Demos in Darmstadt und Kassel Hochschulen befürchten eine Milliarde Euro weniger
Der Protest an der Ausgestaltung des hessischen Hochschulpakts wird lauter. Beschäftigte und Studierende fürchten massive Kürzungen. Forschung, Ausbildung und Arbeitsplätze seien in Gefahr. Der zuständige Minister will ein Worst-Case-Szenario verhindern.
Der "Hessische Hochschulpakt 2026-2030" soll eigentlich eine Einigung sein. Darauf, wie Wissenschaft, Forschung und Bildung im Land finanziert werden. Doch jene Einigung gibt es nicht - zumindest noch nicht. Stattdessen existieren viel Frust, Unsicherheit und große Angst wegen drohender Kürzungen.
Die Mitarbeitenden seien voller Sorge und wütend, heißt es von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nach einer Personalversammlung mit 600 Beschäftigen in Kassel. Am Mittwoch fanden zudem an der Universität Kassel und der TU Darmstadt Protestaktionen von Hochschulbeschäftigten und Studierenden statt, zu denen die Gewerkschaften Verdi und GEW aufgerufen hatten.
So richtig angekommen scheint das Thema unter den Betroffenen aber nicht. Unter dem Motto "No Cuts" - keine Kürzungen - haben sich in Darmstadt einige hundert Personen zusammengefunden. An der Universität Kassel war es ein Infostand. Die GEW spricht von insgesamt 450 Studierenden und Beschäftigten, die sich beteiligt hätten. Dabei geht es um viel. Vor allem um viel weniger Geld.
"Ich glaube, die Studierenden haben noch gar nicht ganz begriffen, wie es sie betrifft", sagt Lars Schäfer vom Asta an der Universität Kassel. "Wir haben jetzt erste Aussagen bekommen, dass es durchaus sein kann, dass Studiengänge wegfallen, dass Professuren wegfallen, dass vor allen Dingen ein Haufen Personal wegfällt", berichtet Schäfer.
Dabei seien die Bedingungen bereits jetzt nicht allzu komfortabel, sagt Psychologie-Studentin Selina Scholl, die sich ebenfalls an den Protesten in Kassel beteiligt. Teilweise würden Computer und Ausstattung für Experimente fehlen, die Studierenden könnten dann ihre Bachelorarbeit nicht schreiben. Der neue Hochschulpakt könnte diese Situation weiter verschlechtern.
Eine Milliarde Euro Defizit
Die Planungen der Landesregierung zum Hochschulpakt führten zu einem Defizit von rund einer Milliarde Euro in den nächsten sechs Jahren, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der hessischen Hochschulpräsidien. Die Folge wäre ein dauerhafter Abbau von zehn Prozent des Personals in Wissenschaft, Kunst und Verwaltung.
Die Hochschulen erklären das so: Ab 2026 rechne man mit jährlichen Personalkostensteigerungen in Höhe von 60 Millionen Euro - trotzdem soll beim Übergang zum neuen Hochschulpakt das Budget für die Jahre 2026 und 2027 unter das Niveau von 2025 sinken. Es stünden Aufwüchse von lediglich 2,12 Prozent im Mittel pro Jahr im Raum.
Anstieg käme Kürzung gleich
Selbst wenn künftig Tarifabschlüsse und Inflation moderat ausfielen, so die Schlussfolgerung, rechne man bis Ende 2031 mit diesem Milliarden-Finanzierungsdefizit von jährlich rund 167 Millionen Euro. Dies entspreche zehn Prozent des Personalbudgets der Hochschulen.
Der Anstieg von 2,12 Prozent pro Jahr könne die erwarteten Personal- und Sachkostensteigerungen nicht annähernd ausgleichen, sagt Thomas Nauss, Präsident der Marburger Philipps-Universität und Sprecher der Konferenz Hessischer Universitätspräsidien. Dies könne nur als strukturelle Kürzung betrachtet werden, die die Funktionalität der Hochschulen bedrohe.
"Geht nicht ums Sparen"
Kassels Universitätspräsidentin Ute Clement gibt in einem Video an ihre Mitarbeitende und Studierende, das sie auf Instagram veröffentlichte, Einblicke in die Verhandlungen zum Hochschulpakt.
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Dabei lobt sie, dass etwa bei der in Aussicht stehenden neuen Finanzarchitektur auf viel Bürokratie verzichtet werde. Nur die Finanzierung selbst sei noch unklar. "Was aber schon klar ist: Es geht hier nicht ums Sparen, es geht um deutliche Kürzungen", sagt Clement.
Wissenschaftsminister spricht von Worst-Case-Szenario
Wie umfangreich diese Kürzungen werden könnten, ist derzeit Teil der Gespräche zwischen den 14 Hochschulen und dem Wissenschaftsministerium. Der Hochschulpakt solle, so das Versprechen aus Wiesbaden, noch vor der Sommerpause unterzeichnet werden und das Wissenschaftssystem langfristig sichern. Dennoch seien die finanziellen Spielräume im Landeshaushalt ressortübergreifend begrenzt. Fest stehe lediglich: Das Studium in Hessen bleibe gebührenfrei.
Zu einzelnen Inhalten der Gespräche möchte sich das Ministerium noch nicht äußern. Minister Timon Gremmels (SPD) betont in einer Mitteilung, ihm sei eine verlässliche und nachhaltige Vereinbarung besonders wichtig. Am Mittwoch sagt er im Interview mit dem hr: "Wir müssen aufgrund der zurückgehenden Steuereinnahmen Kürzungen vornehmen." Über Höhe und Umfang werde noch verhandelt.
"Die eine Milliarde Euro, die im Raum steht, ist ein Worst-Case-Szenario", so Gremmels. Man tue alles dafür, dass man deutlich darunter liegen werde.
Offener Brief an Landesregierung
In einem offenen Brief an Gremmels sowie Ministerpräsident Boris Rhein und Finanzminister Alexander Lorz (beide CDU) fordern Personalräte von vielen hessischen Hochschulen, eine auskömmliche Grundfinanzierung festzuschreiben.
Unterzeichnet wurde der Brief etwa von Personalräten der Uni Kassel, Marburg und Gießen, der TU Darmstadt, der Hochschulen RheinMain und Geisenheim sowie der Frankfurter University of Applied Science. Auch die Landesstudierendenvertretung, die Landes-Asten-Konferenz, hat den Brief unterzeichnet. Nach eigenen Angaben vertreten alle zusammen 20.000 Beschäftigte sowie 240.000 Studierende an hessischen Hochschulen.
"An Bildung und Wissenschaft zu sparen, ist genau der falsche Weg", sagt die Vorsitzende des Hauptpersonalrats der Uni Gießen, Sabine Leib. Erste Leidtragende seien die Studierenden und die vielen befristet Beschäftigten. Schon jetzt würden befristete Verträge wegen der unsicheren Finanzierung teilweise nicht verlängert. "Die besten Köpfe zu verlieren, kann sich Hessen schlicht nicht leisten", so Leib.
Opposition: Schwarz-Rot will Unis kaputtsparen
Die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, Nina Eisenhardt, spricht von einem Spar-Hochschulpakt, der ihre Befürchtungen bei weitem übertroffen habe. Die negativen Auswirkungen könnten noch lange nach 2031 spürbar sein. "Wir fordern Wissenschaftsminister Gremmels und Ministerpräsident Boris Rhein auf, diese Katastrophe abzuwenden und ihre politische Prioritätensetzung zu hinterfragen", teilt sie mit.
Matthias Büger, der hochschulpolitische Sprecher der FDP im Landtag, kritisiert die möglichen Pläne zum neuen Hochschulpakt ebenso scharf: "Das ist nichts anderes als eine hochschulpolitische Katastrophe. Schwarz-Rot will die Hochschulen offenbar kaputtsparen", heißt es von ihm.