Neben umstrittenem U-Ausschuss Landtag startet Corona-Aufarbeitung 2.0

Lockdown, Maskenpflicht oder 2G-Regel auf dem Prüfstand: Einen von der AfD eingesetzten Corona-Untersuchungsausschuss hat Hessen schon. Nun beschließt der Landtag noch eine andere Art der Aufarbeitung.

Eine Frau mit Kinderwagen steht vor einem Corona-Testzentrum.
Ein Corona-Testzentrum (Archivfoto) Bild © dpa

Vor fast genau fünf Jahren begann die Corona-Pandemie in Deutschland. Vor 18 Monaten, im April 2023, erklärte die Bundesregierung sie für beendet. Nun hat der Landtag in Wiesbaden beschlossen, dass die staatlichen Maßnahmen aufgearbeitet werden, um für künftige Fälle gut aufgestellt zu sein.

In einem ersten Schritt werden mindestens 50 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürgern gruppenweise im Dialog nach ihren Erfahrungen befragt. Dann sollen Wissenschaftler aus vielen Fachgebieten in einer Expertenanhörung zu Wort kommen. Am Ende wird von der Landesregierung ein Maßnahmenpaket erwartet.

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Die Aufarbeitung läuft parallel zu einem bereits existierenden, umstrittenen Untersuchungsausschuss an. Für den Vorschlag der CDU/SPD-Koalition waren auch die Grünen. Die FDP sprach von einer halbherzigen Aktion und enthielt sich. Die AfD warf dem Regierungslager ein Ablenkungsmanöver vor und stimmte dagegen.

SPD: Kraft zum Reflektieren

Leitfrage der neuen Aufarbeitung soll sein: "Welche Lehren ziehen wir aus der Pandemie und wie bereiten wir uns in Hessen auf ähnliche Krisen vor?" Weiter heißt es in dem Antrag: "Aufgrund der starken Einwirkung staatlicher Maßnahmen in die Grundrechte der Menschen wollen wir einen breiten Dialog führen."

"Eine starke Demokratie muss immer die Kraft haben, ihre eigenen Entscheidungen zu reflektieren", sagte die SPD-Abgeordnete Josefine Koebe am Mittwoch. Die Pandemie sei eine Zerreißprobe für Gesellschaft und Demokratie gewesen. Die getroffenen Maßnahmen seien aus der damaligen Sicht zwar richtig gewesen. Sie hätten aber auch Eingriffe in die persönliche Freiheit mit sich gebracht.

Mit der geplanten dreistufigen Aufarbeitung strebe man eine konstruktive Zusammenarbeit von Bürgern, Experten und Politikern an. So wolle sich Hessen besser auf eine mögliche neue Krise vorbereiten und den Zusammenhalt stärken. "Das geht ganz sicher nicht mit dem Tribunal, das Sie vorantreiben", sagte sie an die Adresse der AfD.

Untersuchungsausschuss vor Gericht

Hintergrund: Mit dem im Juli eingesetzten Untersuchungsausschuss gibt es bereits ein parlamentarisches Gremium zur Aufarbeitung. Gegen den Rest des Parlaments hat die AfD das per Minderheitsrecht durchgesetzt.

Die Gegner werfen der Partei vor, keine zukunftsgerichtete und faktenbasierte Aufarbeitung zu wünschen. Sie wolle lediglich abrechnen. Ins inhaltliche Arbeiten kam der Ausschuss wegen eines juristischen Gezerres über die Zahl seiner Mitglieder und den Umfang seines Auftrags bisher noch nicht.

Die anderen Parteien strichen einen 43-Punkte-Katalog der AfD für den Ausschuss wegen verfassungsrechtlicher Einwände auf sieben Aspekte zusammen. Die Größe gestalteten sie so, dass die AfD für Initiativen im Ausschuss Unterschriften von zwei Ex-Mitgliedern braucht, mit denen sie eigentlich nicht zusammenarbeiten will. Die Partei hat vergangene Woche deshalb Verfassungsklage beim hessischen Staatsgerichtshof eingereicht.

AfD: "Wir vergessen nicht"

"Es braucht keinen Dialog", sagte Volker Richter, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD, zur Initiative von CDU und SPD. Ohnehin stecke dahinter der Versuch, "mit schönen Worten" die Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen. Er sprach entgegen der herrschenden Lehrmeinung in der Wissenschaft von einer "angeblichen Pandemie".

Seine Sicht der Dinge: Im Parlament habe einzig die AfD von Anfang an Stellung gegen Maßnahmen wie Lockdown, Schulschließungen oder Impfungen geübt. Letztere nannte er einen "gentechnischen Feldversuch". Kritiker seien damals aber als "Querdenker oder Aluhut-Träger" diffamiert worden.

Seiner Meinung nach müssten die seinerzeit die Regierenden zur Verantwortung für schwere Fehler gezogen werden, die gemacht worden seien. "Wir vergessen Ihre Maßnahmen nicht", rief Richter.

Grüner in Rage

Mit seinen Äußerungen brachte der AfD-Politiker vor allem den Grünen-Abgeordneten Marcus Bocklet in Rage. "Widerlich", "abstoßend", "zynisch“ – so bewertete er die Haltung Richters angesichts des Leids, das Corona verursacht habe. Den AfD-Co-Landeschef Andreas Lichert nannte er "Co-Gauführer", wofür er eine Rüge von Vize-Landtagspräsidentin Daniela Sommer erhielt.

Dagegen dankte Bocklet CDU und SPD für ihren Antrag. Bocklet erinnert daran, dass die Gefährlichkeit des Virus lange unklar gewesen sei. In den Altenheimen habe es viele Tote gegeben. Mit Hilfe von Maßnahmen wie der Maskenpflicht und einem Impfstoff sei die Pandemie eingeschränkt und schließlich beendet worden. "Das ist ein Erfolg politischen Handelns."

Schneller als der U-Ausschuss?

Der CDU-Abgeordnete Holger Bellino prognostizierte der AfD, dass Landtag und Regierung durch die Zusammenarbeit mit Bürgern und Experten sehr viel schneller Ergebnis vorweisen könnten, "als Sie mit Ihrem Untersuchungsausschuss".

Während der Pandemie seien die Verantwortlichen sehr wohl dauernd bereit gewesen, getroffene Maßnahmen zu revidieren. Sie hätten aber unter permanentem Handlungsdruck gestanden.

Wichtig sei es bei der Aufarbeitung vor allem, die unterschiedlichen Erfahrungen der Bürger zu verwerten. Es sei nicht dasselbe, ob man die Pandemie auf dem Land oder in der Stadt erlebt habe, im eigenen Haus oder in der Mietwohnung, gesund oder vorerkrankt, "im Homeoffice oder draußen an der Front".

FDP rechnet mit "Alibi-Veranstaltung"

Auch die FDP ging mit der AfD hart ins Gericht. Sie bekomme mit dem Untersuchungsausschuss "nichts auf die Reihe", warf ihr Yanki Pürsün vor. Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion ist Vorsitzender des Corona-Untersuchungsausschusses.

Er nahm aber auch CDU und SPD für ihren Antrag in die Kritik, da seine Partei sich die Einsetzung einer Enquetekommission gewünscht hatte. Dagegen sei der Ansatz von Schwarz-Rot halbherzig und konterkariere zudem die Arbeit des Untersuchungsausschusses. "Er mag ihr Gewissen beruhigen. Ob er in der Sache weiterhilft, darf bezweifelt werden“, sagte Pürsün.

Sein Verdacht: Nun drohe eine "Alibi-Veranstaltung". Die Schwächen in der Krisenbewältigung sowie die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und seelischen Folgen müssten aber offen und ehrlich angesprochen werden.

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Sendung: hr-iNFO,

Quelle: hessenschau.de