Mehrere Menschen halten ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Bleibt mit dem Dreck weg".

Harmlos oder viel zu riskant? Die geplante Entsorgung von schwach radioaktivem Bauschutt aus dem Abriss-Atomkraftwerk Biblis führt im Landtag zu heftigem Streit. Die einen sehen Ängste geschürt, die anderen sehen sie ignoriert.

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Atommüll aus Biblis sorgt für Ärger in Büttelborn

hs
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Der Landtagswahlkampf möge doch bitte erst im Sommer beginnen - mit diesem von der Nachrichtenagentur dpa veröffentlichten Wunsch des hessischen Ministerpräsidenten begann der Tag in der Landespolitik. Und das recht früh um halb vier am Morgen. Doch es war eben ein Wunsch von Boris Rhein (CDU). Und die Wirklichkeit in Wiesbaden sah wenige Stunden später ganz anders aus.

Im Umweltausschuss des Landtags prallten am Mittwoch hart die unterschiedlichen Meinungen über die Entsorgung von 3.200 Tonnen leicht radioaktiven Bauschutts aufeinander. Ob Beton, Ziegel oder Rohre - das Material stammt vom Abriss des stillgelegten Atomkraftwerks Biblis (Bergstraße). Es soll auf die nahegelegene Deponie in Büttelborn (Groß-Gerau) wandern.

Die Oppositionsfraktionen SPD und Linke fuhren deshalb im Ausschuss Angriffe gegen das von Grünen-Politikerin Priska Hinz geführte Umweltministerium. Tenor: Wenn strahlender Schutt fast wie Abfall aus der schwarzen Tonne entsorgt würde, nehme man leichtfertig Gesundheitsrisiken in Kauf und die Sorgen von Menschen nicht ernst. Dem SPD-Abgeordneten Gerald Kummer brachte das den Vorwurf seiner empörten Kollegin Martina Feldmayer (Grüne) ein: "Sie haben hier eine Wahlkampfrede gehalten."

Bundesweite Debatte nach Atomausstieg

Die Auseinandersetzung um den Umgang mit leicht radioaktivem Müll von Kraftwerken wird als Folge des Atomausstiegs derzeit in vielen Bundesländern ganz ähnlich geführt - egal, wer regiert. Fast überall, wo als unbedenklich eingestuftes Material deponiert werden soll, kommt es zu Protesten. In Büttelborn werden sie unter anderem von Landrat Thomas Will und Bürgermeister Marcus Merkel (beide SPD) angeführt.

Sie richten sich mit Hinz gegen eine Ministerin, die wie ihre Partei stets gegen Atomkraft war. Nun muss die 63-Jährige, die gerade ihren Rückzug aus der Politik für die Zeit nach der Hessen-Wahl im Herbst 2023 angekündigt hat, in der schwarz-grünen Landesregierung die Beseitigung des AKW-Schutts regeln.

Bevor der Umweltausschuss noch zusammentraf, rollten am Mittwoch unweit des Landtags Mitglieder der Bürgerinitiative Büttelborn 21 Plakate aus. Neben Kummer war auch die Abgeordnete Elisabeth Böhm (Linke) dabei - beide kommen aus dem Kreis Groß-Gerau.

"Bleibt mit dem Dreck weg: Nein zu Atommüll in Büttelborn", stand auf einem der Transparente, die entrollt wurden. Durch diese Begriffswahl machte Umwelt-Staatssekretär Oliver Conz später im Landtag einen Strich. Er legte Wert darauf: Es gehe nicht um Atommüll, wie er etwa in Castoren aufbewahrt wird und für den die Frage des Endlagers noch nicht geklärt ist. "Es handelt sich um Bauschutt, der freigemessen ist", sagte Conz. Trotzdem hatten bundesweit Betreiber von mehr als 200 Deponien bei der Frage abgewunken, ob sie den Schutt nicht entsorgen wollten.

Was ist das Freimessen wert?

Was das Freimessen wert ist, ist in den beiden Meinungslagern umstritten. Das dem Umweltministerium unterordnete Regierungspräsidium Darmstadt will die wenig aufwändige Deponierung der 3.200 Tonnen aus Biblis genehmigen, weil das gereinigte Material eine Belastung von weniger als zehn Mikrosievert pro Jahr und Einwohner aufweist. Dann lässt die Strahlenschutzverordnung eine Beseitigung wie die geplante zu.

Das Anhörungsverfahren begann Mitte November und läuft bis Januar. Gefragt sind die Südhessische Abfall-Verwertungs GmbH als Deponiebetreiberin, der Zweckverband Abfallwirtschaft des Kreises Bergstraße und die RWE Nucelar GmbH als Abfallverursacherin. RWE begrüßt die Pläne, Kreis und Deponiebetreiberin wollen Ankündigungen von Landrat Will zufolge hingegen zur Not bis zur letzten Instanz klagen.

Gegner der geplanten Deponierung in Büttelborn hatte Umweltministerin Hinz unlängst bei einer Demo mit der Rechnung gegen sich aufgebracht: Wer im Jahr 120 Bananen esse, setze sich ungefähr derselben Belastung aus. Ihr Staatssekretär Conz formulierte die Grundlagen der Entscheidung weniger plastisch: Die Deponie-Lösung sei "sachlich unbedenklich". Es gebe keine "nachweislich begründeten Zweifel am Zehn-Mikrosievert-Konzept". Das Land sei zudem an Recht und Gesetz gebunden, der frühere AKW-Betreiber RWE habe einen Anspruch auf diese Art der Entsorgung.

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Abriss läuft seit 2017

Wie die meisten deutschen Atomkraftwerke wurde das des RWE-Konzerns in Biblis nach der Katastrophe von Fukushima stillgelegt. 2013 war das, 2017 begann der offiziell Rückbau genannte Abriss. Spätestens im Jahr 2033 soll er beendet sein. Die Kosten werden auf 1,5 Milliarden Euro veranschlagt.

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Kritiker sehen zu viele Fragen offen

Davon ließen sich die Kritiker nicht beruhigen - auch nicht SPD-Politiker Kummer, dem der Staatssekretär ("Ich kann es mir nicht so leicht machen wie Sie") indirekt den Vorwurf machte, unnötige Ängste zu schüren. Kummer konterte, neben den Fakten müsse die Politik auch die Ängste der Menschen beachten.

Neben Conz beteuerten auch Experten des Ministeriums vor den Ausschussmitgliedern: Solche Ängste seien unbegründet. Diese Feststellung gelte für jetzige und spätere Bewohner der Gegend auf besonders stabiler wissenschaftlicher Grundlage. Völlig übertrieben sind Einwände gegen die Deponierung laut dem AfD-Abgeordneten Klaus Gagel: "Das hier war eine aufgeblasene Show von SPD und Linken - mit dem Glauben, die Bürgerinitiativen im Rücken zu haben", sagte er nach der Debatte.

Ihre Zweifel hatten SPD und auch Linke unabhängig voneinander in Fragenkataloge gefasst: Was, wenn sich die Risiken später doch als größer erweisen? Ist das erst seit zwei Jahrzehnten gebräuchliche Messverfahren wirklich verlässlich? Wird überhaupt gemessen oder nicht vielmehr berechnet? Und summiert sich die Strahlung des Bauschutts mit der der Natur nicht doch zu bedenklicher Stärke?

Linke: "Aus den Augen, aus dem Sinn"

Beide Oppositionsparteien plädieren für Abwarten und eine Zwischenlösung. Sie schauen dabei nach Frankreich: Dort werde solcher strahlender AKW-Müll zentral und rückholbar gelagert, statt ihn endgültig zu vergraben. Deshalb sollte auch der Biblis-Schutt erst einmal auf dem Gelände des Abriss-Atomkraftwerks zwischengelagert werden. Platz gebe es mehr als genug. Linken-Politikerin Böhm warf der Landesregierung vor, sie wolle den strahlenden Schutt "wohl lieber schnell aus den Augen, aus dem Sinn haben".

Das Umweltministerium schwankt trotz solcher Einwände nicht in seinen Überzeugungen. Eine Zwischenlagerung von Deponie-Müll auf dem Biblis-Gelände sei gar nicht erlaubt, sagte Staatssekretär Conz. Und es gehe nun einmal um Deponie-Müll. Auf neue Erkenntnisse zu warten hält Conz weder für nötig noch für erfolgversprechend. "Ich weiß nicht, wie lange wir da warten sollen." Rechtlich sei eine schnelle Lösung geboten. Und in zehn Jahren werde man kaum klüger sein.

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