Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Erlensee (Main-Kinzig-Kreis) aus grau-gelben Containern

Der Main-Kinzig-Kreis hält die Verteilung von Geflüchteten für ungerecht. Mit einer Klage gegen das Land will der Kreis den Druck nun erhöhen. Ministerpräsident Rhein fordert unterdessen mehr Hilfen vom Bund.

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Flüchtlingsunterbringung – Main-Kinzig-Kreis verklagt Land

hessenschau vom 08.05.2023
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Aus Sicht von Thorsten Stolz wird der Main-Kinzig-Kreis unfair behandelt. Der Landrat rechnet vor: Seit Jahresbeginn habe der Kreis rund 1.200 Geflüchtete neu aufgenommen - mehr als die Städte Frankfurt und Offenbach zusammen.

Dabei habe schon alleine Frankfurt mehr Einwohnerinnen und Einwohner als der ganze Main-Kinzig-Kreis. Jede Woche kämen bis zu 70 Geflüchtete neu ins Kreisgebiet, berichtet der SPD-Landrat. "Es müssen mehr Verteilgerechtigkeit und Verteilehrlichkeit herrschen", findet Stolz.

Dieser Verteilschlüssel des Landes legt fest, wie viele Menschen die kreisfreien Städte und die Kreise aufnehmen müssen. Dieser Schlüssel sorge für "ein überproportional hohes Aufnahme-Soll", wie Stolz schon im vergangenen Herbst in einem Brandbrief an die Landesregierung formulierte.

Brandbrief im Herbst

Unterstützung erhielt er dabei von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aller 29 Städte und Gemeinden seines Kreises. "Nicht die Menschen sind das Problem. Das Problem ist der fehlende Wohnraum", schrieben sie an Ministerpräsident Boris Rhein, Innenminister Peter Beuth (beide CDU) und Sozialminister Kai Klose (Grüne).

Landrat Stolz kündigte schon damals an, gegen das Land eine sogenannte Normenkontrollklage einzureichen. Mittlerweile habe die juristische Abteilung des Kreises diese Klage mit einer Fachkanzlei ausformuliert, berichtet der Landrat. Am Montagmorgen wurde diese eingereicht.

Die Klage ist aus Sicht des Kreises ein letzter Hilferuf. Bis heute habe die Landesregierung das Schreiben des Kreises vom Herbst nicht beantwortet. "Eine Kommunikation auf Augenhöhe ist das Mindeste, was wir erwarten können", findet Stolz.

Widerwillig Gemeinschaftsunterkünfte errichtet

"Wir brauchen Unterstützung", führt der SPD-Politiker weiter aus. Städte und Gemeinden seien an Grenzen angekommen oder hätten diese längst überschritten. In den vergangenen Monaten hatte der Main-Kinzig-Kreis mehrere Schul- und Sporthallen zu Unterkünften umfunktioniert. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurden diese nach und nach aufgelöst, damit dort wieder Schul- und Vereinssport stattfinden kann.

Stattdessen ließ der Kreis mehrere große Gemeinschaftsunterkünfte errichten. "Für eine Integration benötigen Menschen eigentlich eine dezentrale Unterbringung, eine Anbindung an die Vereine, die Schulen und das gesellschaftliche Leben", sagt die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPD): "Das geht aus einer größeren Unterkunft heraus um ein Vielfaches schwerer."

13-Punkte-Plan verschickt

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Kommunen blieben auf Kosten sitzen, die sie für die vom Land angeordnete Flüchtlingsunterbringung aufwenden, so Landrat Stolz. Er wolle nicht weiter Bittsteller sein. Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) sagte im April den Kommunen einen Vorschuss auf zugesagte Mittel des Bundes zu.

Der Main-Kinzig-Kreis verschickte im April auch schon eine "Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik" an die Bundesregierung und die Landesregierung. Der 13-Punkte-Plan enthält unter anderem einen Appell zur europaweit gleichmäßigen Verteilung.

"Wir brauchen an der Basis Unterstützung und vor allem verlässliche Perspektiven, für die in Wiesbaden, Berlin und Brüssel gesorgt werden müssen", betonte Stolz im April. Die Blicke gehen nun auf den geplanten Flüchtlingsgipfel des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder an diesem Mittwoch.

Ministerium: "Überquote" in Frankfurt und Offenbach

Das hessische Sozialministerium weist die Kritik zurück. Für die abweichenden Aufnahmequoten der Städte Frankfurt oder Offenbach und des Main-Kinzig-Kreises sei die Berücksichtigung des Ausländeranteils an der Wohnbevölkerung ausschlaggebend, teilte das Ministerium auf Anfrage mit.

Vor allem seit dem Zuzug ukrainischer Geflüchteter insbesondere in die größeren Städte gebe es in Frankfurt und Offenbach eine "Überquote", da sie in der Vergangenheit bereits mehr Menschen aufgenommen hätten, als sie es nach ihrer errechneten Quote hätten tun müssen, hieß es.

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Städtetagspräsident: "Hessenweit an der Kapazitätsgrenze"

Der Main-Kinzig-Kreis ist nicht der einzige hessische Landkreis, der sich an der Grenze seiner Kapazität bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten sieht. Der Präsident des Hessischen Städtetags, der Fuldaer Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU), forderte vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch vom Bund eine dringende Kurskorrektur.

"Wir sind hessen- und deutschlandweit absolut an der Kapazitätsgrenze, um die Menschen wenigstens halbwegs menschenwürdig unterzubringen", warnte der Kommunalpolitiker. Bei den Integrationskursen seien die Kapazitäten ausgeschöpft, dabei reiche die Zahl der angebotenen Plätze schon jetzt nicht aus. "Da ist es ein Skandal, dass der Bund die Mittel dafür sogar noch zusammenstreicht", kritisierte Wingenfeld. Zugespitzt habe sich auch die Situation in den Kindergärten und Schulen.

Die Zuwanderung müsse anders gesteuert werden, als das jetzt der Fall sei, sagte Wingenfeld. Er setze sich daher für eine Willkommenskultur für die Menschen ein, die Deutschland für seinen Arbeitsmarkt brauche. Die Bundesregierung müsse aber innerhalb der EU dafür eintreten, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Rhein: Bund muss Anteil verdoppeln

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte den Bund vor dem Treffen am Mittwoch auf, seinen Anteil von 2,75 Milliarden Euro an der Flüchtlingsversorgung zu verdoppeln. Anders seien Unterbringung und Integration dauerhaft nicht zu finanzieren, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Samstag. Außerdem sprach sich Rhein für ein Pro-Kopf-Abrechnungssystem an Stelle von Pauschalen aus.

Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt eine Beschlussvorlage aus dem Bundeskanzleramt vor, wonach der Bund nicht bereit ist, mehr Geld an die Länder zu geben. Stattdessen fordert der Bund von den Ländern, in einer Tabelle anzugeben, wie viel der Bundesmilliarden sie 2022 tatsächlich an die Kommunen weitergegeben haben. Hintergrund ist der Vorwurf des Bundes, dass etliche Landesregierungen Geldzuweisungen für die Flüchtlingshilfe für andere Zwecke verwendet haben.

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