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Untersuchungsausschuss zu Hanau diskutiert über Abschlussbericht

Zuhörer im hessischen Landtag, der einen Pullover mit der Abbildung eines der Opfer des rassistischen Attentats von Hanau, Gökhan Gültekin, trägt

Die parlamentarische Aufarbeitung des rassistischen Attentats von Hanau nähert sich dem Ende. Im Untersuchungsausschuss wird über den Entwurf des Abschlussberichts diskutiert. Statt der angestrebten Einigkeit droht Streit. 

Den Schmerz der Angehörigen der neun getöteten, jungen Menschen aus Zuwandererfamilien kann ein Untersuchungsausschuss kaum ermessen. Mit diesem Vorwort beginnt der Entwurf zum Abschlussbericht des Landtagsausschusses zum rassistischen Attentat in Hanau am 19. Februar 2020. Und doch kann die Aufarbeitung im Parlament helfen, das Geschehene besser zu verstehen. Und Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.  

Der Ausschuss stellte in den vergangenen zwei Jahren schwierige Fragen. An diesem Mittwoch kommt das Gremium zu seiner vorerst letzten Sitzung zusammen und versucht sich an Antworten auf die wichtigsten Fragen, nachdem das vor der Landtagswahl verschoben worden war.

Was passiert am Mittwoch im Landtag? 

Im Sitzungsraum 501A kommt der Hanau-Untersuchungsausschuss zu seiner 41. Sitzung zusammen. Wichtigster Punkt in der Einladung des Ausschussvorsitzenden Stephan Grüger (SPD): "Beratung und Beschlussfassung über den Entwurf des Abschlussberichts und möglicher Sondervoten".

Die Mitglieder des Ausschusses hatten Gelegenheit, den 649 Seiten starken Entwurf für einen Abschlussbericht durchzuarbeiten. Nun geht es um den Versuch, alle Parteien hinter einem gemeinsamen Bericht zu versammeln. Für die Oppositionsfraktionen ist das die Chance, Kritik und Änderungswünsche vorzubringen.

Wird es einen gemeinsamen Bericht im Hanau-Ausschuss geben? 

Mit Blick auf die Hinterbliebenen und das ernste Thema wäre das sicher wünschenswert. Es gibt auch in vielen Bereichen ähnliche Einschätzungen auf Seiten der Opposition und der Regierungsfraktionen. Beispielsweise, dass Seelsorge, Opferhilfe und Polizeiausbildung verbessert werden sollen. 

"Wir haben den Willen, zu einem gemeinsamen Abschlussbericht zu kommen", sagte Heike Hofmann, die Obfrau der SPD im Ausschuss, dem hr: "Aber wir werden auch konkrete Vorschläge machen, was wir anders haben wollen."  

Der Entwurf, der dem hr-Landtagsstudio vorliegt, hat nach Einschätzung einiger Oppositionspolitiker Schlagseite. Während er bei der Verantwortung für die Waffenbesitzerlaubnis des rassistischen Attentäters und den verschlossenen Notausgang am zweiten Tatort die SPD-geführten zuständigen lokalen Behörden nennt, bleibt der Bericht bei der Frage des nur eingeschränkt erreichbaren Polizei-Notrufs in der Tatnacht im Allgemeinen. Hier ist von Polizeipräsidien und Organisationsversagen die Rede. Der aus Sicht der Opposition politisch verantwortliche Innenminister Peter Beuth von der CDU wird nicht benannt.  

Ein gemeinsamer Bericht ganz ohne abweichende Stellungnahmen gilt deshalb als unwahrscheinlich. Erwartet werden viele Änderungsanträge oder ganz eigene Kapitel des Berichts durch die Opposition.

Wäre ein abweichendes Votum im Untersuchungsausschuss ungewöhnlich?

Nein, zumal ohnehin unklar ist, ob sich AfD und Linke dem gemeinsamen Bericht der anderen vier Landtagsparteien anschließen. Bei den meisten Untersuchungsausschüssen gehen die Bewertungen durch Regierung und Opposition auseinander.

So war es übrigens auch bei dem anderen Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode. Dieser sollte den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) aufarbeiten und ging vor der Landtagswahl nach drei Jahren Arbeit zu Ende: mit einem Abschlussbericht von CDU und Grünen und insgesamt drei eigenen Bewertungen der Opposition. Auch hier war zunächst aber ein gemeinsamer Bericht angestrebt worden, schließlich hatte erstmals in der Bundesrepublik ein Rechtsextremer einen Politiker ermordet.

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hr-Landtagskorrespondent: "Da bekommt dieser Entwurf eine Schlagseite gegen die SPD"

Polizisten sichern einen der Tatorte in Hanau ab.
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Welche Erkenntnisse liefert der Entwurf des Abschlussberichts?

Der Anschlag war durch die Sicherheitsbehörden nicht zu verhindern. So steht es im Entwurf des Abschlussberichts. Die psychische Erkrankung des Täters sei der Auslöser für die Tat gewesen.  

Gleichwohl listet der Entwurf viele Pannen auf: Der Täter sei zu leicht an eine Waffenbesitzkarte gekommen. Der Notausgang in der Arena-Bar in Hanau-Kesselstadt sei ganz offensichtlich verschlossen gewesen. Und nach der Tat sei die Kommunikation nicht gut gelaufen. So wussten viele Familien über Stunden hinweg nicht, ob ihre Angehörigen überhaupt noch leben.

All dies soll sich ändern. "Der Auftrag des Untersuchungsausschusses wird mit diesem Bericht erfüllt werden", heißt es im Vorwort des Entwurfs. Und doch bleibe das Bewusstsein, "dass nicht alle Fragen der Opfer und Angehörigen beantwortet werden können". Der Täter habe sich durch seinen Suizid nach seiner Mordserie am Abend jenes 19. Februar einer gerechten Strafe entzogen.

Enthält der Bericht zum Hanau-Ausschuss eine Entschuldigung? 

Über die Frage, inwieweit eine Entschuldigung von Innenminister Beuth angemessen wäre, gibt es unterschiedliche Auffassungen - auch innerhalb der schwarz-grünen Koalition. Der CDU-Politiker lehnte das bislang ab.

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses bitten nun im Vorwort des Entwurfs die Hinterbliebenen um Entschuldigung: Weil es den staatlichen und kommunalen Behörden nicht gelungen sei, sie und ihre Angehörigen davor zu schützen, Opfer eines rassistischen Anschlags zu werden.

Was soll sich in Zukunft ändern? 

Ein Auftrag des Hanau-Untersuchungsausschusses war es auch, Handlungsempfehlungen für Sicherheitsbehörden zu erarbeiten. Einige Beispiele aus dem Entwurf: 

  • Mehr Raum für Rassismusprävention in der polizeilichen Ausbildung. 
  • Intensivere Antirassismusarbeit an allen hessischen Schulen.
  • Polizistinnen und Polizisten sollen stärker für den Umgang mit Überlebenden und Angehörigen von Opfern sensibilisiert werden - vor allem wenn diese einem anderen Kulturkreis angehören als die Beamtinnen und Beamtinnen selbst.
  • Bessere Fortbildung der Polizei zur Bewältigung eines vergleichbaren Einsatzes "mit hochdynamischen Phasen". 
  • Die Waffenbehörden sollen die geltenden Gesetze "schlagkräftig anwenden".

Wie geht es jetzt weiter? 

Es ist unwahrscheinlich, dass die Ausschussarbeit mit der Sitzung am Mittwoch endet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Fraktionen noch mal intern beraten, wie sie mit den Erkenntnissen dieser Sitzung umgehen. Kann man sich vorstellen, doch zu einem gemeinsamen Bericht zu kommen? Oder bereitet die Opposition abweichende Voten vor?

Dann könnte mindestens eine weitere Sitzung des Ausschusses im November notwendig sein, bevor klar ist, was in der letzten Plenarwoche dieser Legislaturperiode Anfang Dezember im Landtag beschlossen wird. Zur Not, so sieht es wenigstens die Linksfraktion, ist sogar eine Sondersitzung vor oder nach Weihnachten vorstellbar.  

Viel weiter lässt sich der Abschluss der Untersuchung des Attentats von Hanau allerdings nicht verschieben. Am 18. Januar 2024 tritt das neu gewählte Parlament zusammen.

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