"Koa" - wie Koalition: Die Mappe, die Ministerpräsident Rhein am Freitag mit sich trug, als er verkündigte, dass er mit der SPD Koalitionsverhandlungen aufnehmen will.

Der Entwurf zum schwarz-roten Koalitionsvertrag für Hessen ruft gemischte Reaktionen hervor. Unternehmer zeigen sich hocherfreut. Die von der CDU verstoßenen Grünen sehen "viel Skurriles und Demütigungen für die SPD".

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Kritik und Lob – Reaktionen auf Entwurf zum Koalitionsvertrag

EIn Politiker vor einer Werbetafel der Partei "Bündnis 90 Die Grünen"
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Offiziell ist er noch unter Verschluss: Aber während CDU und SPD über den am Vorabend bekannt gewordenen Entwurf ihres Koalitionsvertrags am Donnerstagmorgen noch schwiegen, kamen längst die ersten Reaktionen. Am ausführlichsten und heftigsten reagierten die Grünen im Landtag, mit denen Union-Ministerpräsident Boris Rhein nicht mehr weiterregieren will.

Dem eigenen Anspruch, Antworten auf die großen Herausforderungen der Zeit zu geben, wird das neue Bündnis nach Einschätzung von Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner überhaupt nicht gerecht. "Überall, wo man sich konkrete Vorschläge erhofft hätte, findet sich ein wortreiches Nichts."

Kein Klimaschutz und dreimal Heimat

Dass Hessen eine "Koalition der Vergangenheitsbewahrer und Zukunftsverweigerer" drohe, macht Wagner an mehreren Beispielen fest: Trotz alarmierender Pisa-Ergebnisse und Bildungslücken durch Corona gebe es keinen Aufbruch in der Bildungspolitik. Ein Corona-Aufholprogramm werde sogar gekürzt.

Auch Angaben über die konkrete Zahl neu zu schaffender Kita-Plätze bleibe der Vertrag schuldig. Während die Zuständigkeit für "Heimat" auf drei Ministerien verteilt werde, tauche der Klimaschutz nicht mal mehr im Namen eines Ministeriums auf. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Hessen sieht Klimaschutz und Ökologie sogar "im Sturzflug".

"Für die SPD ist der Vertrag eine Demütigung", glaubt Grünen-Fraktionschef Wagner. Ihr werde nicht mal mehr ein vollständiges Sozialministerium zugetraut. Die Rechnung: Da dieses Ministerium geteilt wird, erhalte die SPD insgesamt zweieinhalb Ministerien, die CDU aber acht. Das entspreche nicht annähernd dem Wahlergebnis beider Parteien.

Auch zentrale Versprechen wie die Einstellung von 12.000 neuen Lehrerinnen und Lehrern dürfe die SPD nicht einlösen. Die "Demütigung des Partners" sei aber auch von der CDU kurzsichtig. Das werde Dauerstreit produzieren.

Cannabis und das Berufsbeamtentum

Unter der Rubrik "Allerlei Skurriles" verbuchen die Grünen unter anderem das angestrebte Verbot von Gender-Sonderzeichen in Schulen, Verwaltung und auch im Rundfunk. Hier werde trotz viel ernsterer Herausforderungen etwas zum Problem gemacht, das bisher keines war. Niemand habe bislang einen Nachteil, wenn er nicht gendere.

Amüsement ruft ein Satz aus dem Abschnitt über das Berufsbeamtentum bei den Grünen hervor. Er lautet: "Für die Legalisierung von Cannabis müssen wir klare Regelungen für den Dienstbetrieb finden." Grünen-Fraktionschef Wagner fragt, "was CDU und SPD während der Verhandlungen geraucht haben". Eine Politik, welche die realen Probleme der Menschen in den Mittelpunkt stelle, sehe anders aus.

FDP lobt Bekenntnis, Linke sehen Rechtsruck

Zurückhaltender äußerte sich die oppositionelle FDP. "Wer mit dem Anspruch antritt, eine Koalition für alle sein zu wollen, muss aufpassen, dass er nicht beliebig wird" - so warnten die designierten Co-Fraktionschefs Wiebke Knell und Stefan Naas.

Gut finden die Liberalen das Bekenntnis zur Schuldenbremse und die Pläne für Bildung und digitale Transformation im Vertrag. Sie kritisieren aber, dass es in Zukunft zwei Sozialministerien und damit teure Strukturen geben werde. Von Rheins Ankündigung, es werde ein Ministerium für Landwirtschaft sowie eines für den ländlichen Raum geben, sei nichts mehr übriggeblieben.

Als Ausdruck eines Rechtsrucks interpretiert die Linkspartei den Entwurf, die dem neuen Landtag nicht mehr angehören wird. "Schwarz-Rot will zurück in eine Vergangenheit, die es nie gab", schreiben die Co-Fraktionschefs Elisabeth Kula und Jan Schalauske in einer Mitteilung. In der Sozialpolitik sei der Vertrag "stellenweise völlig blind" und durchgehend nebulös. Die Handschrift der SPD müsse man mit der Lupe suchen.

AfD sieht eigene Positionen übernommen

Die AfD, die im neuen Landtag die größte Oppositionsfraktion stellen wird, teilte mit: Bei den Themenfeldern Migration und innere Sicherheit sei "die CDU als offensichtlich federführende Partei den vielfach geäußerten Vorschlägen der AfD-Fraktion zumindest in wichtigen Punkten gefolgt".

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Schwarz-roter Koalitionsvertrag ist fertig

Die Verhandlungsgruppe aus Union und SPD
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Der AfD-Fraktionsvorsitzende Robert Lambrou kritisierte, dass die neue Landesregierung ein Ministerium mehr als bisher umfassen soll: "Die Aufblähung widerspricht dem Gebot der Sparsamkeit." Gerade angesichts der wirtschaftliche angespannten Lage hätte man das Digitalressort ins Wirtschaftsministerium eingliedern sollen.

Wirtschaft applaudiert für Politikwechsel

Lob für das Papier kam aus der Wirtschaft. "Die Richtung stimmt. Wir begrüßen den Koalitionsvertrag von CDU und SPD als dringend nötigen Politikwechsel", applaudierte Wolf Mang, Präsident der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU). Die Vereinbarung sei die Chance für mehr Wirtschaftswachstum. Der Vertrag enthalte von der Wirtschafts- über die Verkehrs- bis zur Migrationspolitik wichtige Korrekturen.

Der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) äußerte sich abwartender. Viele Handlungsfelder wie Bildung, Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung sind laut Präsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller "richtig benannt". Es werde darauf ankommen, wie zügig alles umgesetzt wird.

Hochschulen: Gender-Verbot ist undemokratisch

Ein klares Nein zum im Vertragsentwurf festgeschriebenen Gender-Verbot an Schulen und Universitäten sowie im Rundfunk formulierten die Germanistischen Institute der Unis Gießen, Darmstadt, Kassel und Marburg. Sie schrieben am Donnerstag: "Dass gesellschaftliche Anforderungen an einen angemessenen Sprachgebrauch von der Sprachgemeinschaft ausgehandelt und nicht durch institutionelle Eingriffe oder Verordnungen geregelt werden, gehört zu den Errungenschaften einer Demokratie."

Dem widerspreche die Absicht von CDU und SPD, wonach in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet werden solle. Diversität und Geschlechtergerechtigkeit hätten derzeit einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Wie dies sprachlich zum Ausdruck kommen könne, müsse sich durch Ausprobieren verschiedener Formen erweisen.

Durch den Rat für deutsche Rechtschreibung, auf den sich die künftige Koalition berufe, sei eben "ein Verbot des Genderns mit Sonderzeichen gerade nicht gedeckt", schreiben die Germanisten: "Es würde - nicht zuletzt an den Schulen - ein falsches Sprachbild bestärken, das den freien und selbstverantwortlichen Sprachgebrauch durch Gebote und Verbote ersetzt."

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