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Die Sorge vor zunehmenden Gefahren für die Demokratie durchzieht den Jahresbericht des hessischen Verfassungsschutzes. Vor allem vor Rechtsextremismus und Folgen der aktuellen Krisen warnt der Inlandsgeheimdienst. Und er beobachtet jetzt auch die Hessen-AfD.

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Verfassungsschutzbericht – AfD wird beobachtet

hessenschau vom 05.09.2022
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Vor allem von Rechts sieht der hessische Verfassungsschutz die Demokratie zunehmend bedroht. Zu denen, die er deshalb beobachtet, gehört nun auch der Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD). Man setze "nachrichtendienstliche Mittel innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens" ein, sagte Robert Schäfer, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) am Montag in Wiesbaden.

Die Überwachung werde in Kürze beginnen. Dazu dürfen auch Abhörmaßnahmen und der Einsatz von V-Leuten gehören. Schäfer begründete den Schritt mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln von Anfang März dieses Jahres. Das Gericht hatte dem Bundesverfassungsschutz bestätigt, dass er die Bundespartei als Verdachtsfall beobachten dürfe, weil es genug Hinweise auf verfassungsfeindliche Betätigungen gebe.

Da die hessische AfD eine Teilstruktur des AfD-Bundesverbandes sei, sei es "die Verpflichtung" des LfV, sie "innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens" zu beobachten, sagte Schäfer. Der Verfassungsschutzpräsident äußerte sich bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde für 2021, den er gemeinsam mit Innenminister Peter Beuth (CDU) einordnete.

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Verfassungsschutz überwacht AfD als Verdachtsfall

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AfD findet Begründung "mehr als dreist"

Nach dem Kölner Urteil hatte die Bundes-AfD die Einstufung als ungerechtfertigt bezeichnet und Berufung angekündigt. Nun sagte ihr hessischer Co-Landesvorsitzender Robert Lambrou: "Wir werden gegen diese Beobachtung klagen." Lambrou nannte die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes fragwürdig.

Für seinen Amtskollegen Andreas Lichert ist die Begründung Schäfers sogar "mehr als dreist". Wenn der LfV-Präsident als Argument anführe, die Hessen-AfD sei ein Teil der Bundes-AfD, zeige dies: Ihm lägen "keinerlei konkrete Erkenntnisse vor, die eine Beobachtung rechtfertigten. Die Motive seien politisch, der Verfassungsschutz lasse sich instrumentalisieren: Es gehe darum, "die Stigmatisierung der AfD zu verstärken und den Druck auf die Mitglieder zu erhöhen".

Zahl der Extremisten steigt weiter

Nach Einschätzung der Verfassungsschützer und des Innenministeriums hat die Bedrohungen für die Demokratie auf vielfältige Weise weiter zugenommen. So sei die Zahl der als Extremisten eingeschätzten Menschen im vergangenen Jahr zum vierten Mal in Folge gestiegen. 13.680 Extremisten hat der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben auf seinen Listen. Das seien 1,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Rechts und links stieg die Zahl, während sie bei den Islamisten als noch immer deutlich größter Gruppe sank. Dem Lager der islamistischen Extremisten werden 4.000 Menschen zugerechnet, der extremen Linken 2.270 und dem Rechtsextremismus 1.710.

Bei den politisch motivierten Straftaten und Gewaltakten ergibt sich ein ganz anderes Bild: Die mit Abstand meisten Taten waren demnach rechtsextrem motiviert. 946 Straftaten, davon 42 unter Einsatz von Gewalt, werden den Rechten zugeordnet. Beim Linksextremismus sind es 131 Straf- und 42 Gewalttaten, beim Islamismus 22 Straftaten, davon zwei Fälle mit Gewalt. Die Gefahr durch islamistischen Terror sei jedoch ungebrochen.

Insgesamt sank die Zahl extremistischer Straf- und Gewalttaten um 16 Prozent auf 1.172. Sie lag damit aber noch immer auf dem zweithöchsten Stand seit 2017.

Beuth: "Halten Druck hoch"

"Extremisten und zunehmend auch staatliche Akteure aus dem Ausland versuchen mit allen Mitteln, unsere Gesellschaft zu spalten und zu destabilisieren", sagte Beuth. Er machte die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Ordnung in Hessen im Rechtsextremismus aus. Auf dessen Bekämpfung müsse weiterhin ein Hauptaugenmerk der Sicherheitsbehörden liegen. Er kündigte an: "Wir werden den Druck auf Rechtsextremisten in Hessen weiter hochhalten."

Der Antisemitismus habe "massiv" zugenommen, sagte LfV-Chef Schäfer. Er spielt nach Beobachtung der Sicherheitsbehörden auch eine wesentliche Rolle in den über Telegram und anderen Sozialen Medien verbreiteten Verschwörungstheorien.

Krisen als "Radikalisierungsbeschleuniger"

Zunehmende Sorgen macht den Sicherheitsbehörden die "Entgrenzung des Rechtsextremismus" auf andere Milieus infolge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Vor kurzem hatte der Verfassungsschutz davor gewarnt, die Proteste könnten sich wegen der Energiekrise und steigender Preise ausweiten.

Nun sagte LfV-Präsident Schäfer zum Stichwort "heißer Herbst":  Man beobachte die Entwicklung mit "allerhöchster Aufmerksamkeit". Rechtsextreme nutzen bereits die bekannten Verschwörungstheorien als "Radikalisierungsbeschleuniger" – und ein Ansteigen der Militanz des harten Kerns der Protestbewegung sei nicht auszuschließen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangte angesichts der befürchteten Protestwelle mehr Personal. Mehr als 1.000 Polizistinnen und Polizisten fehlten in Hessen.

Schäfer schränkte ein, noch gebe es keine Anzeichen, "dass staatsfeindliche Aktivitäten in der Breite der demokratischen Gesellschaft Resonanz finden könnten". Trotzdem sieht sich der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben einem neuen Extremismus-Phänomen gegenüber: der Delegitimierung des Staates, an der sich Menschen beteiligten, die sich den bisherigen Lagern von Verfassungsfeinden nicht eindeutig zuordnen ließen.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bindet zudem die Spionageabwehr laut Verfassungsschutz zunehmend Energie, vor allem der Abteilung "Wirtschaftsschutz". Hessen mit dem Rhein-Main-Gebiet und der Finanzmetropole Frankfurt bietet zahlreiche Angriffsziele für Cyberspionage und -Sabotage. Nicht zuletzt Versuche des russischen Staates, falsche Informationen vor allem über die Sozialen Medien zu streuen, haben demnach zugenommen.

Grüne: Gehen entschieden gegen Rechte vor

Unterstützung erhielt Innenminister Beuth vom Koalitionspartner. "Hessen geht entschieden gegen die erstarkte Rechte vor", sagte Eva Goldbach, innenpolitische Sprecherin der Grünen. Sie nannte als Beispiele die 2019 geschaffene "Besondere Aufbauorganisation Hessen-Rechts" und ein neues Kommunikationsportal, das in den Sozialen Medien über Verschwörungstheorien aufkläre. Die Entwicklung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit sei besorgniserregend.

Auch die CDU sieht Hessen gewappnet. Holger Bellino, Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, sagte: "Unser Staat steht den Bedrohungen durch Extremisten kraftvoll gegenüber."

Opposition fordert "Stärke und Entschlossenheit"

Innenexperten der Opposition im Landtag warfen Beuth dagegen vor, die Gefahren des Rechtsextremismus zu lange unterschätzt zu haben. "Hessen muss menschen- und demokratiefeindlichen Ideologien besser entgegenwirken“, sagte Heike Hofmann (SPD). Obwohl inzwischen seit Jahren vor rechter Verfassungsfeindlichkeit gewarnt werde, steige die Zahl der als extremistisch eingeordneten Personen und Straftaten.

Es sei verwunderlich, dass nach dem maßgeblichen Urteil vom März die Beobachtung des AfD-Landesverbandes in Hessen erst jetzt beginne, sagte Torsten Felstehausen (Linke). Dies sei ein weiteres Beispiel dafür, dass der "sogenannte Verfassungsschutz zu spät und zu langsam" sei.

"Stärke und Entschlossenheit“ im Kampf gegen Demokratiefeinde zu intensivieren – das forderte auch Stefan Müller (FDP). Nicht nur die Arbeit des Verfassungsschutzes gewinnt seiner Meinung nach in den aktuellen Krisen an Bedeutung. Es sei auch wichtig, Gas- und Stromversorgung zu sichern, um dem Einfluss der neuen Extremismus-Form "Delegitimierung des Staats" entgegenzuwirken.

Dass der Verfassungsschutz als neuen Faktor das Phänomen "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" einführt, findet die AfD bedenklich. "Hier werden ganze normale besorgte Bürger, die ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit in Anspruch nehmen, in einen Topf mit angeblich demokratie- und staatsfeindlichen Personen geworfen", sagte Klaus Hermann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion. Es drohe, dass der Unterschied am Ende willkürlich durch Behörden festgelegt werde.

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