"Wir beanspruchen alles"  Städtetag pocht auf Milliarden aus dem Sondervermögen

Bisher hat das Land nicht verraten, wie die Mittel aus dem Sondervermögen des Bundes eingesetzt werden sollen. Fast acht Milliarden stehen Hessen zu. Der Städtetag sieht den vorrangigen Sanierungsbedarf bei den Kommunen.

Eine Mitarbeiterin steht in einem Büro, im Raum nebenan sieht man gelb-braune 70er-Jahre Fliesen eines alten Badezimmers, in welchem Aktenschraenke stehen.
Zwischen Digitalisierung und Retro-Fliesen: Die Sanierung der Kreisverwaltung Rheingau-Taunus scheitert am Geld. Bild © Christiane Schulmayer (hr)
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Städtetag pocht auf Milliarden aus dem Sondervermögen

hs 06.06.2025
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Gelbe Fliesen, gelb-braun gepunkteter Teppich - in manchen Büros der Kreisverwaltung des Rheingau-Taunus-Kreises weht der Wind der 1970er Jahre. Und nicht nur das: Teilweise lagern Akten in ehemaligen Badezimmern, in denen die Reste einer Dusche zu sehen sind. Seit Ende 2023 ist der Fachdienst Migration aus Platzgründen im Gebäude der ehemaligen Tannenwaldklinik in Bad Schwalbach untergebracht.

Das Kreishaus wurde irgendwann zu klein für die Verwaltung, neue Räume mussten her. Die Klinik stand fast 20 Jahre lang leer, beim Einzug wurde sie zwar renoviert und gestrichen. Doch da sie nur gemietet ist, würde eine komplette Sanierung eine höhere Miete bringen. Dafür fehlt dem Kreis das Geld.

Blick in einen Raum, in dem Akten gelagert werden, der früher ein Bad war. Man sieht noch die braunen Fliesen und die alte Duschkabine.
Wo früher geduscht wurde, werden nun Akten gelagert - für die komplette Sanierung der ehemaligen Kurklinik fehlt dem Rheingau-Taunus-Kreis das Geld. Bild © hr/Christiane Schulmayer

Neben der veralteten Optik gibt es Probleme mit der instabilen Internetverbindung. Außerdem rieche es manchmal modrig, erzählt eine Mitarbeiterin, weil im früheren Bad, wo nun Aktenschränke stehen, der Duschabfluss nicht geschlossen wurde. Manchmal kämen sogar Fliegen aus der Öffnung.

Landrat: "Keine angebrachte Arbeitsatmosphäre"

"Das genügt ehrlicherweise natürlich nicht dem, was heute eigentlich für einen guten Arbeitgeber und für eine gute Arbeitsatmosphäre angebracht ist", sagt Landrat Sandro Zehner (CDU). "Der Anspruch an uns ist, schneller, digitaler, bürgerfreundlicher zu werden und das ist nicht nur berechtigt, es ist auch die Chance, uns zukunftsfähig aufzustellen."

Gerade bei der Digitalisierung sieht er viel Potenzial, aber auch hohe Kostenpunkte:

  • um alle Arbeitsplätze mit Notebooks, neuen Monitoren oder Headsets auszustatten: 200.000 Euro,
  • um KI-Projekte zu realisieren oder eine Online-Terminvergabe zu ermöglichen: 100.000 Euro,
  • um elektronische Akten für Wohngeldanträge oder für Asylverfahren technisch einführen zu können: 52.000 Euro.

Kommunen und Landkreise in struktureller Finanzkrise

Doch woher nehmen? Der Haushalt des Landkreises für das laufende Jahr wurde gerade mit einem dicken Minus von über 24 Millionen Euro verabschiedet.

So geht es vielen Landkreisen und Kommunen in Hessen. Überall ist das Geld knapp, der Investitionsbedarf aber hoch. "Die hessischen Landkreise befinden sich in einer strukturellen Finanzkrise", sagt Anita Schneider, die Präsidentin des Hessischen Landkreistages (HLT). Allein in diesem Jahr erwarteten 20 von 21 Landkreisen am Ende des Jahres ein Defizit.

Auch der Hessische Städtetag warnt, dass sich die Finanzlage der Kommunen in Hessen weiter verschlechtern wird. Bereits 2024 haben den Städten und Gemeinden rund 2,6 Milliarden Euro gefehlt. Die Summe dürfte in den kommenden Jahren steigen.

Ein möglicher Lichtblick: das 500 Milliarden Euro schwere sogenannte Sondervermögen des Bundes, aus dem den Ländern 100 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur zustehen. Hessen könnte daraus in den nächsten zwölf Jahren fast acht Milliarden Euro bekommen. Doch das Geld steckt in der Bürokratie zwischen Bund und Ländern fest, kann bisher nicht verplant werden.

"Wichtig ist nun, dass die Mittel schnell und unbürokratisch in den Ländern ankommen. Dafür brauchen wir schnellstmöglich die passenden Ausführungsgesetze durch den Bund", forderte Regierungschef Boris Rhein (CDU) nach einer Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) in Berlin.

Hessischer Städtetag: "Wir beanspruchen alles" 

Wenn es nach dem Hessischen Städtetag geht, ist der Einsatz des Geldes schon jetzt klar. "Wir beanspruchen alles", so Präsident Gert-Uwe Mende bei einer Pressekonferenz des Städtetags am Donnerstag in Rüsselsheim. Heißt im Klartext: Das Land soll 100 Prozent der Mittel an die Kommunen weitergeben.

"Bei uns wäre es gut untergebracht, denn wir wissen, wo wir es ausgeben müssen", ergänzt Vizepräsident Dirk Westedt. Da sei man sich auch parteiübergreifend einig. Rund drei Viertel der Investitionslast würden von den Kommunen getragen, deshalb sei es richtig, dass die Investitionsförderung aus Berlin auch auf der kommunalen Ebene ankomme.

Das Land müsse den Städten und Gemeinden außerdem mehr vertrauen. "Wir wollen keine wohlmeinenden Spezialprogramme", so Westedt. Es gebe schon jetzt genug zu tun. "Lasst uns entscheiden, was wir machen!"

Auch Landrat Sandro Zehner aus dem Rheingau-Taunus-Kreis sieht das so. Eine finanzielle Unterstützung für dringende Investitionen hält er für vernünftig. "Schwierig fände ich es, wenn jetzt Ziele damit verbunden werden und wir quasi ganz neue Projekte erfinden müssen, für die wir das Geld ausgeben."

Sanierungsstau bei Schwimmbädern, Schulen und Straßen

Genug Projekte gebe es nämlich schon jetzt. Landrat Zehner zählt auf: Im Schwimmbad in Taunusstein warteten dringende Sanierungsarbeiten an der Solar- und Heizungsanlage. Auch Abdeckplanen für die Becken würden gebraucht.

Die Sanierung der Kreisstraßen stagniere. "Die Kreisstraßen werden aber von Jahr zur Jahr schlechter", weiß Zehner. "Wenn wir die Mittel dafür einsetzen könnten, können wir zumindest wieder ein Mindestmaß an Straßensanierung vor Ort sicherstellen."

Landrat Sandro Zehner steht vor einem Gebäude einer Schule in Schlangenbad, die gerade ausgebaut wird
Rheingau-Taunus-Landrat Sandro Zehner (CDU). Bild © Christiane Schulmayer (hr)

Auch freiwillige Leistungen der Kommunen wie die Förderung von Kulturprojekten, Sportvereinen und sozialen Einrichtungen standen dieses Jahr im Rheingau-Taunus-Kreis wegen der klammen Haushaltskasse auf der Kippe.

Wäre der defizitäre Haushalt nicht genehmigt worden, hätten die dafür vorgesehenen 3,6 Millionen Euro gestrichen werden müssen. "Der Bund muss umgehend die kommunale Unterfinanzierung beenden und ein Fundament für die kommunale Familie bauen, das für die Zukunft trägt", so Zehner. Wichtig sei zu dem, das Prinzip einzuhalten, wonach bezahle, wer bestelle.

Ganztagsbetreuung ab 2026 "ausgeschlossen"

Das sei beispielsweise bei der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen nicht der Fall. Um den Anspruch der rund 7.500 Schülerinnen und Schüler an den Grund- und Förderschulen im Kreis zu gewährleisten, müsste der Kreis als Schulträger allein in diesem Jahr fast 37 Millionen Euro investieren.

Die Fördermittel vom Bund lägen aber nur bei 6,4 Millionen Euro. "Für einen gesetzlichen Anspruch, den der Bund selbst geschaffen hat", beklagt Zehner.

In Schlangenbad wird gerade die einzige Grundschule im Ort erweitert. Kostenpunkt: 5,8 Millionen Euro. "Eigentlich habe ich das Geld nicht und dürfte es auch nicht ausgeben", so Zehner. "Ich mache es auf Pump, aber Zukunft kann man nicht auf Pump aufbauen."

Der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule greift ab 2026. Werden Hessens Kommunen es angesichts von Fachkräftemangel, Geldsorgen und nötigen baulichen Investitionen schaffen, diesen Anspruch flächendeckend und vor allem rechtzeitig umzusetzen? Der Hessische Städtetag ist überzeugt: "Das ist ausgeschlossen."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de