Ob Polizeiakten oder Social Media: Die Polizei-Software "Hessendata" verknüpft riesige Datenmengen von Verdächtigen. Kritiker sehen Grundrechte schwer verletzt. Ihre Klage wird nun in Karlsruhe verhandelt.

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Hessische Polizeisoftware vor dem Bundesverfassungsgericht

Foto eines Laptops, auf dessen Bildschirm die Plattform "Hessen-Data" zu sehen ist.
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Als die hessische Polizei im Jahr 2018 die Datenanalyse-Software "Hessendata" in Betrieb nahm, hatte das längst für Wirbel gesorgt. Polizeiintern kam es zum Streit, die Auftragsvergabe führte zu einem Untersuchungsausschuss im Landtag.

Nicht zuletzt waren Datenschützer und Bürgerrechtler von Anfang besorgt. Sie sehen die Gefahr, dass Innenminister Peter Beuth (CDU) und der Sicherheitsapparat mit dem Argument effektiver Terror- und Verbrechensbekämpfung in Grundrechte eingreifen und den gebotenen Schutz von Daten unbescholtener Menschen missachten.

Nun tritt die juristische Auseinandersetzung um die Reichweite moderner Ermittlungsmethoden der Polizei im Digitalzeitalter in ein neues Stadium: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt am Dienstag mündlich über die Beschwerde eines Bündnisses von sieben Klägerinnen und Klägern.

Unheimliche Magie

Im Fokus der Verhandlung stehen auch - unter dem Stichwort "Hessentrojaner" - heimliche Online-Durchsuchungen. Die schwarz-grüne Koalition hat für den Einsatz der neuen Instrumente das Polizeigesetz novelliert. Außerdem richtet sich die Beschwerde gegen das Verfassungsschutzgesetz.

Entscheiden werden die Karlsruher Richter erst später. Das Gericht hat signalisiert, dass es bis zu einem Urteil noch dauern könnte.

Neben Vertretern der Gesellschaft für Freiheitsrechte, der Humanistischen Union und des Verbandes der Internetwirtschaft wehren sich unter anderem die Kasseler Friedensaktivistin Silvia Gingold und die Frankfurter Strafverteidigerin Seda Başay-Yıldız gegen den Einsatz der Polizeisoftware. Entschiedene Kritik wendet sich nicht nur gegen die automatisierte Analyse-Methode selbst und ihre Reichweite, sondern auch gegen den Anbieter.

Hessen vorn bei der Bestellung

"Hessendata" basiert auf dem international von Sicherheitsbehörden eingesetzten Programm "Gotham" des umstrittenen US-Anbieters Palantir Technologies. Hessens Polizei war die erste in Deutschland, die sich bediente - und das Programm bei der Adaption umbenannte.

Gotham City ist der aus den Batman-Comics bekannte düstere Ort, an dem der Superheld das Verbrechen bekämpft. Auch den eigenen Namen hat das Unternehmen der Fiktion entlehnt: den magischen Kugeln aus der Fantasy-Sage "Herr der Ringe", mit denen man in entfernte Orte und Zeiten blicken kann.

Ein Klick, bisher unentdeckte Verknüpfungen

Den Klägern gehen die Blicke von "Hessendata" zu weit und zu tief, und sie empfinden sie als zu wahllos. Sie fordern strengere Regeln. Denn mithilfe des Analysetools können Ermittler in Sekunden alles finden, was über einen Menschen an Daten bei der Polizei bekannt ist. Diese Daten werden mit anderen verknüpft, zu Personenprofilen und als Netzwerke dargestellt aufgrund von Fragen wie: Wer wohnt in der Nähe? Wer war auf derselben Veranstaltung? Die Sorge der Kläger ist: Verdächtige werden unerlaubt intensiv durchleuchtet.

"Es kann uns alle treffen, auch Leute, die nie eine Straftat begangen haben", sagte Mit-Kläger Klaus Landefeld zu hessenschau.de, als die Beschwerde in Karlsruhe eingereicht wurde. Der IT-Experte befürchtet verbotenes Data Mining, das beim Sammeln und Zusammenführen kein Halten mehr kenne: "Ich muss nur zufällig mit einer verdächtigen Person im gleichen Zug gefahren sein oder im gleichen Kino gesessen haben - und schon kann ich Teil von Ermittlungen sein."

Jubel über eine neue Welt

Beuth und die Polizei bestreiten solche Missbrauchsabsichten. Sie weisen darauf hin, dass der hessische Datenschutzbeauftragter sein Okay gegeben hat. Es geht laut dem Minister einzig darum, Stratätern und Terroristen mit zeitgemäßen Methoden "auf den Füßen zu stehen". Schließlich vernetzten diese sich über verschlüsselte Kommunikation und planten ihre Straftaten auch mit digitalen Hilfsmitteln. Einverstanden war von Anfang an auch die Gewerkschaft der Polizei.

Auf Zusammenhänge, die sie früher nicht gesehen hätten, sollen Polizisten aber nicht nur aus Polizeidatenbanken oder Material der Telefonüberwachung gestoßen werden. "Hessendata" bindet auch Daten aus Sozialen Medien ein. "Wir haben eine neue Welt betreten", jubelte Gerhard Bersewill, der damalige Präsident des für die Software-Einführung federführenden Frankfurter Polizeipräsidiums, als es losging.

Nicht nur die Kläger sehen darin alles andere als einen Grund zur Freude. Von einem "Dammbruch" schrieb die Polizei-IT-Expertin Anette Brückner auf ihrem Blog "Police IT" nach der Einführung in Hessen, weil nun erstmals Informationen aus Polizeidatenbanken voll automatisiert mit solchen aus Social-Media-Plattformen kombiniert werden. Die Gesellschaft laufe Gefahr, dass statt Beweisen "Analyseergebnisse aus zusammengemischten Datensammlungen" die Polizeimaßnahmen bestimmten. Das könne sich eben "auch gegen Unschuldige und Unbeteiligte" richten.

CIA war von Anfang an dabei

Was Kritiker zudem misstrauisch macht: Das Unternehmen Palantir begann als Start-up mit Kapital des US-Geheimdienstes CIA. Er und weitere US-Sicherheitsbehörden zählen zu den Kunden des Big-Data-Konzerns.

Ebenfalls bei der Gründung dabei: der in Frankfurt geborene Milliardär Peter Thiel. Der Silicon-Valley-Investor gründete auch den Bezahl-Dienstleister Paypal und war erster Geldgeber von Facebook. In den vergangenen Jahren machte er vor allem mit extrem wirtschaftsliberalen und rechtspopulistischen Statements Schlagzeilen - und als Unterstützer und Berater von Ex-US-Präsident Donald Trump.

Dass die Daten aus Hessen in falsche Hände geraten könnten, bestreiten Innenministerium und Polizei trotz des "fragwürdigen Rufes", den Palantir auch nach Meinung der hessischen FDP genießt. Neben einer Anti-Spionage-Abmachung in den Verträgen gehörten zu den Vorkehrungen IT-Sicherheitsmaßnahmen. Zwar kümmerten sich Palantir-Mitarbeiter um die "Hessendata"-Technik. Sie täten dies jedoch immer in Begleitung von Polizisten.

Bund und Bayern prüfen

Wie das Bundesverfassungsgericht am Ende entscheidet, interessiert nicht nur in Hessen. Bei dem laufenden Verfahren geht es auch um Hamburg. Außerdem setzt in Nordrhein-Westfalen die Polizei schon auf Palantir-Analysesoftware. Recherchen des Bayerischen Rundfunks ergaben im Sommer: Auch Bayern und der Bund prüfen den Einsatz, der bei Bundespolizei und Zollkriminalamt denkbar wäre.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte sich seinerzeit dazu nicht näher äußern. Als sie noch als Innenexpertin im hessischen Landtag saß, hatten die Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuss nichts gegen bessere digitale Analysemöglichkeiten der Polizei einzuwenden. Sie äußerten aber Kritik, wie die Vergabe zugunsten Palantirs gelaufen sei.

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