Angehörige von Opfern des Anschlags auf der Zuschauertribüne des Landtags

Die Abgeordneten im Landtag haben zum Ende des Untersuchungsausschusses noch einmal an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau erinnert. Die Debatte über den Abschlussbericht fand vor den Augen der Angehörigen statt. Diese sind enttäuscht vom Ergebnis.

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Landtag diskutiert über den Abschlussbericht des Anschlags in Hanau

hs 05.12.2023
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Es herrschte breite Übereinstimmung - im Bemühen um den angemessen Ton. So wurde die Debatte des Landtags in Wiesbaden über den Abschlussbericht des Hanau-Untersuchungsausschusses am Dienstag nicht zu einem heftigen Schlagabtausch. Das hatte es zuvor in dieser Sache häufiger gegeben.

Die Redner aller Fraktionen einte auch, dass sie das Verbrechen als abscheulich verurteilten. Alle erinnerten an die Opfer und sprachen den Hinterbliebenen auf der Zuschauertribüne ihr Mitgefühl aus. Und als Berichterstatter des Ausschusses betonte der CDU-Politiker Michael Ruhl: Man bedauere, dass der Staat die Opfer nicht habe schützen können. So steht es auch im Bericht.

Ob dies aber möglich gewesen wäre oder ob nicht wenigstens einige Leben hätten bewahrt werden können, wenn Politik, Behörden und Polizei besser gearbeitet hätten: In dieser zentralen Frage wurden auch am Schluss der zweieinhalb Jahre dauernden parlamentarischen Aufarbeitung die Akzente sehr unterschiedlich gesetzt.

Kein einstimmiger Bericht

Der Berichterstatter Ruhl hatte zu Beginn betonte, der Abschlussbericht werde von einer breiten Mehrheit des Ausschusses getragen. Er erwähnte auch Sondervoten. SPD, FDP und AfD hatten sie abgegeben, weil sie in verschiedenen Punkten zu anderen Bewertungen kamen als der Abschlussbericht. Die Linke ging in ihrer Stellungnahme am weitesten auf Distanz.

Am 19. Februar 2020 hatte ein Mann aus Hanau in der Stadt neun junge Menschen erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. In einem Manifest hatte der psychisch kranke Attentäter seine völkisch-rassistischen Motive niedergeschrieben.

"Es tut uns leid"

"Ich bin der tiefen Überzeugung, dieser Anschlag war nicht zu verhindern. Es tut uns leid“, sagte Michael Müller, der als Obmann die CDU im Ausschuss vertreten hatte. Der Einsatz der hessischen Polizei sei an diesem Abend in den ersten Minuten entgegen der Kritik "tatsächlich vorbildlich" gewesen.

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Die Videos der Reden zum Bericht zum Untersuchungsausschuss zum Anschlag in Hanau finden Sie hier:

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Unterstützung erhielt er von der FDP.  Dass der Anschlag nicht zu verhindern gewesen sei, ist laut ihrem Abgeordneten Jörg-Uwe Hahn richtig. Aber diese Aussage sei auch frustrierend. Es bleibe zwar offen, ob ein funktionierender Notruf in der Tatnacht Leben hätte retten können. Aber der Zustand sei nicht zu tolerieren. Der Politiker zog aber eine positive Bilanz der Arbeit im Ausschuss: "Es ist gelungen, das Geschehen in der Tatnacht aufzuarbeiten und Fehler zu identifizieren."

Verbitterte Opferfamilien

Bei den Angehörigen der Opfer auf der Tribüne, die Fotos mit den Namen der Ermordeten hochhielten, steigerte die Debatte die Verbitterung der vergangenen Monate aber nur noch. "Frust und Enttäuschung" – so beschrieb Said Etris Hashemi seine Gefühle. Er hatte den Anschlag verletzt überlebt, aber sein Bruder starb.

"Niemand hat die politische Verantwortung übernommen. Es gab keine Konsequenzen" - so fasste die "Initiative 19. Februar" es in einer Stellungnahme zusammen. In der Initiative haben sich Betroffene und Unterstützer organisiert. Das Parlament hat ihrer Meinung nach die Chance zur ernsthaften Aufarbeitung verpasst. Weiter heißt es: "Stattdessen erlebten wir über nahezu zwei Jahre ein parteipolitisches Theater, das nun mit einem nichtssagenden Bericht mehr als enttäuschend zu Ende geht."

Fehler und Handlungsbedarf

Die Sicherheitsbehörden hätten die Gefährlichkeit des Täters nicht erkennen können, befand der CDU-Abgeordnete Ruhl. Da der Täter sich tötete, sei auch keine strafrechtliche Aufarbeitung möglich gewesen. Er verwies darauf, dass der Bericht Fehler und Handlungsbedarf formuliere.

Der Bericht weist unter anderem aus, dass der Notausgang in der Hanauer Arena-Bar, einem der Tatorte, verschlossen war. Außerdem war die Anklage für den 110-Notruf der Polizei seit Jahren veraltet und deshalb überlastet. Der 22-jährige Vili-Viorel Păun hatte den Täter nach den ersten Schüssen in Innenstadt mit seinem Auto verfolgt, kam aber beim überlasteten Notruf nicht durch. Kurz danach erschoss der Täter ihn.

Der Bericht hält außerdem fest, dass der Umgang mit Überlebenden und Angehörigen nach der Tat zu unsensibel gewesen sei. Dass die Kommunikation in solchen Fällen besser werden muss, hält der Schlussteil des Untersuchungsausschuss-Berichts in seinen Handlungsempfehlungen fest.

SPD: Verantwortung nicht benannt

Heike Hofmann, Obfrau der SPD im Ausschuss, unterstrich: In wichtigen Punkten sei es bei einem Dissens geblieben. Sie beklagte, dass wie im Fall des veralteten Notrufs nicht klargestellt worden sei, wer die Verantwortung trage.

Beim Polizeieinsatz habe die Sensibilität gegenüber den Angehörigen der Opfer gefehlt. Das habe dazu geführt, dass sie sich teils wie Täter behandelt gefühlt hätten.

Grüne auf Distanz

Tränen standen der Grünen-Abgeordneten Vanessa Gronemann in den Augen, nachdem sie ihre Rede beendet hatte. Hätten die jeweiligen Behörden besser gearbeitet, hätte dies aus ihrer Sicht "die Durchführung der Tat erschweren oder den Ablauf der Tat verändern können".

Die Bitte um Entschuldigung, die der Landtag an die Hinterbliebenen adressiert hat, empfahl Gronemann auch anderen. Namen nannte sie nicht. Sie hatte nach der Befragung von Innenminister Peter Beuth (CDU) seinerzeit öffentlich kritisiert, dass der Minister selbst keine Entschuldigung abgebe. In der Debatte jetzt meldete sich Beuth nicht zu Wort.

Gemeinsam hatten CDU und Grüne vor Monaten beschlossen, dass der Bericht des Ausschusses erst jetzt debattiert wird und nicht mehr vor der Landtagswahl vom 8. Oktober. So sollte die Schlussdebatte nicht vom Wahlkampf geprägt werden, lautete die Begründung.

Linke: Gefährlichkeit hätte bekannt sein müssen

Für die Linke beklagte die Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula das Verhalten Beuths in drastischen Worten: Die ausbleibende Entschuldigung zeige, "wie wenig politischen Anstand der Innenminister besitzt".

Kula fand, der Abschlussbericht falle hinter die geleistete Aufklärungsarbeit zurück. Er unterschlage zum Beispiel, dass es sehr wohl Hinweise auf die Gefährlichkeit des Täters gegeben habe. Der Mann hatte 2019 bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige mit verschwörungstheoretischem Inhalt erstattet. "Hier hätte es eine Prüfung auf Waffenbesitz geben müssen", sagte Kula.

AfD einverstanden, aber auch empört

Dass die AfD ein Sondervotum abgab, lag einzig daran, dass sie in der Einleitung des Abschlussberichts negativ erwähnt wird. In einem Bekenntnis gegen "Extremismus, Intoleranz, Rassismus und Gewalt" heißt es: "Wir sehen mit Sorge, dass es auch in den Parlamenten eine politische Partei gibt, die diese Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens in Teilen in Frage stellt."

Dazu sagte Gaw: "Parteipolitische Interessen sind bei einer objektiven Aufarbeitung dieser grausamen Tat gänzlich fehl am Platz." Auch seine Partei habe im Ausschuss entscheidend zur Aufklärung beigetragen. Es sei gelungen, sich "auf einen weitgehend übereinstimmenden Abschlussbericht“ zu einigen.

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