Boris Rhein (CDU) spricht bei der Pressekonferenz in Wiesbaden über eine geplante Koalition mit der SPD.

Nach ihrem Sieg bei der Landtagswahl wollen Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und seine CDU das Bündnis mit den Grünen beenden. Mit der SPD gebe es inhaltlich größere Schnittmengen.

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"Ein neues Kapitel" – CDU will Hessen mit der SPD regieren

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Fünf Wochen nach der Landtagswahl hat sich die hessische CDU entschieden, Koalitionsverhandlungen über die Bildung der künftigen Landesregierung mit der SPD zu führen. Dafür hat sich Ministerpräsident und CDU-Landeschef Boris Rhein am Freitagvormittag in Wiesbaden die einstimmige Zustimmung von Fraktion und Partei geholt, wie er bei einer Pressekonferenz mitteilte.

"Heute starten wir für Hessen ein neues Kapitel", sagte Rhein. Damit steht die seit rund einem Jahrzehnt bestehende schwarz-grüne Koalition vor dem Aus. Die SPD würde nach 25 Jahren ununterbrochener Opposition wieder Regierungsverantwortung übernehmen.

"Christliche-soziale Politik"

Ziel einer Koalition mit der SPD ist laut Rhein in einer Zeit vieler Krisen ein "christlich-soziales Programm", das Vernunft und Fortschritt verbinde. Als Leitlinien nannte Rhein einen "starken Staat", eine "stabile Wirtschaft" und eine "sanfte Erneuerung" mit "Anreizen statt Verboten". Er fügte hinzu: "Die Menschen wollen nicht bevormundet werden. Sie sind aber bereit zu Veränderungen."

Mit der SPD will der Regierungschef nicht zuletzt eine restriktivere Migrationspolitik verfolgen. "Besonnen, nie mit Schaum vorm Mund. Aber doch mit sehr klaren Entscheidungen und mit auch sehr klaren Weichenstellungen", sagte Rhein.

Premiere für Hessen

Die Koalitionsgespräche sollen am Dienstag beginnen. Geplant ist, die Verhandlungen möglichst vor Weihnachten abgeschlossen zu haben. Die nächste Legislaturperiode beginnt am 18. Januar des kommenden Jahres. Dann konstituiert sich der neue Landtag und wählt den Ministerpräsidenten.

Es wäre das erste Mal, dass CDU und SPD eine unionsgeführte Landesregierung bilden. In umgekehrter Rangordnung und mit einem SPD-Ministerpräsidenten an der Spitze gab es von 1946 bis 1950 einmal eine SPD/CDU-Koalition in Wiesbaden.

Schwarz-Rot hätte mit insgesamt 75 von 133 Landtagssitzen eine große Mehrheit. Dabei wäre die CDU mit 52 Mandaten sehr viel stärker als die SPD.

Rhein: Für die SPD, nicht gegen die Grünen

Es sei eine Entscheidung für die SPD und nicht gegen die Grünen, betonte Rhein. Er dankte den Spitzen des aktuellen Koalitionspartners - auch dafür, dass sie ihn in der laufenden Legislaturperiode ins Amt wählten. Das gewachsene Vertrauen zu den Grünen habe die Sache zu einer sehr schweren emotionalen Entscheidung gemacht.

Nun aber gilt laut dem CDU-Politiker: "Die Schnittmengen sind derzeit mit der Sozialdemokratie einfach größer." Es gebe andere Herausforderungen als vor zehn Jahren, als erstmals in einem Flächen-Bundesland eine schwarz-grüne Koalition gebildet wurde.

Neben der Inneren Sicherheit und der Migrationspolitik nannte der Ministerpräsident auch das Verhältnis von Landwirtschaft und Umweltschutz. Die Sondierungsvereinbarungen zwischen CDU und SPD sind schon sehr konkret. So haben sich laut CDU beide Parteien unter anderem geeinigt auf:

• ein "klares Bekenntnis zur Begrenzung der irregulären Migration“. Nur bei wirklicher Bleibeperspektive sollen Flüchtlingen noch auf die Kommunen verteilt werden

• ein umfassendes Sicherheitspaket: mehr Polizisten, mehr Videoüberwachung, mehr Fahndungsmöglichkeiten und eine Initiative zur Speicherung von IP-Adressen, um Kinderpornografie im Netz zu bekämpfen

• die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum und die Förderung von Wohneigentum vor allem durch ein Hessengeld als Freibetrag von der Grunderwerbssteuer fürs erste selbstgenutzte Eigenheim

• eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik mit Förderung von Forschung und Innovation, Pharma, Automobil, Chemie und Raumfahrt

• einen "wirksamen Klimaschutz“ zum Beispiel mit Hilfe eines 100.000-Dächer-Programms bei der Photovoltaik und innovative Energieforschung

• ein eigenes Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau, Jagd und Heimat". Noch fällt das ins Ressort des von den Grünen geführten Umweltministeriums.

SPD beschließt Aufnahme von Verhandlungen

Bei der SPD haben die Gremien einstimmig die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU beschlossen, wie ein Parteisprecher in Kassel mitteilte. SPD-Landeschefin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser habe anschließend Ministerpräsident Rhein telefonisch darüber informiert.

Faeser hatte zuvor ihrer Partei diese Entscheidung empfohlen. Die Sondierung habe gezeigt, dass es für konkrete Verhandlungen eine ausreichende Vertrauensbasis gebe.

Bei für ihre Partei wichtigen Themen Arbeit und Ausbildung, Bildung, Wohnen und Verkehr gebe es "mehr Verbindendes als Trennendes". Wie Rhein unterstrich Faeser die Gemeinsamkeit, dass beide Parteien von der kommunalen Ebene getragen würden.

SPD muss noch aufarbeiten

Rhein räumte ein, dass sich die CDU auch frage, "wie es mit der SPD weitergeht". Die Sondierungsgespräche seien aber sehr erfreulich verlaufen, das mache ihn optimistisch. Die SPD habe eine enorme Stabilität, Diskursfähigkeit und Diskussionsfreude an den Tag gelegt. Außerdem seien auch Vertreter zahlreicher Ebenen der SPD eingebunden gewesen.

Hintergrund: Die SPD muss ihr schlechtes Wahlergebnis noch aufarbeiten. Die Jusos haben den Rücktritt von Landtagsfraktionschef Günter Rudolph und Generalsekretär Christoph Degen gefordert.

Klarer CDU-Sieg soll Folgen haben

Für die bevorstehenden Gespräche betonte Rhein die Position der Stärke der CDU. Sie habe bei der Wahl 20 Prozent Vorsprung und alleine soviel Stimmen bekommen, wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Das sei eine "klare Aussage" über die Erwartungen und Hoffnungen der Wähler".

Nach dem Wahlsieg hatte der Regierungschef schon angekündigt, ein künftiger Koalitionsvertrag werde stärker von der Union geprägt. Faeser betonte, die SPD wolle wichtige eigene Ziele umsetzen, "selbstverständlich ohne zu vergessen, wie die Kräfteverhältnisse zwischen unseren Parteien im Landtag sind".

Die CDU hat die Hessen-Wahl am 8. Oktober mit 34,6 Prozent und einem Zugewinn von 7,6 Prozentpunkten deutlich gewonnen. Sie konnte sich aussuchen, ob sie mit SPD oder Grünen regieren will. Die SPD verbuchte bei starken Verlusten mit 15,1 Prozent ihr bislang schlechtestes Landtagswahl-Ergebnis. Damit ist sie im künftigen Landtag etwa gleichauf mit den Grünen (14,8 Prozent), die ebenfalls spürbar verloren.

Zweitstärkste Partei im Landtag wird erstmals die AfD sein, die auf 18,4 Prozent kam. Eine rechnerisch mögliche Koalition mit ihr hatte Rhein kategorisch ausgeschlossen. Die FDP schaffte es mit 5,0 Prozent gerade so ins Parlament. Die Linke verpasste den Wiedereinzug.

Drei Ministerien für den Junior?

Rhein und sein Verhandlungsteam haben ungewöhnlich lange parallel mit den Grünen und mit der SPD eine Regierungsbildung sondiert. Insgesamt kam es zu jeweils fünf Gesprächsrunden.

Über die mögliche Ressortverteilung im Kabinett sagte Rhein nichts. In der aktuellen Landesregierung stelle die Grünen als Juniorpartner den Vize-Ministerpräsidenten und leiten vier Ministerien. So viele dürfte die CDU nach ihrem Wahlsieg und den Verlusten von SPD und Grünen einem kleineren Partner nicht mehr überlassen. Es wird mit drei Ministerien für ihn gerechnet.

Bundesinnenministerin Faeser, die als Landeschefin das Sondierungsteam der SPD führte, kommt für eine Rolle im neuen Kabinett Rheins nicht in Frage. Sie hatte einzig als Ministerpräsidentin in die Landespolitik zurückkehren wollen. Einigt man sich am Ende mit der CDU, könnte ein für den 16. Dezember anberaumter SPD-Landesparteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen. Am gleichen Tag könnte sich auch die CDU-Basis auf einem Parteitag damit befassen.

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