern, sollte der Atommüll in einem Logistikzentrum nahe der nordhessischen Landesgrenze sortiert werden. Diese Pläne sind nun vom Tisch - vor allem aus zeitlichen Gründen. Anwohner und Landkreis Kassel reagierten erleichtert.

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Aufatmen in Nordhessen – es gibt kein Logistikzentrum fürs Atommülllager

hs 12.12.2023
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Das Bundesumweltministerium hat Pläne verworfen, für das geplante Atommüll-Endlager im niedersächsischen Salzgitter ein Logistikzentrum als Umschlagsplatz zu bauen.

Das Vorhaben könne voraussichtlich nicht rechtzeitig realisiert werden und werde sich daher absehbar als Fehlinvestition in Milliardenhöhe entpuppen, teilte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Dienstag mit.

Damit sind auch der mögliche Standort in Beverungen-Würgassen nahe Bad Karlshafen (Kassel) sowie ein befürchteter Transport radioaktiven Mülls durch Nordhessen vom Tisch.

Logistikzentrum war zum Vorsortieren gedacht

Die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) hatte im Jahr 2018 ein Logistikzentrum vorgeschlagen, um die Einlagerung im Endlager "Schacht Konrad" zu beschleunigen, das 2027 in Betrieb gehen soll. Der Atommüll aus den Zwischenlagern sollte zunächst im Logistikzentrum vorsortiert und erst dann nach Salzgitter gebracht werden.

Die Entsorgungskommission des Bundesumweltministeriums hatte das zunächst ebenfalls als sinnvoll erachtet, um Störungen der logistischen Abläufe, etwa beim Transport per Bahn, so klein wie möglich zu halten. Die Pläne sahen eine Lagerkapazität von 60.000 Kubikmetern vor, was etwa 15.000 Atommüllbehältern entsprechen würde.

Dezentraler Transport ins Endlager geplant

Für das sogenannte Bereitstellungslager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll waren zwei Standorte im Gespräch: Braunschweig und das Gelände des 1994 stillgelegten Atomkraftwerks in Beverungen-Würgassen (Nordrhein-Westfalen).

Für dieses von ihr favorisierte Gelände sicherte sich die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung vor Jahren eine Kaufoption, die laut Bundesumweltministerium jetzt zum Jahreswechsel ausläuft. Eine Verlängerung habe der Betreiber abgelehnt, weshalb nun schnell eine Entscheidung getroffen werden musste.

Da die Planungen und Arbeiten für ein Lager Standort Würgassen bereits fortgeschritten waren, sei nicht zu erwarten, dass es sich an einem anderen Standort, der zudem erst gefunden werden müsste, schneller realisieren ließe, teilte das Bundesumweltministerium weiter mit.

Das notwendige Ende des Logistikzentrums bedeute aber, dass das "Endlager Konrad" nun länger in Betrieb sein wird, so Lemke. Der Atommüll solle in den kommenden Jahrzehnten dezentral, also direkt von den verschiedenen Zwischenlagern, nach Salzgitter transportiert werden.

Bürgermeister erleichtert

Die Entscheidung habe ihn positiv überrascht, sagte der Bürgermeister von Bad Karlshafen, Marcus Dittrich (parteilos), am Dienstag dem hr. Die Stimmung in der Stadt sei ganz klar gegen das Lager gewesen, die Stadtverordneten hätten sich einstimmig dagegen ausgesprochen.

Bad Karlshafens Bürgermeister Marcus Dittrich (unabhängig)

"Letztlich konnten unsere Sachargumente das Bundesumweltministerium wohl doch noch überzeugen." Verschiedene Gutachten hätten ergeben, dass sich der Standort an der Weser wegen der Hochwassergefahr und des Erdfall-Risikos nicht eigne, auch die nötige Verkehrsanbindung sei nicht gegeben.

Landkreis Kassel: Bestätigung für alle Beteiligten

Erleichterung am Dienstag auch beim Landkreis Kassel: "Der jetzt vollzogene Kurswechsel ist eine Bestätigung für alle Beteiligten, die sich entschieden gegen das Projekt gestellt haben. Ihnen allen gilt mein Dank für ihren unermüdlichen Einsatz", sagte Landrat Andreas Siebert (SPD).

"Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätten wir als Landkreis Kassel gemeinsam mit den anderen betroffenen Kommunen Klage eingereicht", fügte Siebert hinzu. Er sei froh, dass es anders gekommen ist.

Der Landrat erinnerte daran, dass sich der Kreistag bereits früh gegen Würgassen ausgesprochen habe. Der Landkreis Kassel habe sich auch finanziell an der Erstellung eines neuen und unabhängigen Gutachtens beteiligt - mit dem Ziel: "Schwachstellen in der Planung der BGZ für das Zentrale Bereitstellungslager aufzuzeigen."

Bürgerinitiative: "Steine vom Herzen gefallen"

Das Lager war in allen drei beteiligten Bundesländern umstritten. Länderübergreifend hatte sich Protest in der Bürgerinitiative "Atomfreies 3-Ländereck" formiert, der sich nach eigenen Angaben Städte und Gemeinden aus fünf Landkreisen in Hessen, Niedersachsen und NRW anschlossen.

Die Bürgerinitiative befürchtete eine hohe Strahlenbelastung für die Anwohner und Beschäftigten des Logistikzentrums, während es für die Endlagerung keinen signifikanten Zeitvorteil bringe. Jede zusätzliche Verladung berge auch zusätzliche Gefahren, dass beim Transport etwas schiefgehen könnte, sagte der Vorsitzende Martin Ahlborn. Zudem könne es Nachteile für den Tourismus in der Region geben, der nach der Stilllegung des Atomkraftwerks mühsam angelaufen sei.

Martin Ahlborn, Vorsitzender der Bürgerinitiative "Atomfreies Dreiländereck e.V.".

Der vier Jahre andauernde Widerstand sei erfolgreich gewesen, freute sich Ahlborn nach der Entscheidung. "Uns sind große Steine vom Herzen gefallen."

Kritik auch aus der SPD

Der Landtagsabgeordnete Oliver Ulloth (SPD) aus dem Kreis Kassel hatte sich in der Vergangenheit ebenfalls kritisch zu den Plänen geäußert. Das Aus des Lagers mache deutlich, "dass es berechtigte Zweifel an der Notwendigkeit gibt und dass der Standort Würgassen vollkommen ungeeignet ist", sagte er am Dienstag.

Bereits 2021 hatte Ulloth in einer Kleinen Anfrage im Landtag kritisiert, dass Würgassen offenbar nur aus zeitlichen Gründen bevorzugt worden sei. Bei der Wahl sei die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung nicht transparent vorgegangen.

Das hessische Umweltministerium teilte damals dazu mit, man stelle die Entscheidung grundsätzlich nicht in Frage. Es seien aber weitere Untersuchungen zur Sicherheit des Standorts notwendig. Von einer Gefährdung des Tourismus sei hingegen nicht auszugehen.

Ein von den Ländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen beim TÜV Nord in Auftrag gegebenes Gutachten war allerdings ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass ein Logistikzentrum für das Endlager nicht notwendig sei. Mit einem dezentralen Transport, wie er nun voraussichtlich umgesetzt wird, könne "Schacht Konrad" ebenso gut, wenn auch langsamer, betrieben werden.

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